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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Das wehmüthige Lächeln, das seine Lippen umspielte, erschreckte sie. Ihr Vergehen mußte groß sein, daß er solchen Schmerz darum empfand.

Kleinlaut fuhr sie fort:

„Wenn Sie glauben, daß mein Schutzengel bös ist und fort fliegen wird, dann bitte, sagen Sie mir, was ich thun muß, daß er wieder gut werde.“

Aber er schwieg und sah über sie hinweg, hinüber, wo Leonore auf der Bank am Marmorbassin saß und Heino nachschaute, der ihre Mutter in den schattigen Kiosk geleitete. Wahrscheinlich fürchtete er, sie könne das Gespräch hören, dachte Vera, den Kopf schüttelnd.

Aber da faßte er schon ihre Hand und gebot ihr sanft:

„Du mußt Deine Sünde bereuen und Dir fest vornehmen, nie wieder etwas zu thun, zu sagen oder zu denken, was Du gezwungen bist, zu verschweigen. Du sollst zu Fräulein Leonore gehen, ihr offen das Unrecht bekennen, welches Du ihr zugefügt hast, und sie recht innig bitten, daß sie Dir und Herrn von Blachrieth vergeben möge.“

Die Kleine küßte ihm die Hand, als sei er der Pope im vollen goldgestickten Ornat. Dann fragte sie doch noch beklommen:

„Wird sie mich vor der Gesellschaft schelten?“

Ein schmerzliches Lächeln spielte einen Augenblick um seinen Mund. Er schüttelte schwermüthig den Kopf und wandte sich dem einsamen Wege am Flusse zu.

Da bemerkte er, daß er sein Buch auf der Bank hatte liegen lassen, und kehrte um, dasselbe zu holen.

Bei einer Biegung des schattigen Ganges stand er plötzlich vor Leonoren und Vera. Die Kleine sagte:

„Das ist der schwarze Herr.“

Eine glühende Röthe übergoß Leonoren’s Antlitz, als sie sich dem Bruder Johannes gegenübersah. Unwillkürlich warf sie den Fächer aus Sandelholz, mit dem sie eben noch, ihn halb entfaltend, kokett ihr Antlitz gegen die Sonne geschützt hatte, hinter sich ins Gras.

Auch Johannes veränderte die Farbe. Sein schmales, von schlicht zurückgestrichenem braunen Haar umrahmtes Gesicht wurde noch einen Schein bleicher; aber er grüßte mit feiner ruhiger Haltung.

„Sie sind es, der Vera’s Gewissen geweckt hat?“ rief Leonore aus. „Sie erzählte von einem schwarzen Mann, der sich plötzlich in einen großen Herrn verwandelt und ihr so zu gebieten verstanden habe, daß sie ihm nicht zu widerstehen vermochte.“

„Die Gewohnheit der Brüdergemeine, zu warnen, wo ein Schäflein irrt, war zu mächtig in mir,“ erwiderte er.

„Und Sie sind so glücklich, immer den rechten Weg zu finden,“ sagte Leonore.

„Den hat ein Anderer schon lange vor mir gefunden und seinen Wegweiser an jedem Kreuzweg aufgestellt,“ antwortete Johannes.

„Sie lügen nicht wie Mademoiselle,“ erklärte ihm Vera achtungsvoll. „Fraulein Leonore hat mir gleich vergeben.“

Er reichte der Kleinen freundlich die Hand; aber sein Auge ruhte auf Leonoren, als er sprach:

„Ich weiß, daß nichts süßer ist, als zu verzeihen, was aus Liebe gefehlt ward. Und ich weiß auch, daß eine Menschenseele uns nur noch theurer wird, wenn wir ihr viel zu verzeihen haben.“

Als er den Hut zog, glitt der Aermel zurück. Ein breiter rother Streif zog sich um das Handgelenk, Aber auf Leonorens erschrockenen Blick erwiderte er mit einem gelassenen Lächeln:

„Das waren nur äußere Fesseln.“

Dann ging er.

Unterdessen hatte auch der alte Freund des Bruder Johannes, der auf der Bank liegen geblieben war, einen Kampf zu bestehen.

Ein auserlesener Kreis der Badegesellschaft wandelte an ihm vorüber.

Welcher alte Tröster macht sich da breit?“ sagte Ravensburgk.

Er schlug das Büchlein auf und las:

„Meide den vertraulichen Umgang mit einem Weibe; empfiehl Du lieber das ganze andächtige Geschlecht dem lieben Gott.“

„Ich wollte, dieser vortreffliche Rath wäre ein Viertel Jahrhundert früher gekommen,“ sagte Ravensburgk ernster als sonst.

