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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

sich dem General gegenüber irgend etwas zu Schulden kommen lassen?“

„Nein, Herr Oberst,“ entgegnete Michael mit vollkommener Ruhe.

„Nicht? Es fiel mir auf, daß er an Ihnen vorüber ging, ohne auch nur ein einziges Wort an Sie zu richten, mit einer sehr kühlen Erwiderung Ihres allerdings sehr gemessenen Grußes. Es ist also wirklich nichts vorgefallen?“

„Durchaus nichts. Ich habe den General ja überhaupt nur einmal gesprochen, als ich mich bei ihm meldete, und ihn dann nur hin und wieder bei dienstlichen Veranlassungen gesehen; weßhalb sollte er mir besondere Rücksicht erweisen?“

„Weil er Sie und Ihre Leistungen kennt. Er sprach sich lobend darüber aus, noch ehe er Sie persönlich kannte, und überdies weiß ich, daß meine Empfehlung bei ihm ins Gewicht fällt. Trotzdem hat er während des ganzen Winters so gut wie gar keine Notiz von Ihnen genommen, sogar die Einladung, mit der er sonst die ihm vorgestellten Officiere beehrt, ist unterblieben, und wenn ich das Gespräch auf Sie bringe, sucht er entschieden abzulenken – mir ist das unerklärlich!“

„Die Erklärung wird wohl darin liegen, daß ich nicht das Glück habe, Seiner Excellenz zu gefallen,“ sagte Michael achselzuckend, doch der Oberst schüttelte den Kopf.

„Der General hat keine Launen, und es wäre auch das erste Mal, daß er sich ungerecht zeigte gegen einen Officier, von dessen Tüchtigkeit er überzeugt ist. Sie müssen durchaus etwas versehen haben.“

Rodenberg schwieg; er wollte lieber einen derartigen Vorwurf tragen, als noch länger dieser peinlichen Erörterung Stand halten; zum Glück wurde der Oberst jetzt von anderer Seite in Anspruch genommen und gab ihn frei.

Inzwischen begrüßte Professor Wehlau die Gräfin Steinrück, die er seit mehreren Jahren nicht gesehen hatte, und wurde von ihr mit großer Freundlichkeit empfangen. Sie vergaß es nicht, daß er sich damals, bei dem Tode ihres Gatten, mitten aus einer wichtigen und dringenden Arbeit gerissen hatte, um an das Sterbebett des Grafen zu eilen. Auf seine Erkundigung nach ihrem Befinden klagte sie über ihre zunehmende Kränklichkeit und ließ den Wunsch durchblicken, seinen Rath in Anspruch zu nehmen, obwohl sie wußte, daß er sich längst von der ärztlichen Thätigkeit zurückgezogen hatte. Der Professor kam ihr artig entgegen mit der Erklärung, daß er ihr gegenüber stets eine Ausnahme mache und ganz zu ihrer Verfügung stehe, und Beide waren im besten Einvernehmen, als die Dame unglücklicher Weise ein verfängliches Thema berührte.

„Ich habe mich für morgen bei Ihrem Sohne angemeldet,“ sagte sie. „Wie ich von ihm höre, ist sein großes Bild fast ganz vollendet und soll in der nächsten Woche ausgestellt werden. Ich möchte es aber vorher noch einmal allein im Atelier sehen, da es doch bereits mein Eigenthum ist. Sie wissen das vermuthlich?“

„Ja,“ entgegnete lakonisch der Professor, dessen gute Laune sofort dahin war. Hans hatte ihm bereits triumphirend verkündigt, daß sein Werk noch auf der Staffelei verkauft sei, und zwar an die Gräfin Steinrück, die jetzt unbefangen fragte:

„Nun, und was sagen Sie denn zu diesem Werke unseres jungen Künstlers?“

„Gar nichts! Ich habe es noch nicht angesehen,“ gab Wehlau schroff zur Antwort.

„Wie? Das Atelier liegt ja doch im Garten Ihres Hauses.“

„Leider! Aber ich habe noch keinen Fuß hineingesetzt und werde es auch nicht thun.“

„Noch immer so unversöhnlich?“ fragte die Gräfin vorwurfsvoll. „Ich gebe ja zu, daß der Streich, den Ihr Sohn Ihnen gespielt hat, ein wenig arg und übermüthig war; aber Sie müssen sich doch nun wohl selbst überzeugt haben, daß eine derartig begabte und veranlagte Natur für die kalte, ernste Wissenschaft nicht geschaffen ist.“

„Da haben Sie Recht, Frau Gräfin!“ fiel der Professor mit einem sehr herben Tone ein. „Der Junge taugt zu nichts Ernstem und Vernünftigem, so mag er denn meinetwegen Maler werden!“

„Denken Sie so niedrig von der Kunst? Ich dächte, sie wäre der Wissenschaft ebenbürtig.“

Wehlau zuckte die Achseln mit dem ganzen Hochmuth des Gelehrten, der überhaupt keinen Beruf dem seinen ebenbürtig hält, und dem die Kunst mehr oder minder für eine Spielerei gilt.

