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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Viel Stunden sind um und viel auch bereits sind um Tage – seit mit alten Scharteken ich mich herum schlage – zwar ist darunter die Urschrift der Nibelungensage – die vor Mottenfraß ich geschützt in juchtenledernem Umschlage – doch steht zu fürchten, daß ich mich lahm und krumm plage – daß der Schaben und Motten Schwarm an mir selber ringsum nage – wenn stets bei der Arbeit geharrend ich nur meinen Büchern stumm klage – daß Niemand, Niemand, Niemand mit mir des alten Kanzleidieners Gebrumm trage – und Vieles, was ich zu lesen verdammt, in die Welt so entsetzlich dumm rage. – Drum scheint mir, daß heut, wo ich wiederum auf meiner Bücherei sitze – daß von Rechtswegen vernünftiger und mir zu Besserem sei nütze – wenn in den Ernst auch ein klein wenig schalkhaftige Narrethei blitze – und ich gegen 18 Grad Winterfrost mich durch einige Reimschreiberei schütze.

Wie herrlich ist’s doch im Allgemeinen, zu versäumen seine Kanzleistund – Gedenkend der Zeit, wo die ganze Welt, wo Thun und Lassen noch freistund – wo man mit der ganzen Jugendkraft mit fröhlichem Körper und Geist und – muthigem Ringen als wie ein Soldat zur Fahne der Poesei stund!

Anstellend diese verpönte, jedoch so edle und wahre Betrachtung – steig ich an diesem Vormittag in meiner eigenen Achtung – daß ich jedwede Bureau-Arbeit abweisend mit Verachtung – das Dampfschifflein der Gedanken heut befrachtend mit bess’rer Befrachtung – fortsteure aus der Region zeitweiser Sinnesumnachtung.

Fortsteure? Wohin? ich glaub’ in die Pfalz, in die fröhliche Pfalz nach Weinheim – denn dorthin denk’ ich zuweilen auch mit Sehnsucht und leisem Gegrein heim – als wär’ ein Stück meiner Seele mir mit unsichtbarlichem Scheinleim – dort festgeleimt und fände nicht an anderm Ort zum Gedeihn Keim. – Mir ist, es wäre Donnerstag, ich bäte, daß man mir einräum – ein Album, drin ich zeichnend mich so gern einspinn’ und einträum’ – zu schlürfen noch einmal italischen Lands und italischer Kunstphantasei’n Seim – oder zu ersinnen einen zierlich klingenden Feinreim.“ – – –

Hier folgt ein Passus, welcher zu viel private Anspielungen enthält, um allgemein interessant zu sein, und zum Schluß heißt es:

„’s schlägt zwölf Uhr schon. Die Kanzleistund’ ist mit Glück verträumt, die infame – so wünsch’ ich diesem Knittelgereim eine freundliche Aufnahme – und wünsch’ Euch Allen am Schlusse des Jahres in feierlichem Proklame – Viel Glück, und daß der Kaffee sei nie ohne Zucker und Rahme – O Juletante[1], du federgewandte, abu-seid-verständige[2] Dame – daß nicht ich verfall’ an der Donau Quell dem herzverzehrenden Grame – oder gar dem stillen Trunk mich ergeb’ und an der Seele erlahme – gedenke mein und schreibe mir bald eine lange, lange Makame – sie wird mir sein wie ein gülden Gefäß, gefüllt mit edlem Balsame!“

Der Wunsch wurde umgehend erfüllt, und zum Danke flogen rasch nach einander ein paar ähnlich reizende Episteln ins Haus. Dann vergingen mehrere Monate, und die Freunde in der Pfalz hörten nichts vom Meister Josephus. Also schickte man eines Tages an das fürstliche Archiv in Donau-Eschingen einen amtlich stilisirten Fragebogen um Auskunft über einen verloren gegangenen Poeten, und mit Postwendung kam auf einem Stempelbogen der fürstlichen Bibliothek folgende „amtliche Auskunft auf die werthgeschätzte Anfrage“ zurück:

Ad Frage 1: Lebt der Mann noch?

Antwort: Ja, aber schwach.

Ad Frage 2: Kann er schreibend

Antwort: Ja, aber ebenfalls schwach.

Ad Frage 3: Wie geht’s ihm?

Antwort: Wie dem Ovidius, da man ihn an den Pontus ins Exil gesetzt. Trinkt viel Bier. Macht große Fußwanderungen ins Wutachthal, Gauchachthal, Brigachthal. Entdeckt keltische Steinwälle auf abgelegenen Bergkuppen. Hat Händel mit Revisoren und Rechnungsräthen. Ist Pompier bei der Stadtfeuerwehr und durch Diplom vom 1. März Ehrenmitglied des wieder aufgelebten pegnesischen Schäferordens in Nürnberg.

Ad Frage 4: Plagt er sich mit eines neuen Buches Gestaltung?

Antwort: Leider, ja.

Ad Frage 5: Kommt’s bald heraus?

Antwort: Leider, nein.

Ad Frage 6: Oder ist er verliebt?