Der „Sohn seiner Mutter“ klappte das Buch ebenfalls auf.

„Du bist, wer Du bist,“ fuhr ihn der alte Hämmerlein an.

Mit spöttischem Lächeln griff Heino nach dem Buche, schlug es auf und las:

„Es ist nicht alles, was hoch ist, heilig, nicht alles Reizende rein, nicht alles Angenehme gut, nicht alles, was uns gefällt, gottgefällig."

„Kinderweisheit,“ sagte er empfindlich und legte es hin.

Niemand wagte sich mehr an den Thomas a Kempis heran. Man warf ihm scheue Blicke zu wie ungefähr einem Igel und drückte sich davon.

Noch aus dem Grabe heraus hatte sich der tapfere Augustinermönch gegen die Weltkinder gewehrt und behauptete siegreich das Feld.

Er war aber nun einmal in unwirscher Stimmung, und als Johannes ihn abholte, empfing er ihn mit dem Ausspruch:

„Wärest Du in Deinem Hause geblieben und hättest Dir den Kopf nicht vollschwatzen lassen, so wärest Du ruhig in Deinem Frieden geblieben.“

„Du hast Recht, alter Freund,“ sagte Johannes. „Ich will nicht wieder in das Weltgetriebe gehen. Ein lahmer Arm ist besser als ein matter Wille.“

Er schritt den Weg nach Himmelgarten zu, ohne noch einen Blick zurück zu werfen.

Leonore aber stand wie angewurzelt. Die Lora rauschte vorüber, vom goldenen Sonnenlicht mit Funken übersäet; die schmalen Blätter der Weiden schwankten neben ihr. Fernher tönten einzelne Klänge des Champagnergalopps. Ihr war, als wäre sie auf ein paar Minuten der Erde entrückt gewesen in eine andere höhere Welt. Und nur langsam besann sie sich wieder darauf, wo sie war.

Dann aber jubelte es in ihr auf:

„Heino liebt mich so, daß nichts uns mehr trennen kann.“

Als er ihr beim Abschied die Hand küßte, zitterten ihre Finger und – war es Täuschung oder selige Wahrheit? – er meinte einen leisen Druck zu empfinden.

Gleich einem von Haschisch Berauschten kam er nach Hause.

Und wie ein schlichter Mensch im großen Glücke vor dem Altar niederkniet, so warf er sich in seinen Sammetfauteuil vor dem Schreibtisch und blickte begeistert zu der Apollo-Büste empor.

Aber das schöne Gesicht mit den hochmüthig geschürzten Lippen, dem kalten, grausamen Zug um die feinen Nasenflügel schaute erbarmungslos auf ihn herab.

Heino kannte den stolzen Musenführer nicht.

Der duldet keine anderen Götter neben sich. So lange ein armes Erdenkind mit der Binde umhergeht, die ihm von dem schalkhaften Amor vor die Augen gelegt worden ist, wendet ihm der Gott mit der Leier den Rücken. Erst wenn der Verblendete ausgetaumelt hat und reuig und zerknirscht ihm naht, sieht ihn Apollo mit gnädigen Augen an und gestattet, daß zu seiner Ehre der Geprüfte die Qualen verwerthet, die er im Dienste des Liebesgottes erlitt.

Es fiel kein Lichtstrahl in das Erlösungswerk der Lora-Nixe. Wohl aber stachen in Heino’s Augen die Lichter, die sich drüben in den Sälen des Konversationshauses entzündeten, in welchem Reunions, Koncerte stattfanden und Bank gehalten wurde.

Dort war jetzt Leonore.

Er hatte keine Ruhe mehr an seinem Schreibtisch; er mußte wieder fort.

„Vermeide die Nachtluft, Heino. Vergiß nicht, einen Foulard mitzunehmen,“ tönte die klagende Stimme seiner Mutter ihm nach.

Er antwortete mit einer beleidigten Miene und stummen Verbeugung. Es war seine Gewohnheit, gleich einer schönen Frau, seinen Willen durch Schmollen durchzusetzen, und er zweifelte nicht an dem endlichen Erfolg seiner Taktik.

Während Frau von Blachrieth ganz bestürzt sich in ihren Salon zurückzog, eilte er mit beflügelten Schritten durch die Gänge des Kurgartens.

Ein weiches Lüftchen säuselte in den blühenden Akazienbäumen. Die Thautropfen auf den Blättern und auf dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_347.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2021)