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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

bekanntem Namen, stellte seinen Freund Joseph Scheffel den Damen des Hauses vor, und diese, welche den kürzlich erschienenen „Trompeter von Säkkingen“ bereits gelesen hatten, begrüßten lebhaft den schmächtigen, blonden Mann, dessen Habitus allerdings die Erwartungen der Jüngsten über das Aussehen eines Dichters stark enttäuschte. Keine wallenden Locken, keine weltschmerzlichen Blicke: nur schlichtes, kurzgeschnittenes Haar, ein Gesicht, wie es etwa ein junger Assessor auch haben konnte, und eine goldene Brille! Aber die Augen unter dieser Brille gewannen beim Sprechen einen merkwürdigen Ausdruck und um den sehr feingeschnittenen Mund spielten allerlei hnmoristische Linien, wenn er sich zum Erzählen öffnete und mit einem Accent, der die Vaterstadt Karlsruhe nicht ganz verleugnen konnte, die schönsten Abenteuer und Erlebnisse aus wälschen und deutschen Landen zum Besten gab. Nach einer Stunde schon waren Alt und Jung bezaubert; wie ein alter Freund saß der Gast im Familienkreise, und indem er von Pompeji und dem sorrentinischen Gestade erzählte, fuhr seine Hand mit dem Bleistifte über ein Blatt, und in charakteristischen Strichen entstanden darauf Uferfelsen und Brandung und feingezogene ferne Berglinien ... Das Blatt und manche folgende von seiner Hand befinden sich in guter Verwahrung, an jenem Nachmittage unter der Rebenlaube des Weinheimer Landhauses knüpfte sich aber eine Freundschaft, die fest und warm drei Jahrzehnte überdauert hat und heute das Recht verleiht, dem Gedächtnisse des Geschiedenen ein Blatt der Erinnerung zu weihen.

Joseph Scheffel (denn so, und nicht Viktor, wie ihn norddeutsche Begeisterung später umtaufte, nannten ihn Eltern und Freunde) wurde 1826 in Karlsruhe geboren als Sohn eines Elternpaares, welches nach Schopenhauer als das prädestinirte zur Hervorbringung ausgezeichneter Söhne gilt: charakterfest, ehrenhaft der Vater, geistvoll und etwas phantastisch die Mutter. Der alte Major, Veteran aus den Freiheitskriegen, war eine kurz angebundene Soldatennatur, etwas schrullenhaft, aber fest in Grundsätzen und Meinungen, die Mutter eine hervorragend schöne und lebhafte Frau, Schriftstellerin, deren poetische Produkte der Sohn mit kindlicher Pietät verehrte. Sehr bedeutend waren sie nicht, aber die humoristische Ader schlug darin, welche Joseph Viktor in so viel stärkerem Grade von ihr geerbt hat. Ihren großen Tag erlebte die „Frau Majorin“, als Anfang der fünfziger Jahre ein neues Lustspiel von ihr im Karlsruher Hoftheater aufgeführt wurde und die höchsten Herrschaften, sowie Alles, was zur Gesellschaft zählte, den lebhaftesten Beifall klatschten.

Die heitere und weltgewandte Frau nahm in den geselligen Kreisen der Resideuz eine hervorragende Stellung ein. Ein günstiges Geschick ersparte ihr zeitlebens die Last des Haushalts, indem so lange, bis die einzige Tochter Marie erwachsen war, eine sorgsame Großmama in Küche und Keller schaltete. So blieb ihr Muße genug, die schönen Seiten des Daseins zu pflegen, und das behaglich zugerichtete Scheffel’sche Haus in der Stefanienstraße zahlte zu den Mittelpunkten der Residenz. Aber der junge Joseph war kein häufiger Theilnehmer der Abendgesellschaften im mütterlichen Salon. Vereinigungen alltäglich schwatzender Menschen blieben ihm zeitlebens ein Gräuel, und so rettete er sich schon damals hinauf in seine Dachstube, deren Fenster in die grünen Wipfel hinaussahen, „wo die Hardtwaldamseln den Frühling ansangen“, und verbrachte dort hinter seinen Büchern oder mit einem guten Freunde die Stunden voll Jugendpoesie und unklaren Zukunftsahnungen, die so selig in der Erinnerung der Altgewordenen stehen.

Die Oberklasse des damaligen Karlsruher Gymnasiums zählte außer einer Anzahl tüchtiger Lehrer eine Reihe ausgezeichneter Köpfe als Schüler. Ein heute noch erhaltenes „Philologen-Album“, von den Letzteren den Ersteren gewidmet, zeigt in Wort und Bild eine erschreckliche Respektlosigkeit gegen die theuersten Errungenschaften philologischen Scharfsinns, aber zu gleicher Zeit die wahrhaft geniale Drastik und den sprühenden Geist der muthwilligen Autoren. Auch etliche Romantik wurde getrieben an den Kneipabenden, welche das letzte Jahr in Prima verschönerten. Man hielt des Königs Artus Tafelrunde ab, mit so viel ritterlichem Kostüm, als eben aufzutreiben war. Scheffel, mit 18 Jahren noch ein so mädchenhaft hübscher Junge, daß er eine reizende Königin Ginevra abgab, saß mit Schleier und goldenem Stirnreif zwischen dem König und Herrn Lanzelot vom See, Ein verspätet Hereintretender begann bei diesem Anblicke einen alten Vers zu citiren, der mehr deutlich als zartfühlend das Verhältniß des Paares charakterisirte. Worauf die Königin mit einem lauten Schrei ohnmächtig umfiel und Herr Lanzelot dem unhöflichen Gaste an die Gurgel fuhr und nur durch die energische Intervention seiner Mannen abgehalten wurde, ihn auf dem Fleck zu erdrosseln.

