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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Amerikanerin also, aber von deutschen Eltern geboren, so viel wir wußten. Wir wußten aber verzweifelt wenig von ihr, bekamen auch später kaum mehr zu wissen, da sie sich in ein undurchdringliches Geheimniß hüllte, in das sie vielleicht nur Serenissimus hat blicken lassen, obgleich mir selbst das noch zweifelhaft ist. Wenigstens war er oder schien er nach ihrem Tode so rathlos wie wir. Alle hinsichtlich etwaiger Verwandten, denen man den Tod zu melden hätte oder dergleichen. Freilich hatte er einige Ursache, zu wünschen, daß über die Affaire möglichst wenig gesprochen wurde. So viel ich weiß, ist damals auch nicht ein einziges Wort in die Zeitungen gekommen; die Sache blieb, wie Serenissimus es so schön ausdrückte: entre nous.“

Dem Kammerherrn war die Cigarre ausgegangen; ich wollte ihm das Feuerzeug reichen, das auf dem Tischchen stand; er dankte, bat aber, ihm auch die Cigarrenkiste heranzuschieben, aus der er eine frische Cigarre nahm und anzündete.

„Non bis in idem,“ sagte er lächelnd; „nicht zweimal dieselbe Cigarre. Ist sie einmal erloschen, weg damit!“

„Die Dame starb also?“ fragte ich schüchtern.

„Bravo,“ sagte der Kammerherr lachend, „habe Sie gleich daraufhin taxirt, daß Sie zu den inquisitive travellers dieser Erde gehören. Wie alt sind Sie eigentlich, wenn es nicht indiskret ist, zu fragen?“

Ich sagte es ihm.

„Der Tausend!“ rief er, „ich habe Sie mindestens für zwei Jahre älter gehalten. Freilich, kluge Menschen erscheinen immer älter, als sie sind. Nun, da kann ich Ihnen auch das Ende der Geschichte erzählen, das eigentlich nur für Erwachsene ist, was man allerdings von Eurem Horaz und Ovid und der übrigen liederlichen antiken Kompagnie, mit der Ihr auf Du und Du steht, oder stehen sollt, erst recht sagen kann. Ja, die Dame starb. Sie hielt es mit dem Leben, wie ich mit den Cigarren: ist der erste frische Duft dahin – weg damit! Und ihr Leben – nun, auch stärkere Frauenköpfe möchten sich an dem Duft berauscht haben. Um es kurz zu sagen: sie war die Geliebte des Fürsten geworden – eine von vielen der Reihe nach, zur Zeit die einzige und die noch höher streben durfte und zweifellos strebte. Der Fürst liebte sie in seiner Weise leidenschaftlich. Wir mußten alles Ernstes fürchten, daß er sich von seiner Gemahlin scheiden lassen und die Fremde heirathen würde – natürlich zur linken Hand. Und es gab nicht Wenige, welche diese Eventualität keineswegs fürchteten, vielmehr derselben mit Freude entgegensahen und ihr Möglichstes thaten, sie herbeizuführen. Denn die Dame war ebenso liebenswürdig, wie sie schön war, und ihre Excentricitäten machten sie in den Augen ihrer Anhänger nur noch liebenswürdiger; man versprach sich ein köstlich tolles Leben unter ihrem Regimente. Andere dachten anders, und unglücklicher Weise waren unter diesen sehr, sehr hochgestellte Personen. Der Fürst mußte nachgeben; nach meiner unmaßgeblichen Ansicht war es ihm auch nie voller Ernst: er dilettirte eben in allen Künsten, inklusive der ars amandi. Es erfolgte die von den Klugen vorausgesehene Katastrophe. Daß freilich die Dame die Sache so überaus tragisch nehmen und ihrem und ihres Kindes Leben unverzüglich ein Ende machen würde – in dem Flusse, der hinten am Schloßparke vorüberfließt – das war nicht vorausgesehen worden, mußte aber hingenommen werden und wurde hingenommen wie alle faits accomplis. Grands dieux! ich werde wirklich alt. Da schwatze und schwatze ich und vergesse die Hauptsache, weßhalb ich Sie habe bitten lassen. Sie dürfen nicht Nein sagen und müssen auch Ulrich dazu bringen, Ja zu sagen. Mit Fräulein Maria habe ich schon gestern Abend gesprochen; sie ist ganz mit mir einverstanden. Also: ich will Euch jungem Volke ein paar Akte der ,Iphigenie‘ einüben – sagen wir die beiden letzten: in den ersten stehen zu viel ungesellschaftliche Dinge. Den Thoas lese ich, den Arkas kann Weißfisch zur Noth auch mimen. Eine kleine Bühne ist bald hergestellt, für die Kostüme sorge ich. Nun? nicht wahr, Sie sind ein gutes Kind und machen einem alten Mann die Freude, die einzige, die er noch auf der Welt hat?“

Er streckte mir mit einem gewinnenden Lächeln die Hand entgegen. Was konnte ich Anderes thun, als dieselbe ergreifen und stammeln, daß ich mit Vergnügen, was in meinen schwachen Kräften stehe, thun würde, ihm eine kleine Freude zu bereiten.

