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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

es ohne einen solchen nicht, was aber unmöglich der Fall sein kann, würde ich eher auf die ganze Reise verzichten. Der taktlosen Zudringlichkeit der dortigen Beamten und Fremden auszuweichen ist sehr nöthig. Hoffentlich ist für Uns ein wohnliches Privathaus an den Ufern des klassischen See’s zu bekommen!

Bürkel schrieb unter Anderem, es habe Aufsehen erregt, daß Sie Ihre projektirte Reise nach Kloster Neuburg plötzlich aufgegeben haben, da Ihr Vorhaben in weiten Kreisen bekannt gewesen sei. Ein kleiner, unauffälliger Vorwand hätte sich übrigens leicht finden lassen. Ich habe noch Manches zu ordnen und muß daher zum Schlusse eilen. Tausend herzliche Grüße, geliebter Bruder, theuerer Didier von

Ihrem  
freundschaftlich gesinnten  
Ludwig (Saverny). 

Berg, 25. Juni Nachts 1881.

Die beste Stunde der Abreise wird 10 Uhr Abends am Montag den 27. sein von Mühlthal aus.“

Was den „adeligen Kavalier“ betrifft, gegen dessen Begleitung sich der König so energisch auflehnte, so that der „gute Bürkel“ nur seine Pflicht, indem er dem König den adeligen Begleiter „aufzuschwatzen“ versuchte. Seiner Meinung nach war es ebenso gewagt als auch peinlich, den König ohne Adjutanten, ohne persönliche Vertretung aus dem Lande gehen zu lassen, da es doch anzunehmen war, daß das Inkognito nicht aufrechterhalten bleiben konnte.

Was nun die projektirte Reise Kainz’ nach Kloster Neuburg anbelangt, so war es stadtbekannt gewesen, daß er seine Ferienzeit dort verleben würde; es war denn auch begreiflich, daß sein plötzlich geänderter Beschluß Aufsehen machte und zu der Annahme führte, daß Kainz mit dem Könige zu reisen sich vorbereitete, was sich ja auch in Wahrheit so verhielt.

Die Schweizerreise wurde am 27. Juni 1881 begonnen und endete den 14. Juli. Kainz spricht von dieser Reise als einer im ethischen Sinne hoch genußreichen. Er leugnet nicht, daß sich manches Herbe einschlich, was in dem so intimen Verkehr, besonders aber in dem vertraulichen „Du“, das zufolge des königlichen Wunsches zwischen ihnen bestand, fast unausbleiblich war. Die Vertraulichkeit ihres Verkehrs, das völlige Aufeinanderangewiesensein, dazu die hinreißende Zuvorkommenheit, welche den König stets auszeichnete, ließ die Scheidewand, die in der Stellung des Künstlers zum Monarchen lag, völlig sinken, und so geschah es, daß sich im Laufe der Tage nicht mehr Künstler und König, sondern Mensch und Mensch gegenüberstand. Der Künstler mußte, da die Schranken immer mehr fielen, da er in dem König nur seinen Kamerad und Bruder sehen sollte, da sie als Didier und Saverny in den Hôtellisten eingetragen wurden, allmählich seine Scheu vor der Majestät verlieren, und bei der Ursprünglichkeit seines jugendlichen Herzens mochte er wohl des Oeftern zu weit über die Kluft der Stellungen hinweggesprungen sein, sich zu oft als bevorzugten Freund gefühlt haben, als berechtigt zu sprechen wie er mochte, und zu denken wie die Gedanken gerade kamen; es ereigneten sich gelegentlich kleine Scenen, die Mißstimmungen wecken mußten, und die beim König länger andauerten, als sie dem Gehalt der Sache nach anzudauern verdienten, und tiefer gingen, als es für den Augenblick den Anschein hatte.

Kainz sollte dies sehr bald erfahren. Er hatte auf Wunsch des Königs in Begleitung Hesselschwerdt’s eine Wanderung durch den beschneiten Surenenpaß gemacht. Des Königs Begeisterung für Schiller’s „Wilhelm Tell“ ließ ihn alle Stellen aufsuchen, die in dem Schiller’schen Drama namhaft gemacht sind, und es trieb ihn, dem Freunde jene Orte zugänglich zu machen, die ihm aus Schiller’s Versen ein so hohes Interesse entlockten.