„Nun ja, es ist recht hübsch, Bilder in seinen Salons zu haben, das leugne ich gar nicht, und Sie haben ja in Berkheim eine ganze Galerie davon. Da wird wohl auch diese neueste Errungenschaft noch Platz finden.“

Die Gräfin sah ihn befremdet an.

„Sie scheinen den Gegenstand des Gemäldes nicht zu kennen, es ist ja für die Kirche in Sankt Michael bestimmt.“

„Für die Kirche?“ fragte Wehlau befremdet.

„Gewiß, da es ein Heiligenbild ist.“

Jetzt fuhr der Professor in die Höhe.

„Was? Mein Sohn malt Heiligenbilder?“

„Allerdings! Hat er Ihnen denn nie davon gesprochen?“

„Er wird sich hüten! Und Michael hat mir auch keine Silbe davon gesagt, trotzdem er zweifellos um die Geschichte weiß.“

„Das ist wohl nicht anders möglich, denn Hauptmann Rodenberg hat Modell dazu gestanden.“

„Nun, das mag ein schöner Heiliger geworden sein!“ brach der Professor mit grimmigem Lachen aus. „Der Michael paßt auch gerade dazu! Sind die Jungen denn alle Beide verrückt geworden? – Entschuldigen Sie, Frau Gräfin, ich fühle, daß ich grob werde, aber das übersteigt alle Begriffe, das ist – darüber muß ich mir Gewißheit holen!“

Er machte eine kurze Verbeugung und schoß davon, so eilig, daß er fast eine junge Dame streifte, die halb verborgen in der Fensternische, hinter dem Sitze der Gräfin stand und ihm ganz erschrocken nachblickte.

„Kommst Du endlich zum Vorschein, Gerlinde?“ fragte die Gräfin, sich umwendend. „Kind, was soll daraus werden, wenn Du Dich beim Eintritt in die Gesellschaft sofort hinter die Fenstervorhänge flüchtest! Du hättest eine der Berühmtheiten der Residenz kennen gelernt, wenn Du Dich nur gezeigt hättest.“

Das junge Mädchen war in der That erst in diesem Augenblick hervorgetreten und fragte nun schüchtern:

„Dieser grimmige Herr, der die Heiligenbilder nicht leiden kann –?“

„Ist einer der ersten Forscher der Gegenwart, eine gefeierte Größe der Wissenschaft, und deßhalb muß man ihm schon einige Schroffheit hingehen lassen; er ist überhaupt eine etwas cholerische Natur.“

Gerlinde blickte noch immer ängstlich dem Professor nach. In der Unterredung, die sie mit angehört hatte, war kein Name genannt worden, der sie hätte aufklären können, und es kam auch jetzt nicht dazu; denn soeben wurde das Zeichen zum Beginn der Vorstellung gegeben, und die ganze Gesellschaft fluthete nach dem Saale, wo sich die Bühne befand.

Hans Wehlau bedeckte sich an dem heutigen Abende mit Ruhm. Die Bilder, die er, nicht nach vorhandenen Gemälden, sondern nach seinen eigenen Ideen, an allbekannte Sagen oder Dichtungen anknüpfend, gestellt hatte, machten seinem Künstlertalent alle Ehre. Jedes einzelne war eine Schöpfung an sich, und so oft sich der Vorhang hob, gab es eine neue Ueberraschung.

Der eigentliche Triumph des Abends fiel jedoch der Gräfin Hertha Steinrück zu, die im reichsten phantastischen Kostüm als Loreley auf einem Felsen thronte. Hans wußte sehr gut, warum er dies Bild als letztes gewählt hatte und die junge Gräfin allein in dem Rahmen erscheinen ließ, ohne ihr irgend einen Gefährten zu geben. Ein Ah! der Bewunderung ging wie ein Rauschen durch die Zuschauermenge bei diesem Anblick, der Alles, was man bisher gesehen hatte, in den Schatten stellte. Es war in der That, als sei die Gestalt der Sage lebendig geworden mit ihrem ganzen berückenden Zauber.

Sogar Professor Wehlau vergaß für einige Minuten seinen Aerger, den er während der ganzen Vorstellung hatte aufsparen müssen, und war nur Anschauen und Bewunderung; als aber nun der Vorhang gefallen war und der jugendliche Regisseur mit sämmtlichen Mitwirkenden im Saale erschien, da wallte ihm die Galle wieder auf, und er versuchte seines Sprößlings habhaft zu werden. Das war jedoch nicht so leicht; denn Hans war der allgemein Gesuchte, Unentbehrliche; Hans wurde von allen Seiten mit Lob und Schmeicheleien überhäuft; er theilte den Triumph

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_686.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2022)