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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

das Ende, kann es wenigstens sein und muß es sein, wenn Jemand durchaus mit dem Kopfe durch die Wand will. Ueberzeugungen hin, Ueberzeugungen her – Sie haben Ihren Ueberzeugungen nur schon zu viele Opfer gebracht. Und wem nützen Sie damit? Die Welt geht drum doch ihren Gang. Ja, wenn Alle so dächten, wie Sie! Aber ich will meinen Kopf fressen, wenn unter all den Menschen da neulich in der Versammlung, wenn unter allen Socialdemokraten auf der Welt auch nur Einer ist, der nicht mit beiden Händen zugriffe, würde ihm geboten, was Ihnen geboten wird!“

„Von Ihnen!“ stieß ich hervor.

„Ah!“ sagte er langsam; „also das ist es! Nun denn, diese Handschrift werden Sie ja wohl noch kennen!“

Er hatte ein Blatt vor mich hingelegt, auf dem nichts weiter stand, als: „Ich gebe Ihnen plein pouvoir. Sie können ihm im äußersten Falle dies zeigen.“

Weißfisch deutete auf die letzten Worte. In seinen hellen Augen, als ich jetzt, sprachlos vor Staunen und Schrecken, zu ihm aufblickte, glitzerte ein triumphirendes Lächeln.

Das Lächeln gab mir die Besinnung wieder.

„Sie haben mich verrathen!“ rief ich.

„Das ist ein hartes Wort,“ sagte er, während er mit jetzt auch lächelndem Munde das Papier wieder faltete und in die Taschen gleiten ließ.

„Nicht zu hart für Sie! Ich hatte Sie gebeten, ich hatte Ihnen befohlen, daß Sie mein Geheimniß bewahren wollen, und Sie haben es mir versprochen. Gehen Sie!“

„Wann darf ich morgen wiederkommen?“

„Nicht morgen und nie: ich will Sie nicht wiedersehen.“

„Das ist Ihr letztes Wort?“

„Es ist mein letztes, so wahr Sie ein –“

„So wahr ich was bin?“

Das noch eben lächelnde Gesicht hatte sich zu einer gräulichen Fratze verzerrt, aus der ein paar giftige Augen stierten. Er knirschte durch die starken Weißen Zähne: „Hüten Sie sich! Wie ich Ihnen nützen kann, so kann ich Ihnen schaden. Hoch oder niedrig, mich hat noch Niemand ungestraft beleidigt. Und zwischen uns Beiden ist noch nicht aller Tage Abend. Merken Sie sich das!“

Er stand vor mir, die beiden starken Fäuste krampfhaft geballt, daß die Knöchel zu weißen Flecken wurden, wie sie auch auf seinem zornglühenden Gesicht hervortraten. Ich fürchtete mich nicht; aber es ekelte mich; ich wies schweigend nach der Treppe, welche von dem Werkstattboden nach unten führte, wo sie mit einer Thür verschlossen war.

„Sie jagen mich fort!“ schrie er, „wie Ihr sauberer Herr Vater und wie der Lump von Kammerherr, der übrigens ebenso gut Ihr Vater sein kann, Sie –“

„Hinaus!“ schrie ich aufspringend.

Er prallte zurück, feig wie er war, vielleicht in Erinnerung meiner Körperkraft, von der ich ihm früher manche Proben gegeben hatte. Und dann war sein Blick auf meinen kranken Arm gefallen. Er lachte höhnisch: „Wie die Natterbrut zischt! Ich will ihr einen Denkzettel auf das glatte Fell geben!“

Und er griff seitwärts auf dem Tische nach dem schweren Hammer, mit dem er vorhin gespielt hatte, zog aber blitzschell die Hand zurück mit einem erschrockenen Blick nach der Treppe, der ich gerade jetzt den Rücken zugewandt hatte, um nun auch dahin zu blicken und kaum minder zu erschrecken als der Rasende.

Auf der letzten Stufe der Treppe stand der Oberst von Vogtriz, vielmehr hatte gestanden; denn schon war er mit ein paar raschen Schritten zwischen mir und Jenem, der nun den Kopf hängenließ und scheu zurückwich, wie eine Bestie vor der Peitsche des Bändigers, nach der Treppe zu, in die ich hinabtauchte.

Der Oberst war ihm bis zu dem Treppenansatz gefolgt, wohl um sich zu überzeugen, daß der Mensch wirklich fort und die Thür unten geschlossen war.

Jetzt kam er wieder zu mir zurück und blieb vor mir stehen, während die schönen dunklen Augen mit dem Ausdruck unsäglichen Mitleids auf mir verweilten, der ich mich kaum auf den schwankenden Knieen hielt und von Fieberschauern der Erregung geschüttelt wurde.

