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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

mit großen schwarzen Sammetschleifen, eine Zusammenstellung, die noch nicht dagewesen war.

„Unsere Farben!“ bemerkte ein alter preußischer Oberst.

Seine Nachbarin, eine Französin, sah ihn erstaunt an. Die preußischen Farben waren damals nicht sehr bekannt in der Welt.

Der Kürassier aus Temesvar lächelte:

„Schwarz und weiß soll halt die neueste Erfindung der Kaiserin Eugenie sein. Vor einer Stund’ ist die Toilett’ aus Paris angekommen.“

„Die preußischen Schilderhäuser haben sie schon getragen, als an eine Kaiserin Eugenie noch gar nicht gedacht wurde,“ brummte der alte Herr unter seinem kurz gehaltenen grauen Schnauzbart.

„Magnifigue,“ sagte Frau von Nihiloff, den weiten freien Blick, den die Russinnen aus ihren Steppen mitbringen, auf Leonoren richtend. „Sie ist natürlich eine Ungarin. Eine Deutsche würde nicht mit solcher souveränen Willkür die Schleifen in den Volants arrangirt haben.“

Heino’s Ankunft gab dem Gespräch eine andere Richtung.

Alle Blicke wandten sich ihm zu. Aber nur Leonore bemerkte die Wolke auf seiner Stirn. Niemand ahnte, wie bang ihr Herz in diesem Augenblick schlug.

Ihr erster Gedanke war: er hat erfahren, was er nicht wissen darf.

Und wenn auch diese Furcht schwand vor dem in unverhohlener Bewunderung aufleuchtenden Blicke, mit dem er ihre gewählte Toilette überflog, so stieg eine andere geheime Sorge in ihr auf, die sie nicht zu verbannen vermochte.

Forderte er es, daß sie sich immer damit beschäftigen sollte, neue Toiletten zu ersinnen, um seine Augen zu beschäftigen, räthselhafte Andeutungen, die seine Phantasie reizten und interessirten? Sollte sie immer nur Muse und Modell sein, nicht einmal das arme Menschenkind, das die ganze Wahrheit vom Herzen herunter beichtet, um an ein warmes Herz genommen und getröstet zu werden? Erlosch das Gefühl, das er für sie hatte, wenn sie nicht mehr die bewunderte Leonore war? Mit Schrecken fragte sie sich: Ist das Liebe?

Und während diese Zweifel sie quälten lächelten ihre Lippen; ein weicher Glanz lag in ihrem Blicke, ihre Wangen überhauchte ein zartes Roth. Sie war schöner als je, und Heino sah nur sie.

Die Augen der ganzen Gesellschaft ruhten auf dem glänzenden Doppelgestirn. Eine solche interessante Saison hatte man noch nie mitgemacht. Alle fühlten sich gehoben, daß sie gewürdigt wurden, eine Beziehung entstehen zu sehen, wie die zwischen Dante und Beatrice, Petrarca und Laura.

Nur ein kleiner skeptischer Kopf mit kurz geschnittenem dunklen Haar war nicht zu beirren. Neben Mademoiselle saß Vera und ließ sich, obgleich sie kaum auf den Tisch zu sehen vermochte, mit dem Selbstbewußtsein einer vollkommenen Dame die Speisen präsentiren. Während sie mit der Gabel, die gegen ihre kleine Person riesig erschien, regelrecht dem Fisch zu Leibe ging, stach ihr Blick hinüber zu dem Dichter, auffordernd, mahnend.

Als er einmal nach der Brusttasche griff, blieben ihre zarten Fingerchen mit dem Artischockenblättchen, das sie vom Stengel gebrochen hatte, vor den Lippen schweben. Das ganze bräunliche Gesichtchen war gespannte Erwartung.

Es erfolgte jedoch nichts. Er bemerkte sie gar nicht, und auch, als die Gesellschaft sich erhob und den Speisesaal verließ, schritt er mit Leonoren in die schattigen Promenadenwege hinaus, ohne seine kleine Gläubigerin zu beachten.

Aber sie heftete sich an seine Sohlen. Ihr Ziel im Auge, schlüpfte sie wie ein Eidechschen zwischen den weiten Krinolinen hindurch, nirgends auf eine im feinen Kies schleifende Spitzenfalbel tretend oder an ein Spazierstöckchen stoßend, und stand plötzlich neben Heino.

„Herr von Blachrieth, haben Sie das – Sie wissen doch – in Ihrem Notizbuch?“ fragte sie und sah ihn drohend an. „Sie müssen sonst das, was ich Ihnen gebracht habe – Sie wissen doch – zurückgeben.“

Heino fuhr erschrocken herum, nahm die Kleine bei der Hand und entfernte sich schleunig mit ihr, während Leonore ihnen erstaunt nachsah.

