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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ich diesen Herrn Faucon schonen. Indessen sagen Sie doch Ihren hochgebornen Absendern, daß es ein wohlfeiles Mittel sei, den lästigen Standesgenosseu hilflos im fremden Lande auszusetzen, wo er nichts thun kann als am Wege sterben, und daß sie sich nicht wundern dürfen, wenn bei solchem eigensüchtigen Verfahren, das den Verlornen sich nur aus den Augen schaffen möchte, auch ihre verkommenen Angehörigen keine Rücksicht mehr auf Sie und Ihre Empfindungen nehmen.“

Mit eiskalter Verachtung in jedem Zuge seines Gesichtes erhob sich Ravensburgk. Ohne ein Wort zu erwidern, verabschiedete er sich von Dornheim in einer Weise, als wische er denselben mit einer Bewegung seiner röthlichen Augenwimpern von der Erde weg. Dann schritt er hinaus.

Zornroth wandelte er in die einsamen Anlagen am Fluß hinaus, wo ihm um diese Zeit Niemand begegnete. Er suchte seine Gedanken zu ordnen. Der Falkeneck’schen Affaire mußte man ihren Lauf lassen; da war nichts mehr zu thun.

Um so rascheres Handeln machte sich nöthig dieser Person gegenüber, über deren wahre Verhältnisse ihm eben ein so grelles Licht aufgegangen war. Die Paloty, mit der sie wie mit einer Dame der Gesellschaft verkehrt hatten, war die Geliebte des Spielpächters. O, sie hatte ihm auch als Lockvogel gedient. Der Abend fiel ihm ein, wo sie unter mysteriösen Reden mit Heino vereint gespielt hatte.

Vielleicht war der Spieler ihrer überdrüssig und wollte sie mit einem vornehmen Mann verheirathen – es gab ja solche Lumpe – oder sie hatte das abenteuernde Leben satt und streckte ihre dreisten Hände nach einer Freiherrnkrone aus.

Blachrieth mußte Alles erfahren. Aber es widerstrebte Ravensburgk, einen Kavalier wie ein Backfischchen zu warnen. Auch stand er ihm nicht so nah, um ihm ohne peinliche Verlegenheit diese beschämende Enthüllung zu machen.

So war er, in Gedanken und Ueberlegungen versunken, weiter und weiter gegangen und sah sich plötzlich im Lora-Grund.

Nun wollte ich doch, der Wunsch des guten Präsidenten hätte sich erfüllt, und es stünde eine Restauration da, dachte er. Ich habe verteufelten Hunger. Vielleicht ist bei dem Fährmann eine kleine Erfrischung zu bekommen, die ebenso gut ist wie die Kollation, die ich mit dem Prinzen August auf der Bärenjagd in Galizien eingenommen habe.

Er schritt nach dem Holzhäuschen hiuüber.

Aber wie das erstemal fand er statt des Knechtes den Herrn.

Am Landungsplatze saß auf einer Steinbank Georg, die Büchse neben sich gelehnt. In tiefe Gedanken versunken starrte er das Boot an, das sich vor ihm leise an seiner Kette schaukelte, während sein Hund, den Kopf auf das Knie seines Herrn gelegt, aufmerksam in dem düstren Antlitz desselben zu lesen suchte.

Ravensburgk athmete auf. „Sieh da!“ flüsterte er für sich, „der intime Freund Blachrieth’s, der Artilleriehauptmann a. D. Nun, den Herrn von der Bombe soll mir das Schicksal nicht umsonst in den Weg geführt haben. Er mag die Lunte anzünden; das gehört zu seinem Metier.“

Mit höflichem Gruß trat er zu Georg heran.

Fast entsetzt sprang dieser auf. Es war auch ein gar zu wunderbares Zusammentreffen. Eben hatte er in Gedanken alle Teufel aus der Hölle geflucht, daß sie ihm den alten Sünder, der ihm die erkorene Braut vor der Nase wegschnappte, einmal vor die Klinge bringen sollten, und sofort trat er zwischen den Kastanienbäumen hervor.

Ravensburgk fand sein Erschrecken zwar etwas zu nervös für solch einen Landbewohner und Kanonier, hielt sich aber nicht weiter damit auf, sondern drückte ihn auf die Bank zurück, nahm neben ihm Platz und theilte ihm in kurzen Worten die Lage der Dinge mit.

Georg hörte ihm mit steigender Bestürzung zu. Die Erinnerung an den Vorgang, den er von seinem Balkon aus am Morgen nach Leonoren’s Ankunft wahrgenommen hatte, erwachte und bestätigte das intime Verhältniß der Dame zu Dornheim. Er konnte sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß die Situation eine ernste war.

