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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

früher getrunken hatte, um die Lust zu erhöhen, jetzt trank, die Unlust und das heimlich nagende Gefühl seiner Ohnmacht zu ersäufen.

Die arme gute Frau Hopp! Sie liebte den Trunkenbold noch immer; nahm alle Schuld auf sich, die nicht besser zu wirthschaften verstanden, durch ihre schlechte Wirthschaft ihren braven Mann um sein Vermögen und dadurch zur Verzweiflung gebracht habe! Und wenn Christine über ihren alten guten Vater die Nase rümpfe, weil er manchmal in seinem Kummer ein Glas zu viel trinke, solle sie sich doch erst einmal fragen, ob sie ihm keinen Kummer bereite! Und wenn Karl Brinkmann in der Stadt herumgehe und seinen alten Herrn schlecht mache, selbst vor alten Freunden, wie ich doch einer sei – keinen Fuß sollte der Duckmäuser wieder über ihre Schwelle setzen! Sein Lamentiren und seine Begräbnißmienen habe sie schon lange satt. Und wenn er denke, er könne in ihrem Hause den Meister spielen, weil er seine paar Groschen in dem Geschäft angelegt habe, morgen solle er kommen und sie sich wieder holen, und sollten ihre letzten sieben Sachen dafür aufs Leihhaus wandern müssen!

Der arme Karl Brinkmann! Das war der Lohn für die Treue, mit der er aus freien Stücken der Familie seines Herrn in die Verbannung gefolgt war, dem hereingebrochenen Ruin mit Aufbieten aller seiner Kräfte, mit Hingabe seiner ganzen mühseligen Ersparnisse sich entgegenstemmte und in der Familie einzig und allein noch zwischen einem zur Noth erträglichen Dasein und der völlig unerträglichen verschlingenden Noth stand!

Wie oft War ich schon auf meinen Gängen durch die Stadt dem guten Kerl begegnet, während er in gleichmäßigem Trabe an mir vorüberkutschirte – Kutscher, Wagen und Pferd ein Bild der Tüchtigkeit und Sauberkeit – und er hatte mir dann, wenn er meiner gewahr wurde, zugenickt – auf dem jetzt von einem ergrauenden Bart beschatteten Gesicht ein Lächeln, das mir immer wie ein Gruß war aus der seligen Jugendzeit. Oder ein glücklicher Zufall hatte es auch gemacht, daß ich ihn auf dem „Stande“ traf und mir von ihm die neuesten Nachrichten aus dem H. H.’schen Quartier erzählen lassen durfte, in welches ich, nachdem es kürzlich von Moabit in das weitentfernte Innere der Stadt verlegt worden war, jetzt nur noch sehr selten kam.

So hatte ich ihn auch heute Abend getroffen. Ich hatte bis nach Feierabend in dem Kunze’schen Neubau, für welchen wir die Tischlerarbeit übernommen, zu thun gehabt und war auf dem Wege zu einer socialdemokratischen Versammlung, die in eben diesem inneren Stadttheile, aber erst zu einer späteren Stunde, stattfinden sollte. Brinkmann’s Wagen war der letzte in einer langen Reihe; er hatte eben eine „Zeitfuhre“ von zwei Stunden gehabt, und ich traf ihn, als er dem müden Gaul die Decke überbreitete (es war noch eine von den alten Decken mit dem H. H. in der Ecke – genau so eine, wie die, welche über des Vaters Lager gebreitet gewesen in seinem Kämmerlein hinter der Werkstatt). Wir standen, Brinkmann am Kopf seines Pferdes, noch auf den, Pflaster, ich am Rande des Trottoirs, im Scheine einer nahen Laterne; ich hatte dem alten Freunde gesagt, wohin ich wollte, und daß es das erste Mal sei, daß ich eine derartige Versammlung besuche – auf Zureden meines Mitgesellen, der für die neue Lehre schwärmte. So Waren wir in ein social– politisches Gespräch gerathen, und Brinkmann hatte als seiner Weisheit letzten Schluß sein System von dem Ursprung alles Elends auf Erden entwickelt. Ich konnte dem braven Menschen nicht ganz Unrecht geben, freilich auch bei weitem nicht ganz Recht; mochte ihn aber durch Widerspruch nicht kränken, um so weniger, als er heute Abend noch ganz besonders schwermüthig unter seinem harten glänzenden Hut aus den guten blauen Augen schaute. Ich fragte ihn, ob (ich brauchte nicht zu sagen: wo?) etwas besonders Unangenehmes vorgefallen sei?

„Besonderes? Daß ich nicht wüßte,“ erwiderte der Alte, seinem Pferd die Kinnkette aushebend und das Gebiß aus dem Maule nehmend; „es geht so weit Alles seinen Gang; bloß Karling und Liesing werden Wohl die Masern kriegen; aber sie sollen ja dies Jahr besonders gutartig sein, und, wenn Eines zu Hause krank ist, nimmt sich der Herr immer noch ein bischen zusammen, denn seine Kinder hat er doch lieb – das ist wahr, und deßhalb –“

Brinkmann hing dem Gaul die „Futterkiepe“ um.

