Seite:Die Gartenlaube (1886) 260.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

nachdenklich an die Nase gelegt, vernahm derselbe ihre Beichte und verordnete ihr dann mit wichtiger Miene, einen Becher mehr zu trinken.

Dann lieh sie ihrerseits ihr Ohr dem Präsidenten, der über die Table d’hôte im „Englischen Hof“ klagte, und empfahl ihm die des Kurhauses.

Hedwig schritt mit Ravensburgk voraus. ihr Schirmchen war wie ihr Kleid in frisches chinesisches Rosa getaucht und warf einen lieblichen Schein auf ihr Gesicht.

Ravensburgk, die Hände mit dem Stöckchen lässig auf den Rücken gelegt, schlenderte plaudernd neben ihr her.

„Ah, da ist Frau von Tromsdorf mit ihrer Tochter Fifi. Welche Fertigkeit wird das gute Kind zunächst entwickeln? Wenn man die Nausikaa von Bendemann lobt, sagt die Mutter: ‚Sie sollten sehen, wie Fifi malt.‘ Ist man von Liszt begeistert: ‚Aber Sie haben Fifi noch nicht gehört.‘ Ich fürchte, da kürzlich ein neuer Mond entdeckt worden ist, so wird es nun heißen: ‚Das ist gerade Fifi’s specieller Fall, Monde zu entdecken.‘“ Er grüßte abermals in verbindlichster Weise. „Die drei Fräulein von Gokel! Welche Führung hat sie hierher geführt? Sie müssen nämlich wissen, daß sie nur durch Führungen leben. Selbst wenn sie den Schlüssel zum Brotschrank auf ihrem Hafergütchen verlegen, so ist das eine gnädige Führung, welche ihnen das Frühstück für ihre Leute spart. Aber Frau von Giera fehlt. Wahrscheinlich ist sie schon bei Frau Paloty, die sie begleitet wie der Ibis das Krokodil. Gewiß nimmt die getreue Freundin bereits den Thee und noch viele andere gute Dinge im Lora-Flügel ein.“

Hedwig schüttelte den Kopf.

„Warum verkehren Sie so angelegentlich mit der Gesellschaft, wenn Sie sie doch verachten?“

„Wer sagt Ihnen, daß ich die Gesellschaft verachte?“ spottete Ravensburgk. „Womit hätte dieselbe eine solche Empfindung verdient? Befolgt sie nicht alle Gebote? Sie betet nur einen Gott an – den Vortheil; sie ehrt Vater und Mutter – wenn sie Geld haben; sie übt Treue – gegen die Champagnersoupers. Mein Liebchen, was willst Du noch mehr?“ sang er mit der Stimme eines Nachtmahrs. „Aber es wird Zeit, meinen zweiten Becher zu trinken.“

Er zog den Hut und richtete seine Schritte nach der Brunnenhalle.

„Jetzt kommt Heino,“ sagte in tröstendem Tone Frau von Blachrieth zu Hedwig, indem sie sich von dem Rollstuhl einer gelähmten Freundin der Nichte zuwandte.

Hedwig schien diese Mittheilung so wenig zu interessiren, als vorhin die moquanten Reden Ravensburgk’s. Da ihre Tante stehen blieb, um den Sohn zu erwarten, lehnte sie sich an das eiserne Geländer, welches die Promenade nach dem Fluß abschloß, und blickte das Thal entlang, wo derselbe um den Fuß des Hainberges in den Lora-Grund hinabrauschte.

„Hier bringe ich meinen Freund, Herrn Hauptmann Aufdermauer,“ sprach Heino, diesen vorstellend.

Hedwig wendete sich gleichgültig; aber als sie die Augen aufschlug, wurde sie purpurroth.

Georg stand einen Augenblick sprachlos. Dann sprühte heller Muthwille aus seinen Augen, und in neckendem Tone sagte er:

„Ihr Kranz hängt wohlbehalten bei den Erntekränzen in der Vorhalle des ‚deutschen‘ Hauses Aufdermauer.“

„Mein Gott, wie ist denn das?“ fragte Frau von Blachrieth auf das Aeußerste überrascht.

„Ich habe Sie übergeholt, gnädige Frau, als Sie sich den Lora-Grund angeschaut hatten,“ antwortete Georg lachend. „Aber Fräulein von Grundleben ist die einzige, die mich wieder erkannte.“

Heino wurde von dem Vorgange in Kenntniß gesetzt.

