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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

gehörntes Ungethüm, mit qualverzerrten Zügen, dessen Körper in einem Schlangenleibe endigte. Dazu zuckten blutrothe Flammen aus der Tiefe empor und von oben schaute eine Glorie von Engelsköpfen herab. Das Ganze war ohne jeden künstlerischen Werth.

„Das soll nun Sieg und Kampf bedeuten!“ sagte Hans Wehlau, der vor dem Bilde stand und es betrachtete. „Sankt Michael steht so feierlich gemüthlich auf seiner Wolke, als ob ihn der Gottseibeiuns da unten gar nichts anginge, und wenn der gescheit ist, so greift er zu und packt das Schwert, das gerade über seiner Nasenspitze schwebt; so hält man doch keine Waffe! Wie ein Adler müßte er aus der Höhe niederstoßen, und wie ein Sturmwind müßte er den Satan packen und vernichten, aber in den langen Gewändern soll er das Fliegen wohl bleiben lassen, und den Flügeln da glaubt man es überhaupt nicht, daß sie ihn tragen, sie sind viel zu schwach.“

„Du hast eine höchst respektlose Art, die Heiligenbilder zu kritisiren!“ sagte Michael, der neben ihm stand. „In dem Punkte bist Du wirklich der Sohn Deines Vaters.“

„Es käme darauf an! Weißt Du, daß ich Lust hätte, selbst ein solches Bild zu malen? Sankt Michael und der Satan – der Kampf des Lichtes mit der Finsterniß! Aus dem Stoff ließe sich etwas machen, wenn man ihn energisch angreift, und das Modell dazu habe ich ganz in der Nähe.“

Er wandte sich plötzlich um und sah seinem Freunde voll ins Gesicht, der den Blick mit einigem Befremden zurückgab.

„Was fällt Dir ein? Ich habe doch sicher –“

„Nichts Engelhaftes! Nein, wahrhaftig nicht, und unter den himmlischen Heerscharen, die in weißen Kleidern mit Palmenzweigen im Aether herumschweben, würdest Du eine sehr komische Figur spielen. Aber so mit dem Flammenschwerte auf den Feind losgehen und ihn niederwerfen, wie Dein heiliger Namensvetter, das ist ganz Dein Fall. Natürlich müßte man sehr idealisiren, denn hübsch bist Du gar nicht, Michael, aber was man zu solcher Gestalt braucht, das hast Du, besonders wenn Du wüthend bist. Jedenfalls würdest Du einen weit besseren Erzengel abgeben, als der da oben!“

„Thorheit!“ sagte Michael, indem er sich zum Gehen wandte.

„Uebrigens mußt Du jetzt aufbrechen, Hans, wenn Du zu Fuß nach Tannberg zurück willst. Du hast vier Stunden bis dahin.“

„Auf der langweiligen Fahrstraße, die ich natürlich nicht benutze; ich gehe mitten durch den Bergwald, das ist näher.“

„Und dabei verirrst Du Dich gründlich! Du kennst ja die Gegend nicht so genau wie ich.“

„Ich werde mich schon zurechtfinden,“ sagte Hans, während sie die Kirche verließen und ins Freie traten. „Wenigstens werde ich in Tannberg nicht mehr mit einem grimmigen Gesicht empfangen. Ich bin froh, daß der Papa fort ist, und ich glaube, das ganze Haus hat mit mir aufgeathmet. Er hing ja zuletzt wie eine Donnerwolke über uns Allen, man mußte fortwährend auf Blitz und Schlag gefaßt sein.“

„Es war schließlich das Beste, daß er den Aufenthalt abkürzte und nach Hause zurückkehrte,“ entgegnete Michael ernst. „Bei seiner fortwährenden Gereiztheit und Erbitterung wäre es noch zum offenen Bruche gekommen. Ich wollte das um jeden Preis verhüten und redete ihm daher selbst zu, abzureisen.“

„Ja, Du hast mich nach Kräften gedeckt. Du und die Tante, Ihr standet wie zwei Friedensengel an meiner Seite und schirmtet mich mit Euren Flügeln, aber viel hat das auch nicht geholfen, der Papa war gar zu grimmig. Du warst noch der Einzige, der mit ihm auskam.“

„Und deßhalb schickst Du mich regelmäßig zuerst ins Feuer, wenn es etwas durchzusetzen gilt.“

„Natürlich, denn Du riskirst gar nichts dabei. Papa behandelt Dich immer äußerst respektvoll, selbst wenn Ihr verschiedener Meinung seid. Merkwürdig – vor mir hat er nie Respekt gehabt!“

„Hans, sei vernünftig und treibe nicht schon wieder Possen,“ sagte Michael verweisend. „Ich dächte, Du hättest allen Grund, ernsthaft zu sein.“

„Mein Gott, was soll ich denn thun! Ich habe nun einmal kein Talent zu der Rolle des zerknirschten Sünders. Wenigstens hast Du mir die allerhöchste Erlaubniß ausgewirkt, in Tannberg zu bleiben, so lange Dein Urlaub währt, und wenn wir nach Hause zurückkehren, wird sich der Sturm wohl einigermaßen gelegt haben. Doch da ist der Weg! Bringe dem Onkel Valentin noch einen Gruß von mir. Ich habe ihn wieder einmal ,kompromittirt‘ durch meinen Besuch, als Sohn meines Vaters, aber er hat es ja selbst gewollt. Auf Wiedersehen, Michael!“

Er winkte seinem Freunde noch einmal zu und schlug dann einen Seitenweg ein, der bergabwärts führte. Michael sah ihm nach, bis er zwischen den Tannen verschwand; dann trat er gleichfalls den Rückweg nach dem Dorfe an.