Antwort: Hier muß zuerst ad formalia dieser Frage bemerkt werden, daß selbe in keinem Gegensatz zu Frage 4 und 5 steht, indem man mit Bücherschreiben sich plagen und recht wohl daneben verliebt sein könnte. Quoad materialia aber die beruhigende Auskunft, daß von angedeutetem Zustande bei diesseitiger Stelle nichts wahrzunehmen.“

Es folgen noch einige weitere Absätze und dann, für den Fall einer beabsichtigten Uebersiedelung der Freunde nach Heidelberg, der Schlußpassus:

„Wenn dieselben die Güte hätten, dem Fürstl. Archiv Nachricht zu geben, wo dorten die neue Wohnung aufgerichtet wird, so möchte dasselbe, so es wieder einmal mobil wird, seine Aufwartung dort zu machen unterlassen zu haben bereuen zu müssen kaum in die Lage kommen.

Möge eine wohllöbl. Fragestellungs-Kommission aus der baldigen und eingehenden Beantwortung der geehrten Zuschrift vom 26. hujus die Ueberzeugung gewinnen, wie sehr dem dienstergebenst Unterfertigten das Bestreben angelegen ist, auch in dem laufenden Etatsjahr durch gewissenhafte Besorgung dienstlicher Angelegenheiten keiner verderblichen Oberflächlichkeit sich schuldig zu machen. (S. auch 2. württemb. Etats.-Instruktion vom 17. April 1819. F. Müller. Handbuch des Kasseb- und Rechnungswesens, Nördlingen 1846.“

Besser, als tausend Erklärungen es vermöchten, zeichnen die mitgetheilten Stellen Scheffel’s Art, den schalkhaften Humor, der seine Glanzlichter über die alltäglichsten Dinge warf, die Besonderheit seines Wesens, die Allem, was er sagte und schrieb, ein unverkennbares Gepräge aufdrückte.

Lange hielt er es indessen in der kleinen Residenz am Donauquell nicht aus. Als die Bibliothek neu geordnet war, nahm er Abschied von der mehr geologisch interessanten als landschaftlich reizenden Gegend und begann sein Wanderleben von Neuem, mit gelegentlichen längeren Aufenthalten in Karlsruhe. Auch in Heidelberg ward Scheffel damals oft gesehen. Selbstverständlich war er, wie jeder, der sich von der großen Menge sehr stark unterscheidet, ein innerlich einsamer Mensch, und weil er das war und sich in seinen vielen Eigenthümlichkeiten auch von den Ausgezeichneten selten wirklich verstanden sah, kam es ihm gar nicht darauf an, einen lustigen Kneipabend lang mit Solchen zusammenzusitzen, an denen außer ihrer Fähigkeit zum Weinvertilgen nichts Ausgezeichnetes zu finden war. Der „Engere“ zu Heidelberg enthielt neben geistvollen Männern auch eine hinlängliche Anzahl der Erstgenannten, und so standen seine Unterhaltungen durchaus nicht immer auf der Hohe der

„Neun antiken Tanten,
Die man im Mythus mit Apollo nennt.“

Aber eine Menge von Heiterkeit wurde doch darin entwickelt, wenn Häußer die Maibowle braute und stets neue Geschichten erzählt wurden, die freilich stets in Gefahr schwebten, von dem entsetzlichen Hohngebrüll „Meidinger“ begrüßt zu werden, denn in diesem Punkte wenigstens war man im „Engeren“ sehr rigoros. Scheffel blieb der Gesellschaft stets eng verbunden, ob er persönlich anwesend war, ob er von ferne einen der langen Reiseberichte sandte, die heute eine werthvolle Kollektion ausmachen müssen und hoffentlich der Oeffentlichkeit künftig nicht vorenthalten werden, obgleich weder Häußer noch der Pfarrer Schmetzer mehr leben, um sie herauszugeben.

Der Letztere, ein Original und nebenbei ein Pfarrherr, wie er heut zu Tage kaum mehr möglich sein würde, im „Gaudeamus“ als Kaplan des wilden Heeres gefeiert oder als „Tegulinum’s (Ziegelhausen’s) Augur, der sternenkundig vorsingt in dem Rundgesang“, war ein tüchtiger Astronom und furchtloser Zecher, der aufrechten Hauptes unter dem mitternächtigen Himmel in sein Dorf zurückwanderte, wenn die Andern Mühe hatten, ihre Stadtwohnung aufzufinden. Indessen war, was für ihre robusten Naturen ganz unschädlich sein konnte, zuviel für Scheffels zartere Konstitution, und jenen heiteren Festen im „Engeren“ folgte 1861 eine schwere Nervenerkrankung. Scheffel brachte den Sommer in der Wasserheilanstalt Brestenberg am Hallwyler See zu, und von jener Zeit an datirt eine Veränderung in seinem Aussehen und ganzen Habitus, die mir schmerzlich auffiel, als ich ihn nach jahrelanger Trennung im Jahre 1863 in Pienzenau bei Miesbach wiedersah, wohin er sich, um völlig ungestört zu arbeiten, in Ernst Förster’s hübsches Landhaus zurückgezogen hatte. Die früher elegante und schmächtige Figur war stark geworden, über die angegriffen

aussehenden Augen lief oft ein nervöses Zucken, aber der alte gute

  1. Schwester der Hausfrau. –
  2. Abu-seid, Held der Makame.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_342.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2021)