„Und deßhalb?“ fragte ich.

„Es ist wegen der Christine,“ erwiderte er, sich den Hut ab– und aus demselben ein rothes Taschentuch nehmend, mit welchen, er sich nachdenklich die Stirn wischte.

„Was ist mit ihr?“ rief ich.

„Wer das wüßte,“ antwortete er, den Hut, bevor er ihn wieder aufsetzte, von allen Seiten betrachtend; „aber es ist nicht, wie es sein sollte. Ich glaube, es ist die alte Geschichte.“

„Das glaube ich nicht,“ sagte ich eifrig. „Ich kenne Schlagododro besser, wie Ihr. Mag er sich noch so sehr verändert haben in den vier oder fünf Jahren – einer Schlechtigkeit wird er niemals fähig sein.“

„Schlechtigkeit?“ sagte der Alte, dem Pferde leise, langsame Schläge auf den Hals gebend; „nein, schlecht ist es just nicht, wenn zwei junge Leute, noch dazu ein paar so schöne und stattliche, wie die Beiden, sich lieb haben. Aber wenn sie ein armes Mädchen ist, welches sich durch die Welt drücken muß, und er ein vornehmer Herr, dem die ganze Welt sperrangelweit offen steht, wie ein Scheunthor, dann sage ich, es ist dumm von ihr, wenn sie denkt, daß er sie jemals heirathen wird. Und posito den Fall, er heirathete sie, so wäre das wieder dumm von ihm, denn Art läßt nicht von Art, und es gäbe ein Unglück so oder so, wofür dann der liebe Gott verantwortlich gemacht wird, als ob er den Menschen den Verstand gegeben hätte, um damit recht handfeste Dummheiten auszuhecken.“

„Ich denke, er hat sich nicht wieder bei Hopp’s sehen lassen,“ erwiderte ich.

„Es ist schwer, sich in Berlin zurecht zu finden,“ sagte Brinkmann; „aber Zwei, die sich finden wollen, die finden sich schon.“

„Und ich sage: das sieht ihm nicht ähnlich,“ rief ich.

„Sie sieht sich auch kaun noch ähnlich,“ brummte der Alte; „so blaß und abgegrämt – arme Dirn!“

Er hatte dem Pferde das Futtergeschirr abgenommen, um in demselben aus dem nahen Brunnen Wasser zu holen. Ich stand regungslos in tiefer Betrübniß über so schlechte Kunde.

Der Alte pflegte sich nicht zu täuschen; seine stillen blauen Augen sahen so scharf.

„Na,“ sagte er, „adjies für heute. Und was ich noch sagen wollte: ich habe einen Brief von meinem Fritz aus London; er kann aber wieder keinen Urlaub kriegen, weil sein Schiff gleich wieder Ladung nach Valparaiso nimmt. So werde ich Wohl noch ein Jahr warten müssen. Aber Ihren Bruder August werden Sie wohl schon früher zu sehen bekommen. Fritz hat ihn in London getroffen und August hat ihm gesagt, daß er nach Deutschland zurückwolle.“

„O weh!“ rief ich unwillkürlich.

„Haben Recht,“ sagte der Alte; „er hat sein Lebtag nichts als Dummheiten gemacht, und von der Sorte Menschen haben, wir schon gerade genug im Lande. Sie nehmen’s mir nicht übel, Herr Lorenz. Denn sehen Sie, Sie gehören ja doch nicht dazu, trotzdem Sie ’mal wieder angezogen sind, daß ich Sie nicht aus den Anderen rausfinden würde, wenn ich Sie nicht von Kindesbeinen kennte und wüßte, daß Sie ein feiner junger Herr sind und so viel gelernt haben und eigentlich Doktor oder Assessor oder so was sein müßten, und da in die Versammlung gehen wollen, wo sie nichts als Dummheiten reden und machen – aber nicht wahr, Sie nehmen es mir nicht für ungut?“

„Ihnen nichts!“ rief ich, die dargebotene grobe Hand herzlich drückend.

„Na, dann adjies!“ sagte der Alte, das Geschirr aus der Linken in die Rechte nehmend und hinter den anderen Droschken nach dem Brunnen gehend, während ich meinen Weg auf dem Trottoir fortsetzte.

In schweren Gedanken. Wenn Schlagododro doch den schönen Adel seiner Seele eingebüßt hätte, so unritterlich geworden wäre, ein armes Mädchen seiner Leidenschaft opfern zu können! Wäre er doch nie über meine Schwelle gekommen da oben in dem alten Hause der Hafengasse! Aber, wie hätte ich denken können, daß seine Neckereien mit dem hübschen, lustigen Nachbarskinde jemals diese Wendung nehmen würden! Freilich, sie war längst schon kein Kind gewesen, die fünfzehnjährige großäugige Kokette, und er – nun, er hatte sicher schon damals seine Erfahrungen gehabt, war nicht umsonst durch seine adligen Kreise gelaufen!

Dann war seine heroische Liebe zu Maria gekommen, und ich wußte jetzt, weßhalb Christine sich so eifrig nach den Geschehnissen in Nonnendorf erkundigt hatte und auf Maria, trotzdem sie

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