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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

höchst leidenschaftlichen Seele liebte, gestand mir unter vier Augen, er habe meiner Mutter Gleichen in seinem Leben nicht gesehen, und einen überzeugenderen Beweis heilloser Charakter- und Herzensschwäche habe noch kein Mann gegeben, als ihn der Herzog gab in dem traurigen Muth, diesen Engel von seiner Seite zu lassen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß jetzt öfter als vorher zwischen mir und dem Grafen die Rede auf den Herzog kam, nachdem meine Mutter den eben so feinfühligen wie klugen und gewandten Mann bezüglich ihres Verhältnisses zu dem letzteren in ihr volles Vertrauen gezogen hatte. Er billigte durchaus ihren Entschluß, dem Herzog auch nicht das scheinbar bedeutungslose Zugeständniß eines Wiedersehens zu machen und, als derselbe in seinem Drängen auch jetzt nicht nachließ, selbst den bisher gepflogenen Briefwechsel abzubrechen. – „Es läge ja scheinbar in meinem und Adele’s Interesse,“ sagte er, „wenn ich Deiner Mutter (wir nannten uns seit einiger Zeit Du) den entgegengesetzten Rath ertheilte. In der Freude des Triumphes einer Aussöhnung mit Deiner Mutter und Dir würde der Herzog auch mir und Adele unsere Sünden vergeben, und der Himmel weiß, wie gern ich Adele wieder in ihren vielgeliebten immergrünen Wäldern sähe! Aber, ganz abgesehen von Dir und mir, die wir dann nur das Ehrenkleid unserer Ueberzeugungen ablegen könnten, um dafür die ,Livree des ewigen Lügners’ zu tragen – ich bitte um Entschuldigung, wenn ich wieder einmal falsch citire – das Ganze wäre ja doch von keinem Bestand. Ja, wäre noch etwas für unsere Zwecke bei ihm zu holen! Ein Fürst, und herrschte er über ein paar Quadratmeilen, der sich auch nur in der Theorie – mehr verlange ich von einem Fürsten nicht – zu unseren Grundsätzen bekennte, wäre ein Gewinn, für den ich ein namhaftes Opfer auf Kosten meines persönlichen Wohlbehagens bringen würde. Daran ist bei ihm nicht zu denken. Es ist auf ihn in der Politik so wenig Verlaß wie in der Liebe. Ich habe es 1866 erfahren. Es lag nicht in unserem Interesse – obgleich wir der Welt ganz andere Ansichten vorspiegelten – Preußen so schnell zu seinem Ziele kommen zu lassen. Wir agitirten, unter uns gestanden, ein wenig in diesem Sinne, und ich war für Süddeutschland mit einer besonderen Mission betraut, der selbstverständlich ein harmloses privates Mäntelchen umgehängt war. Ich fand bei ihm die wärmste Aufnahme, das offenste Verständniß für ,unsere Ideen’. Er hatte mir die bündigsten Versicherungen gemacht, sogar verbrieft – ich habe die Papiere noch und könnte, wenn ich wollte, ihn dadurch in die ärgste Verlegenheit bringen – als das rasche Vorgehen Preußens ihm auf die Nagel brannte und – aber weßhalb die alten Geschichten aufrühren! Nein, Deine Mutter hat Recht: der ritzt sich nur die Finger blutig, der Feigen pflücken will von dem Dornstrauch.“

Pahlen und Adele waren jetzt fast allabendlich Gäste im Salon meiner Mutter, welche noch immer im Hötel wohnte. Auch der Oberst und Adalbert kamen, wenngleich seltener und, zu, meinem Kummer, nicht ohne den Reiz und den Zauber unsrer kleinen Gesellschaft in etwas abzuschwächen. Zwischen Ellinor und ihrem Vater wollte sich noch immer kein behagliches Verhältniß gestalten. Ellinor empfand, daß der Vater nicht sowohl an ihrer Liebe zu mir zweifelte, als an ihrer Kraft, dieser Liebe durch jedes widrige Geschick treu zu bleiben; und sie fühlte sich durch diesen Zweifel tief gekränkt, in welchem sie nur eine Fortsetzung des alten Mißtrauens sah, mit dem er sie stets behandelt und eben dadurch den Keim zu der späteren Entfremdung zwischen ihnen gelegt habe. – „Aber ich werde ihm beweisen,“ rief sie, „daß man ein Weltkind sein kann, wie es, Gott sei Dank, auch Deine köstliche Schwester ist, und doch keine Wetterfahne zu sein braucht, für die er mich zu halten scheint – er und Dein Freund Adalbert, in dessen Gegenwart ich das Frösteln nie verlernen werde.“

Ich konnte ihr das Letztere wenigstens nachfühlen. Hatte ich doch dieselbe Empfindung in der ersten Zeit meiner Freundschaft mit dem verschlossenen Menschen oft genug selbst gehabt; und mußte ich doch immer an die seltenen Augenblicke denken, in denen er mir sein Herz geöffnet hatte, um nicht auch jetzt noch an ihm irre zu werden und, wie Ellinor, zu glauben, daß er für jedes Gefühl der Liebe, ja jede Regung, wie sie sonst die Herzen anderer Menschen durchzittert, unempfänglich sei. Merkwürdigerweise war es gerade meine Mutter, die, wenn in seiner Abwesenheit Aeußerungen der Art, nicht nur von Ellinor, sondern auch von Adele, selbst von Graf Pahlen über ihn gemacht wurden, stets auf das Entschiedenste, ja Leidenschaftlichste seine Partei nahm.