Er befand sich seit einigen Tagen in Sankt Michael, und gestern hatte auch Hans dort einen kurzen Besuch abgestattet. Es war ein seltener und langersehnter Besuch für den Pfarrer, der es schmerzlich genug empfand, daß seine nächsten Angehörigen ihm für gewöhnlich fern blieben und bleiben mußten. Man machte ihm jeden Verkehr mit dem Bruder zum Vorwurfe, der allerdings der religiösen Richtung als erklärter Gegner gegenüberstand. Sie sahen sich nur in den Zwischenräumen von Jahren, wenn der Professor einmal bei den Verwandten in Tannberg war. Daß es aber dennoch bisweilen geschah, und daß sie in Briefwechsel standen, erklärte es vielleicht, wie Valentin Wehlau in dem einsamen Alpendorfe gelassen und – vergessen werden konnte.

Michael dagegen war in den letzten Jahren öfter bei seinem alten Freunde und Lehrer gewesen, aber der Lieutenant Rodenberg war eine völlig neue Erscheinung für die Bewohner von Sankt Michael, die sich kaum noch des blöden, scheuen Buben aus der Försterei erinnerten, den sie ja überhaupt nur äußerst selten zu Gesicht bekamen. Er hatte ihnen stets als ein Verwandter Wolfram’s gegolten, der auch dessen Namen führte, und die Bergförsterei war längst in anderen Händen. Graf Steinrück hatte seinem ehemaligen Jäger eine bessere Stellung mit reicherem Gehalte auf einem der Güter seines Mündels zugewendet, vielleicht als Belohnung für die geleisteten Dienste, vielleicht auch, weil er durch Nichts mehr an die Vergangenheit erinnert sein wollte, wenn er nach dem ihm jetzt gehörigen Schlosse kam. Jedenfalls hatte Wolfram schon vor zehn Jahren die Gegend verlassen und war nach seinem neuen Wohnorte übergesiedelt.

Als Michael in das Pfarrhaus zurückkehrte, das er vor einer halben Stunde in gewohnter Stille und Einsamkeit verlassen hatte, fand er dort eine seltsame Aufregung. In der Küche hantirte die alte Magd voll Eifer und Geschäftigkeit mit Töpfen und Pfannen, als gelte es ein Gastmahl zu rüsten. Sie hatte sich jedenfalls Hilfe aus den benachbarten Gehöften herbeigeholt, denn zwei junge Bauermädchen liefen treppauf, treppab, in den Giebelzimmern wurde geräumt und gelüftet, das ganze sonst so friedliche Hauswesen schien auf dem Kopfe zu stehen, und der Meßner verabschiedete sich soeben eilfertig und mit höchst wichtiger Miene, als Rodenberg in das Studirzimmer des Pfarrers trat.

In dem kleinen Raume hatte sich nichts verändert, es war noch die alte Einrichtung mit ihrer klösterlichen Einfachheit: die weißgetünchten Wände, der mächtige Kachelofen, das geschnitzte Krucifix in der Ecke, und auch noch die alten Möbel von schlichtem Tannenholz; die Zeit war an dem Allem spurlos vorüber gegangen, nur an dem Bewohner nicht.

Der Pfarrer hatte recht gealtert. Während sein Bruder, der allerdings um mehrere Jahre jünger war, sich noch die Kraft und Frische des Mannesalters bewahrt hatte, machte er bereits den Eindruck eines Greises. Die Gestalt war gebeugt, das Gesicht tief durchfurcht, das Haar weiß geworden, nur die Augen strahlten noch in dem alten milden Glanze und täuschten bisweilen hinweg über das Müde, Gebrochene der ganzen Erscheinung.

„Was giebt es denn, Hochwürden?“ fragte Michael etwas verwundert. „Das ganze Haus ist ja auf einmal in Unruhe und Aufregung, und die alte Katrin hat so vollständig den Kopf verloren, daß sie davonlief, ohne mir Rede zu stehen.“

„Uns ist ganz unerwartet ein Besuch angekündigt worden,“ entgegnete Valentin, „ein vornehmer Besuch, der schon einige Umstände beansprucht. Kaum warst Du mit Hans fort, so kam ein Bote mit einem Briefe der Gräfin Steinrück, sie wird in zwei Stunden hier sein.“

Der junge Mann, der eben im Begriff war, sich niederzusetzen, hielt betroffen inne.

„Gräfin Steinrück? Was will sie denn hier in Sankt Michael?“

„Den Wallfahrtsort besuchen. Die Gräfin ist eine sehr fromme Frau und versäumt das niemals, wenn sie im Schlosse ist.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_538.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)