„Ist’s möglich?“ rief er ganz erstaunt. „Solche Abenteuerlust hätte ich Dir gar nicht zugetraut.“

„Nein,“ verwahrte Georg sich eifrig, „ich habe wahrhaftig keine romantische Ader. Das Zusammeutreffen war ganz zufällig. Ich wollte auf die Pirsch in den Hainberg gehen, und als ich an den Kahn kam, bemerkte ich, daß ich meine Rehblate vergessen hatte, Christian meinte, in der Abendstunde abkommen zu können, und lief zurück, mir das Pfeifchen zu holen. Ich setzte mich einstweilen auf seine Steinbank. Da wurde geläutet. Christian’s Ruf als zuverlässiger Fährmann stand auf dem Spiel, ein Ruf, der in seiner Art so viel werth ist als jeder andere. Genug! ich holte über, und – es hat mich nicht gereut.“

Die scherzende Besprechung des kleinen Ereignisses hatte eine rasche Bekanntschaft vermittelt. Bald war Hedwig in ein landwirthschaftliches Gespräch mit Georg vertieft. Von einem neuen Butterfaß ausgehend, kamen sie zu einem Streit über holländische Kühe und einer Uebereinstimmung über eine amerikanische Dreschmaschine.

Frau von Blachrieth seufzte am Arme Heino’s:

„Wenn es nur Niemand hört! Man hält uns sonst für eine Krautjunkerfamilie.“

Sie gingen eben den Lora-Flügel entlang. Aus einem der hohen Bogenfenster tönten die lang hinhallenden Akkorde einer Harfe herab.

„Nach wem siehst Du Dich nur um, Heino?“ fragte sie nach einer Weile. „Du führst mich so eigenthumlich heute.“

„Verzeih, liebe Mama,“ entschuldigte er sich. „Ich bin ganz benommen von meinem neuen Stoff und suche Ravensburgk, um von ihm etwas über die Wappensage der Falkenecks zu erfahren. Er ist ein außergewöhnlich gut unterrichteter Heraldiker.“

„Ah, sehr verbunden,“ ertönte die dumpfe Stimme des Genannten. „Ich gehe merkwürdiger Weise schon geraume Zeit nebenher, ohne von irgend jemand beachtet zu werden. Sie meinen jedenfalls die Tradition, daß die Falkenecks bis zu ihrer Mesalliance mit der Nixe den Falken ohne Kappe im Schild geführt und erst zur Buße ihn geblendet und die Devise angenommen haben: ,ich harre auf Licht.‘ Die Geschichte klingt zu modern. Vielleicht ist es eine spätere Legende, wie sie sich immer um hervorragende Persönlichkeiten sammeln, gleich den Nebeln um Berggipfel. Verbürgen läßt sich natürlich nichts. Vor tausend Jahren wurde nicht so viel geschrieben wie heutzutage.“

„Tausendjähriges Harren auf Licht; welch schweres Schicksal!“ sagte Hedwig, die, den Harfenklängen lauschend, stehen geblieben war.

„Das Schicksal der Menschheit,“ entgegnete Ravensburgk, indem er seinen Plaid langsam um die Schultern warf. „Der Einzelne kann nichts voraus verlangen.“

„So alt sollte der Adel sein?“ fragte Frau von Blachrieth ungläubig.

„Daran ist nicht zu zweifeln,“ entgegnete Ravensburgk leichthin. „Er ist so alt wie der meinige. Die Falken und Raben haben zusammen gekämpft und geraubt. Es sollen auch ein paar von Rudolph von Habsburg zusammen dafür gehenkt worden sein.“

„O!“ wehrte Frau von Blachrieth.

„Nehmen Sie es nicht tragisch, gnädige Frau,“ tröstete Ravensburgk ironisch. „Das Werfen der Kaufleute war dazumal Sport, und dieser hat zu keiner Zeit Anspruch auf erhabene Gesinnung gemacht.“

„Sagen Sie,“ erkundigte sich Frau von Blachrieth interessirt, „gehören Sie der Linie Dohlennest an?“

„Nein, Ravensburgk von Ravenskopf; ich bin ein echter Rabe,“ war die Antwort.

„Ach ja, ihre Frau Mntter war eine Dohlennest,“ verbesserte sie ihren Fehler. „Aber die Elsterbergs –“

Hedwig ergriff die Flucht. Sie wußte: wenn ihre Tante einmal anfing, die Stammbäume auf und ab zu klettern, so war sie so bald nicht wieder herunter zu bringen.

„Woher bekommen Sie Ihre Lektüre?“ fragte sie Georg, der unentwegt an ihrer Seite ging.

„Von Jungbrunnen,“ berichtete er.

„Das sind gewiß nur oberflächliche Romane,“ rügte sie. „Die Buchhandlungen der Bäder sind hauptsächlich darauf angewiesen.“

„Nun ja, was man so zum Schmökern braucht,“ murmelte er verlegen.

„Wir haben unsere kleine Hausbibliothek,“ erzählte Hedwig. „Wenn das Tagewerk beschlossen ist, sitzen wir in der Wohnstube um den runden Tisch. Ich lese vor, Papa raucht, Mama strickt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_260.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2021)