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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

eigenthümliche örtliche Veränderungen in den Eigenschaften der Nerven angestrebt, und drittens, wenn Vorgänge speciell chemischer Natur im menschlichen Körper erregt werden sollen. Die dritte Stromesgattung, der unterbrochene oder faradische Strom, dessen Einführung in die Praxis wir dem französischen Arzte Duchenne de Boulogne verdanken, wird zumeist dann empfohlen, wenn es sich um eine Kräftigung des Muskelsystems, um Muskelübungen nach stattgehabten Lähmungen, um Hautreize sowie um eine Erhöhung der Thätigkeit der Unterleibsorgane und als Folge hiervon um Kräftigung des Gesammtorganismus bei Schwächezuständen handelt. Auch auf dem Gebiete der Chirurgie wird der elektrische Strom benutzt, und zwar theils zu Aetzungen, theils zur Zerstörung von Geschwülsten.

Die sogenannten elektromotorischen nerven- und Muskelpunkte des Armes und der Hand.

Leiten wir einen galvanischen Strom durch eine schwach salzhaltige Flüssigkeit, so wird letztere vollkommen zersetzt; die Salze zerspalten sich in ihre Urformen und begeben sich deren kleinste Theilchen, je nachdem sie geeigenschaftet, entweder an den positiven oder negativen Pol des eingeleiteten Stromes. Gleichzeitig zersetzt sich das Wasser in seine Bestandtheile, Wasserstoff und Sauerstoff. Wird nun in ähnlicher Weise ein elektrischer Strom in eine Geschwulst eingeleitet, entweder dadurch, daß man zwei befeuchtete, mit dem Strome in Verbindung stehende Platten auf die Geschwulst aufsetzt, oder daß man mit dem Strome verbundene Nadeln in die Geschwulst einsticht, so entsteht eine Zersetzung der in der Geschwulst vorhandenen Säfte; die Ernährung der Mißbildungen wird durch den elektrischen Strom beeinträchtigt; diese zerfallen allmählich in ihre Einzelbestandtheile und verschwinden nach mehrfacher Wiederholung des Experimentes allmählich vollkommen. – Die geheimnißvolle Heilwirkung des galvanischen Stroms auf das Nervensystem wird von hervorragenden Autoritäten theils ebenfalls auf chemische Wirkungen, theils auf noch nicht hinreichend erklärte Effekte zurückgeführt, durch welche die Ernährungsverhältnisse der Nerven im Allgemeinen gebessert und insbesondere die Schmerzen bei sogenannten Neuralgien gelindert werden.

Der galvanische und faradische Strom werden aber nicht nur in der Medicin zu Heilzwecken benutzt, sondern auch zur Erkennung von Krankheiten herangezogen. Während der galvanische Strom mehr über das Verhalten der Nerven Aufschluß giebt, zeigt der faradische Strom eine gesunde oder krankhaft afficirte Muskelthätigkeit an, welche bei beiden Stromesarten in eigenthümlichen, sichtbaren Muskelzuckungen zur Beobachtung gelangt. Aus derartigen Erscheinungen vermag der Arzt Schlüsse auf den Grad der Erkrankung des Nerven- und Muskelsystems zu ziehen.

Wie wichtig die Kenntniß der Anwendung elektrischer Ströme ist, geht aus unserer oberen Abbildung hervor, woselbst in den Arm eines Menschen diejenigen sogenannten Muskel- und Nervenpunkte eingezeichnet sind, an welchen die üblichen Elektrisirknöpfe aufgesetzt werden müssen, um unter Zuhilfenahme der richtig gewählten Stromstärke die gewünschten Wirkungen zu erzielen. In gleicher Weise sind über den ganzen menschlichen Körper zerstreut Nerven- und Muskelpunkte unter Zugrundelegung anatomischer und physiologischer Forschungen aufgefunden worden, die insbesondere bei den oben erwähnten elektrischen Untersuchungen des erkrankten Körpers eine bedeutende Rolle spielen und deren Kenntniß als die Grundlage der gesammten modernen Elektrotherapie aufzufassen ist. – Neben der Elektrisation einzelner Körpertheile wurde in den jüngsten Jahren in Folge bahnbrechender Arbeiten zweier amerikanischer Aerzte, Beard und Rockwell, noch die sogenannte allgemeine Elektrisation in den Bereich der Thätigkeit der Heilwirkungen des elektrischen Stromes gezogen und als ein Specifikum gegen eine Erkrankung des Nervensystems erkannt, welche heut zu Tage leider eine ungemeine Verbreitung gefunden hat. Die rasche Arbeit unserer Zeit, die Anforderungen, welche das moderne Kulturleben im Kampfe ums Dasein an den Einzelnen stellt, die Ueberanstrengung der Kräfte zu geistiger Arbeitsleistung sowie die moderne Genußsucht rufen bei vielen, welche der sogenannten gebildeten Klasse angehören, jene nervöse Abspannung hervor, die den vierzigjährigen Mann zum Greise umwandelt, dem jugendfrischen Weibe den Stempel der Bleichsucht auf die Stirn drückt und jenes vielgestaltige Nervenleiden zeitigt, das unter dem Namen der Neurasthenie oder Nervenschwäche in den jüngsten Jahren mannigfach beobachtet worden ist.

Hydro-elektrisches Bad mit Batterieschrank und Stromregulirungsapparaten.
Von R. Blänsdorf’s Nachfolger in Frankfurt a. M.

Die Ausübung der gegen dieses Leiden gerichteten, oben erwähnten Heilmethode ist aber sowohl für den behandelnden Arzt, als für den Patienten eine in hohem Grade zeitraubende und lästige, da täglich während etwa einer Stunde der gesammte Körper des Patienten mittelst geeigneter Instrumente elektrisch bearbeitet und befahren werden muß – Man hat in dem elektrischen Wasserbade einen Ersatz für jene Methode gefunden, eine Form der Elektrisation, welche ohne Belästigung für Arzt und Patient gestattet, die gesammte Körperfläche der einheitlichen Wirkung des Stromes auszusetzen. In der unteren Figur sehen wir eine elektrische Wasserbad-Einrichtung, wie solche in dem Großherzoglichen Friedrichsbade zu Baden-Baden, auf der Universitätsklinik zu Heidelberg sowie in einigen deutschen Privatheilanstalten für Nervenleidende neuerdings eingeführt worden sind. An der aus Holz gezimmerten Badewanne sind seitlich je drei und oben und unten je eine große, durch Holzrahmen verdeckte Metallplatte eingelassen, welche dem in dem Badewasser befindlichen Patienten elektrische Ströme von allen Seiten her zuführen; solche verdanken ihre Entstehung den in dem beistehenden Schranke befindlichen Apparaten. Der obere offene Theil des Schrankes enthält unter Anderem auch eigenthümliche Richtungsgeber des Stroms, mittelst deren es dem das Bad verabreichenden Arzte ermöglicht ist, in dem Wasser elektrische Strömung von den verschiedensten Stromstärken auf den badenden Körper einwirken zu lassen. Die unleugbaren Wirkungen der Methode, welche mittlerweile von verschiedenen deutschen Aerzten, insbesondere durch Hofrath Dr. Stein (Frankfurt a. M.) in dem Buche: „Die allgemeine Elektrisation zur Behandlung der Nervenschwäche“, sowie durch Dr. Eulenburg (Berlin) und Dr. Lehr (Wiesbaden) in deren Broschüren „Die hydroelektrischen Bäder“ Bestätigung gefunden haben, zeigen sich in folgenden Wirkungen; „besserer Schlaf, rasche und bleibende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_509.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2018)