Die Wanderung über den Surenenpaß währte drei Tage. Sie wirkte abspannend und ermüdend, und da sich dieser Wanderung noch ein Ausflug in das vom König über alle Maßen angeschwärmte Melchthal anschloß, geschah es, daß der Künstler, des Gehens ungewohnt und von der Anstrengung der viertägigen Reise angegriffen, im höchsten Maße ruhebedürftig war, als auf der Heimfahrt nach Villa Guttenberg in Brunnen ihm die Meldung gemacht wurde, daß der König ihn mit Spannung erwarte, um noch in derselben Nacht auf das Rütli zu steigen. Diese Aussicht wirkte auf Kainz niederschmetternd. Er begegnete dem König, der ihm lebhaften Auges und mit gespannter Miene entgegenkam, mit wenig herzlichem Gruß und antwortete auf die begeisterte triumphirende Frage des Königs: „Nun, wie war’s?“ mit einem halb mürrischen, halb trotzigen „Scheußlich!“

Es war Nacht, als sie das Rütli bestiegen – eine wunderbare leuchtende Nacht. Von dem Zauber der Umgebung hingerissen, wandte sich der König an den Freund und bat ihn, ihm die Melchthal-Scene vorzusprechen.

Uebermüdet, wie er war, vor Mattigkeit fast tonlos, lehnte Kainz ab.

Der König ließ nicht nach. Er gemahnte ihn an ein ihm gegebenes Versprechen, die Scene einst an richtiger Stelle vor ihm sprechen zu wollen.

Kainz weigerte sich. Mit der Müdigkeit verband sich noch bei ihm ein Gefühl von Unbehagen, in die stille Nacht hinein laute Sätze reden zu sollen. Der König bat zuerst, forderte dann und befahl zuletzt. Hier erwachte in dem Künstler der Trotz. Er blieb bei seiner Weigerung, und der Lönig wandte ihm ohne Weiteres den Rücken und ging davon.

Diese kleine Scene war’s, die dem Freundschaftsbund den ersten ernsten Riß gab. Kainz blieb, nachdem der König ihn verlassen hatte, noch auf dem Rütli. Gegen Morgen erst ließ er sich vom Förster über den See bringen. In den Zimmern des Königs brannte, da Kainz in der Villa eintraf, noch Licht. Er überwand den Wunsch, sich bei dem Könige noch melden zu lassen, und ging auf seine Zimmer. Als er spät am anderen Tage erwachte, sah er von seinem Fenster aus, wie der König das Schiff bestieg und in der Richtung nach Luzern fuhr.

Es war das erste Mal, daß König Ludwig ohne den Freund eine Partie machte, und Kainz fühlte sehr wohl, daß das Verhalten des Königs ein Zeichen seiner Ungnade war. Da es zwei Uhr Nachts wurde, ohne daß der König zurückkehrte, miethete sich Kainz, dessen Unruhe über das Vorgefallene von Stunde zu Stunde sich gesteigert hatte, einen Kahn und fuhr dem Schiffe des Königs nach. Sein Suchen blieb erfolglos. Um 10 Uhr Vormittags kehrte er in die Villa zurück. Der König war nicht zurückgekehrt. Für Kainz aber lag nachfolgendes kurzes Schreiben da:

  „Euer Wohlgeboren!

Auf Allerhöchsten Befehl sollen Sie heute Abend mit dem Extrazug in Ebikon eintreffen. In aller Achtung ergebenster
Ebikon, d. 14. Juli 1881. K. Hesselschwerdt.“ 

Der Ton des Schreibens, der darin enthaltene Befehl, der den Künstler von der Heimfahrt an der Seite des Königs ausschloß, war das erste Zeichen von Ungnade, in die Josef Kainz am Hofe Ludwig’s verfiel. Die Aussicht auf das Fortbestehen dieser Ungnade schreckte Kainz zu energischem Handeln auf. Den Extrazug zu benutzen, der Dienerschaft und Gepäck trug, fiel ihm nicht einen Augenblick bei. Mit dem Separatdampfer des Königs, der in Brunnen lag; fuhr er nach Luzern und von dort nach Ebikon.

Hier erwies sich’s zum andern Mal, wie tief die Neigung zum Freund bei dem König Wurzel gefaßt hatte. Mit einer Herzlichkeit ohne gleichen empfing er den Künstler und überschüttete ihn mit Liebenswürdigkeit.

Zusammen fuhren sie nach Luzern zurück. Ohne Rücksicht auf sein Inkognito fuhr der König durch die Stadt.

Auf die leise Mahnung des Freundes, doch auf das Inkognito zu achten, warf der König den Kopf zurück und antwortete: „Ah – bah – après nous nous le déluge!“

Die Reise nach München legten sie bis zur Grenze gemeinsam zurück. Es war spät Nachts, als sie sich trennten – Kainz um in seinen Adjutantenwagen zu treten, der König, um sich zur Ruhe zu begeben. – (Kainz hatte am Abend vorgelesen und zwar zum zweiten und letzten Male in seinem Leben.) Beim Abschied umarmte ihn der König und sah ihn lange an. Es war das letzte Mal, daß Kainz seinen König sah.

Einige Tage darauf erhielt Kainz vom König folgende Zuschrift:

  Neunter Brief:

„Lieber Herr Kainz! Doppelt theuer ist mir jetzt mein hiesiger Aufenthaltsort, da er mich durch den Namen an Sie erinnert (Kainzen-Hütte), obwohl ich dieser Mahnung nicht bedürfte,

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