Manche jener lustigen Jugendgenossen liegen schon lange unter der Erde, wie Julius Braun und Graf Reichenbach, andere stehen unter den leitenden Männern in Baden wie Ellstätter und Stößer, auch der wanderlustige Ludwig Eichrodt bekleidet sein Staatsamt, während manchen Anderen, wie Karl Blind, das Jahr 1848 aus dem Lande trieb.

Vor allen diesen zeichnete sich Scheffel in der Schule weit aus durch den musterhaften lateinischen Stil, der ihm wie eine Naturgabe eigenthümlich war und den er auch zeitlebens in Vers und Prosa mit Vorliebe pflegte. Im Uebrigen wuchsen er und seine Freunde unter der lebendigen Einwirkung der Alten zu selbständigen Geistern auf. Was Joseph einem von ihnen schalkhaft zum zwanzigsten Geburtstage dichtete, gilt ebenso wohl für ihn selbst:

„Aber es hatte die Muse schon früh seinen Scheitel berühret,
0Und von Buttmann und Krebs flüchtet’ er an ihre Brust.
‚Keck‘ drum nannt ihn Herr Süpfle, der zeusgeliebte Professor;
0Vierordt, der Hofrath, auch schüttelt’ bedenklich das Haupt.
Doch es erlosch nicht der göttliche Funke im Lärm der Philister,
0Brannte und glühete fort, Flammen ersprühend und Licht.
Endlich konnte ihn die Hydra Lyceum nicht länger umstricken,
0Frei, mit geflügeltem Schritt zog er gen Heidelberg hin.“

Denselben Weg nahm nun Joseph selbst, und in der einzig schönen Stadt am Neckar, wo das Leben so heiter fließt und auf Schritt und Tritt historische Erinnerungen zur Seele sprechen, wo in den zauberischen Sommernächten der fröhliche Lärm aus den Gartenschenken den Neckar entlang hallt, während über Schloß und Kaiserstuhl der Vollmond steht und in seinem glitzernden Schein die Wellen drunten leise rauschen – aus dieser Fülle des freudigsten Lebensgenusses sog des jungen Studiosen Herz die tiefe Liebe zu „Altheidelberg der feinen, der Stadt an Ehren reich“. Immer wieder kehrte er dahin zurück, so viel ihn auch die Fahrt in der Welt herum tragen mochte, und es ist eine wehmüthig-rührende Fügung, daß er sie auch zu seiner letzten schweren Erkrankung wieder aufsuchen mußte, nachdem ihm vorab in den fröhlichen Studententagen so viel Glück und Heiterkeit dort gelächelt hatte.

Die Genossen jener Tage wissen von manchem gelungenen Streich des Uebermuths zu erzählen, von nächtlichem Anläuten z. B. an der Thür einer zanksüchtigen Hauswirthin, der man dann, als sie schimpfend unter der Thür erschien, mit der heuchlerischen Frage, ob nicht hier der gewisse Herr Maier wohne, an den man Etwas abzugeben habe, einen großen Balken vom nächsten Bau in den Hausflur stieß und zwar so glücklich durch die vordere und die hintere Thür zugleich, daß beide diese Nacht nicht mehr geschlossen werden konnten und der erbosten Wittwe Nichts übrig blieb, als ihr offenes Haus bis zum Tageslicht zu bewachen.

Oder ein anderes Mal, wo nach nächtlichem Randaliren und Fenstereinwerfen am andern Morgen ehrbar und geschäftsmäßig im schwarzen Rock mit der blauen Aktenmappe unterm Arme Scheffel und ein nunmehriger badischer Würdenträger bei den Beschädigten erschienen, um „das Protokoll aufzunehmen“, unter großem innerlichen Ergötzen über die reichlich strömenden Klagen und Verwünschungen. Als dann eine Stunde später die wirkliche Polizei erschien, mußte sie sich sagen lassen, die „Herren“ seien schon dagewesen, und hatte noch einen Zorn mehr zu verwinden.

Neben solchen Allotria gingen doch auch ernsthafte Studien her, nicht nur das der Jurisprudenz, die Scheffel als Fach erwählt hatte, sondern Geschichte und Alterthumswissenschaft, vorab in Beziehung auf Land und Leute seiner Umgebung. Scheffel ist, wie Hebel, nur im Zusammenhalt mit seiner engeren Heimath ganz zu verstehen, es war in ihm bei aller Weite des Horizonts ein speciell badischer Zug, der Jedem sofort auffallen mußte, ein inniger Zusammenhang mit Sitte und Anschauung des Volks. Unter den stammverwandten Schweizern, Bayern und Schwaben hielt er sich oft und gerne auf – ein dauernder Wohnsitz in Norddeutschland würde ihm wohl unmöglich gewesen sein. Er empfing von dem alten Berlin unerfreuliche Eindrücke, als er nach

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