„Armer Junge,“ sagte er leise, „armer Junge! Ich weiß Alles von Deiner Schwester – seit einer Stunde. Wäre ich doch schon an jenem Tage meiner Ahnung und meinem Herzen gefolgt!“

Er hatte mich an seine Brust gezogen, wie damals, als er das Kind in seinen Armen emporhob, und ich es nur noch eben wieder geträumt hatte.

War es abermals ein Traum, so mochte mich ein gütiger Gott vor dem Erwachen bewahren!

Siebentes Buch.
1.

Man rühmt den Hellblick der Liebe, welcher ein Augenblick genügt, um unter so vielen, die scheinbar alle dieselben Ansprüche an sie erheben können, mit untrüglicher Sicherheit das eine, unvergleichliche Wesen zu entdecken und eine Entscheidung für das Leben zu treffen. Aber auch in der Freundschaft müssen ähnliche geheimnißvolle Kräfte walten, oder die tiefe Innigkeit des Verhältnisses zwischen dem Oberst und mir von dem ersten Tage an, daß sein Auge mich, mein Auge ihn erblickt, wäre ein unerklärliches Phänomen. Hatte auf das empfängliche Gemüth des Knaben die ritterliche Erscheinung des Mannes in jener Stunde, als er zu dem Vater in die Werkstatt trat, einen unauslöschbaren Eindruck gemacht, war umgekehrt wieder das Kind, das er dort hatte sitzen und mit wundernden Augen zu ihm aufblicken sehen, dem Manne sofort und für immer ans Herz gewachsen. An ein Herz, das zu jener Stunde von dem jähen Verlust des einzigen heißgeliebten Sohnes zerrissen war. Wie gern hätte er das fremde Kind, das dem verlorenen so ähnlich sah, nie wieder von sich gelassen! Und hatte es nun doch lassen müssen, um ein anderes vereinsamtes, liebebedürstiges Herz nicht zu zerreißen.

So war er still bescheiden in seine Einsamkeit zurückgekehrt, aber das Bild des fremden Kindes, welches ihm doch wie sein eigenes war, hatte ihn begleitet. Oft und oft hatte er sich gefragt: wie mag es sich entwickelt haben? was mag aus ihm geworden sein? aber er hatte sich nicht, was er ja leicht gekonnt, selbst davon überzeugen mögen: er hatte seinem Herzen nicht getraut.

Und dann der Schmerz, wenn es nicht gehalten hätte, was es versprach, dem Suchenden ein roher ungefüger Knabe entgegengetreten, und die schöne Illusion, die er schon nicht mehr entbehren mochte, für immer verloren gewesen wäre! Da sollte ich ihm nun doch wieder begegnen, ganz der, wie ihn seine Phantasie ausgebildet hatte: das Ebenbild der erhöhten Traumgestalt seines verstorbenen Sohnes. Und abermals hatte er den Kampf durchkämpfen müssen zwischen seiner Sehnsucht nach Kindesliebe und der Achtung fremden Herzensbesitzes und hatte sich abermals überwunden, diesmal in so fern leichter, als er in einen Krieg zog, aus dem er nicht wieder zurückzukehren glaubte. War doch sein ganzes Soldatenthum eine einzige lange Vorbereitung für diesen Krieg, und wäre doch der Tod in dem Entscheidungskampfe für ihn die Erfüllung seines Lebens gewesen! Es hatte nicht sein sollen; es hatten ihm die Bitternisse nicht erspart werden sollen, die ihm jetzt von denen zu kosten gegeben wurden, welche in ihm einen Abtrünnigen sahen, weil er die Aufgaben des Staates anders auffaßte, als sie.

Nun war er wieder in der Heimat, in seiner alten Garnison, und seine ersten Erkundigungen hatten mir gegolten. Aber ich war verschollen und blieb für ihn verschollen. Von meinem kurzen Aufenthalte am herzoglichen Hofe hatte er erst viel später, als er nach Berlin und in das Kriegsministerium versetzt wurde, durch den Kammerherrn gehört, auch bei der Gelegenheit gewisse Andeutungen, denen er nur ein halbes Ohr geschenkt, da er die böse Zunge des Mannes kannte und wußte, daß dieselbe nie böser war, als wenn sie auf den Herzog zu sprechen kam. Und endlich, nachdem er die Hoffnung, mich je wieder zu sehen, vernünftiger Weise längst hätte aufgeben müssen und sie trotzdem im stillen Herzen weiter und weiter gehegt hatte, die Erfüllung seiner Sehnsucht über das denkbare Maß hinaus. Wie hätte er auch denken können, daß die Aehnlichkeit des fremden Kindes mit seinem verstorbenen Kinde mehr sei, als ein Spiel des Zufalls? daß es kein fremdes, daß es von seinem Stamme war und der Gleichklang der Seelen aus den innersten geheimnißvollen Tiefen der Natur herauszutönen schien?

„Ob ich Dich freilich ohne das minder lieb haben würde, ist mir sehr zweifelhaft,“ sagte er. „Du würdest darum doch

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