Von der Ansicht ausgehend, daß alle meine Freunde auch ihre Freunde werden müßten, hatte meine Mutter keine Zeit verloren, Frau von Werin und Maria aufzusuchen, die nicht minder wie Adalbert, ja in fast noch höherem Grade ihre Bewunderung erregten, wohl, weil sie sich denn doch in das Leben und Wirken der Frauen besser hineindenken konnte, als in das des Mannes. Sie nannte das Erziehungswerk der Frau von Werin ein ebenso kühn-geniales, wie bei der Lage der socialen Dinge nothwendiges Vorgehen, von dem sie nur bedauere, daß es nicht auf amerikanischem, sondern auf europäischem Boden geschehe, dessen Unfruchtbarkeit der Entwicklung solcher Zukunftskeime allzu ungünstig sei. Aber auch nur, wie die geniale Frau es thue, auf den Rettungsweg aus dem socialen Labyrinth hinzuweisen, sei ein unendliches Verdienst. Auch zweifle sie nicht, daß sich Frauen in Deutschland finden würden, das Angefangene fortzusetzen, vielleicht mit größeren Mitteln in größerem Maßstabe, und so dazu beizutragen, die Zukunft vorzubereiten. Denn diese werde doch zur Massenerziehung greifen müssen, nicht zu der heutigen, wo das moralische und materielle Elend in den Hütten der Armuth immer wieder einreihe, was in den öffentlichen Lehranstalten so mühsam aufgebaut sei, sondern zu einer, die das junge Menschenkind mit Leib und Seele nehme, es hege, pflege, kräftige und nicht eher aus ihrer Zucht entlasse, als bis es in die Schar der Erwachsenen eingereiht werden könne, welche, bereits das geprüfte Ergebniß eben derselben Erziehung, das neue Material für ihre großen Zwecke zu verwerthen ebenso willig wie befähigt sei.

Mir war kein Zweifel, daß, wenn die Mutter mit Geist und Feuer solche Gedanken klar legte, sie es ganz besonders auf Ellinor abgesehen hatte, für welche dies dann allerdings höchst befremdliche, verwunderliche Dinge waren, die sie indeß doch aus dem Munde der Letzteren besser hörte, als aus dem meinen. Denn so schien Alles absichtslos gesagt zu sein, was bei mir absichtsvoll geklungen und deßhalb meine schöne Zuhörerin nur verstimmt haben würde. Wenn sie dennoch bei den Reden der Mutter ihre großen Augen oft noch größer machte, so ängstigte mich das nicht mehr. Hatte doch die kühne Frau die Leistungsfähigkeit ihrer Schülerin mit dem besten Erfolge auf eine andere nicht minder schwierige Probe gestellt, indem sie dieselbe in die Häuslichkeit meines Bruders Otto einführte und so mit kleinbürgerlichen Verhältnissen bekannt machte.

Wie deutlich ich mich des Abends erinnere, als ich die Geliebte sah, nachdem sie am Vormittage zum ersten Male mit der Mutter dort hinten in dem äußersten Osten Berlins, wohin sie noch nie die aristokratischen Füße gesetzt, die „Bautischlerei von Otto Lorenz“ besucht hatte! Unsere Gesellschaft war besonders vollzählig und in besonders heiterer Laune, Dank der Mutter, die, wie immer, der Mittelpunkt war, von dem Licht und Wärme ausging, und die heute von Geist, Liebenswürdigkeit und Schönheit geradezu strahlte. Das geliebte Mädchen saß stumm da, mit niedergeschlagenen Augen, die sie nur manchmal zu mir erhob mit einem Ausdruck, über welchen ich hätte lächeln können, wenn er nicht so rührend hilflos gewesen wäre mit seiner bangen Frage: Das war Dein Heim, als wir uns bei Maria trafen? Von diesen Menschen kamst Du? Zu diesen Menschen kehrtest Du zurück? Mit ihnen hast Du so lange dieselbe Luft geathmet, gearbeitet, gesorgt, Leid und Freud getheilt? Das war kein Scherz, wie ich wähnte, war furchtbar ernste, grauenhaft prosaische, ganz ordinäre – war Deine Wirklichkeit? Und in dieser gedachtest Du zu bleiben, wärest Du geblieben, hätte der Zufall es nicht anders gewollt? Und ich bin gar nicht sicher, ob Du nicht unter Umständen wieder in sie zurück willst, um mich dahin mitzunehmen? Mich dahin! großer Gott!

Das las ich aus den starren, angstvoll fragend blickenden Augen.

Und dann winkten mir diese in das stille Nebenzimmer, wo die leidenschaftlich Aufgeregte mir um den Hals fiel und, mich an sich pressend, sich an mich schmiegend, zwischen Lachen und Weinen murmelte: „Es ist Alles ganz gleich. Mag es kommen, wie es will: Du läßt nicht von mir, ich nicht von Dir, Du ganz unsäglich geliebter, verrückter Mensch!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_655.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)