Hinter dem nächsten Boskett blieb er stehen.

„Warte nur bis morgen,“ redete er Vera zu.

„Nein,“ entgegnete diese in ihrem scharfen Dialekt. „Sie könnten abreisen oder Maman. Machen Sie das Gedicht gleich.“

Heino seufzte, zog sein Notizbuch heraus„ that ein paar rasche Züge an seiner Cigarre und begann endlich zu schreiben. Dann riß er das Blatt aus dem Buche.

„Hier hast Du das versprochene Gedicht,“ sagte er; „nun laß mich in Ruhe.“

„Lesen Sie es mir vor,“ bat Vera.

„Ich habe mehr zu thun,“ entgegnete Heino ungeduldig. „Und Niemand von der Gesellschaft sagst Du, wofür Du es erhalten hast,“ schärfte er ihr ein und ging.

Vera blieb traurig mit ihrem Blatt Papier zurück und schaute darauf nieder.

„Wenn es nur wenigstens französisch wäre!“ seufzte sie.

Sie sah sich um.

Da auf einer Bank hinter dem Boskett saß ein ganz schwarz gekleideter Mann mit einem Buche in der Hand. Sie ging entschlossen auf ihn zu und fragte:

„Können Sie deutsch lesen?“

„Ja, mein Kind,“ entgegnete der Fremde.

„O bitte, ich möchte das Gedicht gern hören,“ bat Vera, ihm das Blatt gebend. Sie setzte sich neben ihn, und er las.

Es war ein kleines Wiegenlied, in welchem das Nachtlämpchen im weißen Milchglas, das aus spinnwebenen Schuhen heranhuschende Sandmännchen und endlich der auf goldenen Taubenflügelchen herabschwebende Schutzengel das Kind in den Schlaf singen.

„O, es ist schön,“ sagte sie, indem sie stolz das Papier zusammen faltete und in ihren Gürtel steckte. „Der berühmte Dichter, Baron Blachrieth, hat es für mich gemacht. Aber ich habe ihm auch einen großen Dienst erwiesen.“

Der Fremde sah mit nachsichtigem Lächeln auf sie herab.

„Sie glauben mir nicht?“ fuhr sie beleidigt fort. „Ich habe Fräulein Leonore Paloty, als sie schlief, heimlich eine Locke abgeschnitten – o, so lang,“ sie breitete die Arme aus, „und ihm gebracht. Aber es darf Niemand davon erfahren. Ihnen kann ich es sagen. Sie gehören doch nicht zur Gesellschaft,“ schloß sie mit einem abmessenden Blick auf seinen schwarzen Rock.

In die Züge des jungen Mannes war bei ihrer Erzählung ein leises Roth gestiegen. Jetzt sagte er ernst:

„Nein, Du hast Recht. Ich bin ein Prediger, ein Geistlicher.“

„Sie sind ein Pope?“ fragte die Kleine geringschätzig, nestelte rasch eine Stecknadel aus ihrer breiten dunkelrothen Schärpe und warf sie von sich.

„Was thust Du?“ fragte er erstaunt.

„Wenn Maman einem Popen begegnet, wirft sie stets eine Nadel von sich; sonst hat man Unglück,“ erklärte die Kleine rücksichtslos.

Der Blick des jungen Mannes heftete sich ernst auf das Kind.

„Du wirst sofort die Nadel aufheben und Dein Leibband wieder schicklich zusammen stecken,“ befahl er. „Uebrigens bin ich kein Pope, wohl aber ein Priester und Verkündiger von Gottes Wort. Und ich sage Dir: Dein Schutzengel wird sich von Dir abwenden und weinen, weil Du aus einem guten Kinde eine kleine Sünderin geworden bist.“

In die bernsteinfarbige Haut Vera’s stieg glühendes Roth. Aber sie zweifelte noch an seinem Ausspruch.

„Eine Dame schenkt doch ihrem Freund ein Stück Zopf. Maman hat auch dem Fursten mit dem großen Bart, der uns überall hin nachreist, eine Flechte von ihrem Haar gegeben. Und Herr von Blachrieth ist der Freund von Fräulein Leonore Paloty. O, sie werden sich verloben, wenn auch Frau von Tromsdorf sich ärgert, daß er nicht ihre Tochter Fifi liebt. Maman meint: es fehlt nur noch an einem Anstoß, der die Entscheidung herbeiführt. Nur Mademoiselle sagt: das ist eben die Schwierigkeit, an der die besten Partien scheitern.“

Sie zuckte mißachtend die kleinen runden Schultern. Dann sah sie ihn aufmerksam an, welchen Eindruck ihr Plaidoyer gemacht hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_346.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2021)