„Wir sind es Blachrieth schuldig, ihm so schnell als möglich die Augen zu öffnen,“ schloß Ravensburgk. „Sie sind sein bester Freund. Wollen Sie mit ihm sprechen?“

Georg sah ihn finster an. „Nach Frau von Blachrieth’s Aeußerungen stehen Sie der Familie naher als ich.“

Ein Schatten lief über Ravensburgk’s Gesicht. Dann erwiderte er in gleichgültigem Tone: „Frau von Blachrieth ist eine etwas konfuse Dame. Hat sie das gesagt, so können Sie annehmen, daß ich in demselben Augenblick der Familie ferner denn je stand. Ich würde mir in dem Fall, daß Sie es nicht auf sich nehmen wollen, Blachrieth aufzuklären, selbst dazu schreiten. Aber ich glaube, es würde ihm später unangenehm sein, wenn ich dem Ausbruch seiner Gefühle beigewohnt hätte.“

Georg erhob sich. Er konnte diesen Freundschaftdienst nicht verweigern, so schwer er ihm auch fiel.

Aber er schwor sich zu: er wollte nun herausbringen, wie es kam, daß das reizende Mädchen bald mit dem Einen, bald mit dem Andern in Beziehung gebracht wurde, und warum sie mit Thränen in den Augen Händedrücke austauschte. Wenn sie keinen vernünftigen Grund dafür angeben konnte, dann mußte die Liebe zu ihr mit Stumpf und Stiel aus seinem Herzen ausgerottet werden. Diesen barbarischen Entschluß faßte er, während die Hoffnung in ihm wieder lustig empor wuchs.

Er lud Ravensburgk zu seinem Diner ein, was dieser annahm unter der Bedingung, daß Georg einer Einladung zu seinem morgen stattfindenden Abschiedsdejeuner folgen würde.

Nach Georg’s Zusage stiegen beide zum Haus Aufdermauer hinauf und rollten gegen Abend in Georg’s leichtem Wagen nach Jungbrunnen hinab.




In jener vertrauenden freudengewissen Stimmung, wie sie die letzte Stunde des Glückes so oft mit sich bringt, rief Heino seinem Freunde Gruß und Willkommen zu, als dieser in sein Zimmer trat.

Auf seinem Schreibtisch lagen Notizen zu dem Manuskript der Lora-Sage, angefangene Gesänge. Blumen mit bunten seidenen Bänderm zu Bouquets zusammengefügt, blühten neben seinen Büchern. Ein Krystallkrug, den der eingeschliffene Namenszug als Leonoren’s bisherigen Trinkbecher bezeichnete, stand halb gefüllt neben einer Flasche Rheinwein. – Alles deutete auf sie und auf den Kultus hin, der ihr hier errichtet worden war.

Und als Georg das Zimnter verließ, lagen die Blumen zertreten am Boden, das böhmische Glas in Scherben, und zusammengebrochen stützte Heino das todtenblasse Antlitz auf zerknitterte Papiere.

Die letzte Stunde des Glücks war vorüber.




Das Abschiedsfest, welches Ravensburgk dem ihm bekannten Herrenkreis gab, nahm einen wilderen Charakter an, als die Blasirtheit der Eingeladenen hätte vermuthen lassen.

Als die Zeit des Soupers kam, war die Gesellschaft noch beim Dejeuner. Es war scharf getrunken worden; das bezeugten die vielen leeren Flaschen auf dem Büffet, und noch immer wurden die schlanken Spitzgläser rasch geleert und auf den Wink des vollkommen kühl blickenden Gastgebers wieder gefüllt.

Man besprach die nächsten Pläne. Der Eine ging zu seiner Gesandtschaft nach Petersburg, der Andere zum Manöver, der Dritte zum Wettrennen, Dieser machte eine Hochzeitsreise nach Italien, Jener gedachte mit einer berühmten Tänzerin nach Paris auszufliegen. Pikante Anekdoten, Zweideutigkeiten, Toaste, Gläserklingen und lautes Gelächter wirbelten durch einander und bildeten einen wüsten Knäuel.

Die leichtfertigsten Worte, die wildesten Trinksprüche, das tollste Gelächter kamen aus Heino’s Munde und trieben Georg einen leisen Fluch, Ravensburgk ein Lächeln über die Lippen.

„Es ist Zeit, brechen wir auf,“ sagte Georg, der bei großer Mäßigkeit im Sprechen ungestraft im Trinken mit den Andern hatte Schritt halten können.

Aber sein Plan, Heino dem zügellosen Treiben zu entreißen, schlug fehl. Die Gesellschaft beendete zwar das Dejeuner, aber nur, um sich zu Lakrony zu verfügen.

Die Dämmerung war angebrochen, die Brunnenpromenade längst vorüber, die Kolonaden und der Kurgarten leer. Erhitzt, den Geruch des genossenen Weines ausathmend, in nachlässiger Toilette und mit dunkel glühenden Köpfen traten die Herren in den Salon der Konditorei, in welchem verschiedene Brunnengäste bei ihrem Thee oder einer Schale Eis die Zeitungen lasen.

Heino’s erster Blick traf auf Dornheim.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_382.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2021)