„Also abgemacht,“ sagte er, meine Hand loslassend. „Weißfisch, wie steht es mit dem Frühstück der Herrschaften?“

„In fünf Minuten,“ sagte Weißfisch, ein schönes Bouquett auf das Tischchen stellend und hinzufügend: „mit Erlaubniß des Gärtners.“

„Er stiehlt nämlich sonst wie ein Rabe,“ sagte der Kammerherr lachend.

Ich verbeugte mich zur Thür hinaus und eilte die Treppe hinauf auf unser neues Zimmer. Es war, wie ich gedacht: Schlagododro nicht da, und in den beiden Kommoden steckten die Schlüssel! Ich öffnete die eine; es war zufällig gleich die für mich bestimmte, in welche Schlagododro meine Sachen für seine fahrige Weise sehr ordentlich gelegt hatte. In dem obersten Fache neben Kragen und Taschentüchern einige in Papier gewickelte Kleinigkeiten, unter denen aber, wie ich auf den ersten Blick sah, das Medaillon fehlte. Jedenfalls hatte es Schlagododro an sich genommen.

Es polterte draußen auf dem Flur, und der Freund stürzte herein.

„Ich war schon unten beim Kammerherrn,“ rief er, „und hörte, daß Du hinaufgegangen seiest. Komm schnell, Mama liebt es nicht, wenn nicht Alle da sind!“

„Du hast doch mein Medaillon?“ fragte ich, schon im Begriff ihm zu folgen.

„Was für ein Medaillon?“

„Es hat zu unterst im Koffer gelegen – in Papier gewickelt – mit einem Bilde meiner Mutter.“

„Ich habe verschiedene kleine Pakete gefunden, die in Papier gewickelt waren, und oben in den Kasten gelegt. Es muß dabei sein.“

„Es ist es aber nicht.“

„Dann ist es auch nicht im Koffer gewesen; ich habe Alles so sorgfältig behandelt, als ob es rohe Eier wären. Du wirst es zu Hause gelassen haben. Aber nun komm, oder wir kriegen Schelte!“

Ich konnte es nicht zu Hause gelassen haben – es war unmöglich. Ich mußte mich vor der Hand trösten, daß es irgendwo zwischen die Wäsche geglitten sei. Aber es blieb mir keine Zelt, genauer nachzusehen, Schlagododro war zu dringend. Widerwillig folgte ich ihm, nicht ohne vorher den Schlüssel der Kommode zu mir zu nehmen.


5.

Ich hätte den Schlüssel stecken lassen können: das Medaillon war nicht in der Kommode. Darüber blieb kein Zweifel, nachdem wir Alles durchforscht hatten. Schlagododro war sehr betreten. Er gestand, daß er zwar eigenhändig die Sachen in die Kommode gelegt, aber sie sich zu dem Zwecke von dem „Neuen“ aus dem Koffer habe langen lassen. Bei dieser Gelegenheit mußte der Mensch den Diebstahl ausgeführt haben. Schlagododro hatte ihn, als er das Zimmer verließ, mit sich genommen, und derselbe war nachweislich, bis ich die Entdeckung des Verlustes machte, nicht wieder auf das Zimmer gekommen. Daß aber ein Diebstahl vorliege, daran konnte ich nicht zweifeln und zweifelte auch sonst im Hause Keiner: der Mann hatte sich, so kurze Zelt er auch erst im Dienste war, bereits mehrere unbedeutendere Veruntreuungen zu Schulden kommen lassen, zu denen er sich auch bekannte. Zu diesem schweren Falle wollte er sich nicht bekennen, trotzdem ihm völlige Straffreiheit zugesichert wurde. Er blieb hartnäckig beim Leugnen, eine Durchsuchung seiner Sachen erwies sich fruchtlos; Herr von Vogtriz mußte sich damit begnügen, ihn fortzuschicken.

„Siehst Du, wie Recht ich hatte,“ sagte Schlagododro, „ich habe dem Kerl vom ersten Augenblicke an nicht getraut. Ich kann mich auf meine ersten Eindrücke immer verlassen.“

Das war ja so weit ganz gut, brachte mir aber leider den verlorenen Schatz nicht wieder. Es war ein flüchtiger Besitz gewesen. Und nicht einmal angesehen hatte ich das theure Bild. Hatte es sich von mir gewandt, weil ich mein Herz loszumachen versucht hatte von ihr, die es darstellte? Ein Versuch, der mißlungen war. Maria hätte mir nicht einzuschärfen brauchen, ich

dürfe die Mutter nicht hassen – ich konnte es nicht und wußte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_187.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2024)