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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Spitzenmantille um die Schultern und das Blondenhäubchen auf dem weißen Scheitel. Ich in schwarzem Seidenkleid mit lang nachrauschender Schleppe und der kleinen Brillantbroche der verstorbenen Mutter. Uns voran ging Lotte; reizend sah die schlanke weiße Mädchengestalt aus, rosig angehaucht von der Gluth der untergehenden Sonne. Es hatte ein wenig geregnet, wunderbar frisch war die Luft, auf jedem Blättchen schimmerte ein Thautropfen. Lotte hatte den Kopf zurückgebogen und athmete mit geöffneten Lippen den Duft ein.

„Mir ist angst,“ sagte sie dann, „als läge ein Gewitter in der Luft. Ich wollte, wir wären erst wieder auf dem Heimwege.“

Da trat unter den Linden ein großer Mann hervor und kam uns eilig entgegengeschritten.

„Lotte, Mädchen, wie schön bist Du!“ rief er, hielt sie an beiden Händen von sich ab und betrachtete sie entzückt. „Das ist lieb von Dir, daß Du ein lichtes Kleid angezogen hast; aber nun komm, es schadet nichts, wenn die Gäste ein wenig auf uns warten müssen; nicht wahr, Tone, Sie sagen der Mutter, wir kämen gleich nach? Ich muß mich erst noch bedanken bei Lotte.“ Und er zog sie mit sich fort zu der Bank unter den niederhängenden Lindenzweigen, auf deren Sitz ein prachtvoller Blumenstrauß schimmerte.

Wir schritten weiter, und die alte Frau sagte: „Es ist so wunderlich mit Lotte; ob sie sich geniert vor uns? Es sieht immer aus, als ob sie sich nur nach innerem Kampf von ihm berühren ließe. Hast Du bemerkt, es schien, als wäre sie am liebsten gleich hinter uns hergelaufen?“

In der That holte uns das Brautpaar schon an der Gartenpforte wieder ein; der Dank mußte sehr kurz gewesen sein. Im förmlichen Sturmschritt kamen sie hinter uns; Lotte in der einen Hand ihre Schleppe, in der andern einen duftenden Rosenstrauß. Sie war blaß, er roth. Merkwürdig – er sah unvortheilhaft aus in dem schwarzen Frack und der weißen Halsbinde; die Jagdjoppe, die Stulpenstiefeln kleideten ihn besser.

Aus dem Gesellschaftszimmer schallte uns lautes Sprechen entgegen; Rieke in blendend weißer Schürze riß die Thür auf, und Großmutter überschritt an meinem Arm die Schwelle. Lautlos still ward es in dem großen Gemach, in welchem das Abendroth den Kerzenschein noch verdunkelte. Ein Rücken von Stühlen, das Knistern seidener Kleider, ein Chaos von neugierigen Menschengesichtern und dann die Stimme der Hausfrau: „Die Freifrau von Werthern und ihre älteste Enkelin – und – dort die liebe Braut meines Sohnes!“

Das Brautpaar war hinter uns eingetreten. Einen Augenblick noch die tiefe Stille, dann rauschte ein Strom von Worten über uns daher: „Ehre – Freude – Bekanntschaft.“ Großmutter saß wie hingeweht auf dem Sofaplatz, ich neben der jungen Frau Diakonus; Lotte aber stand noch immer an der Seite des Bräutigams; auf ein Flustern von ihr schob er einen Stuhl neben mich, und sie ließ sich nieder. Wunderlich! Das Gespräch kam nicht recht wieder in Fluß. Zuweilen flogen mehrere Engel hinter einander durch das Zimmer. Die Blicke der Anwesenden streiften immer und immer wieder das schöne stolze Gesicht der Braut. Ein paar junge Mädchen in rosa Batistkleidern flüsterten leise mit einander, Fritz sprach abseits mit einem Herrn über Ernte-Aussichten, und Großmama hatte sich mit der Frau Oberförster vertieft.

Ich versuchte, Lotte mit in das harmlose Gespräch über die Akustik der Marienkirche, das ich mit der kleinen blonden Nachbarin führte, zu ziehen – vergebens; sie schwieg konsequent. Es that mir leid; ich allein wußte ja, wie hinreißend Lotte plaudern konnte. Da auf einmal tönte der Name des Prinzen Otto ins Gespräch, und als ob alle Schranken gefallen wären, so lachte und sprach es jetzt durch einander.

„Er will für immer hier wohnen,“ sagte Jemand.

„O bewahre! Er ist auf höheren ‚Wunsch‘ hier, wie schon öfter –“

„Ob er Gondelfahrten arrangiren wird, wie vor zwei Jahren?“ rief ein junges Mädchen mit leuchtenden Augen.

„Nun, da werden wir wieder etwas erleben,“ seufzte der Bürgermeister.

„Es giebt aber sicher Theater,“ rief Frau Oberförster vergnügt.

„O ja, an Spektakel wird’s nicht fehlen!“ bemerkte der Gatte trocken.

Zuletzt war ein lebhaftes Für und Wider den Prinzen. Die Herren zuckten die Achseln und schienen nach dem erlauchten Gast nicht viel zu fragen; die Frauen zogen mit tausend Gründen für ihn ins Feld.

„Es kommt ein bischen Geld unter die Leute,“ sagte die behäbige Frau Bürgermeisterin. – „Man hört doch mal wieder Musik,“ meinte eine Andere. – „Rotenberg versauert, wäre er nicht zuweilen hier.“ – „Ja, ja!“ stimmten die jungen Mädchen ein.

„Nun, das ist wieder die alte Lehre,“ übertönte die Stimme des Oberförsters die eifrig Sprechenden. „Wenn Jemand bei den Frauen Glück haben will, muß er nur ein Dutzend recht dumme Streiche begehen und sorgen, daß so und soviel Liebesabenteuer ihm nachgerechnet werden können und –“

Der Chorus der Damen brachte ihn sofort zum Schweigen.

„Das war nicht hübsch!“ meinte die Frau Superintendentin, „aber der Herr Oberförster ist immer so boshast.“

Es war eine förmliche Empörung, die gegen den lachenden Mann mit dem stark ergrauten Bart heranzog. Er stand am Fenster und hielt sich die Ohren zu.

„Aber meine Damen,“ versuchte er zu beschwichtigen, „es ist eine unbestreitbare Thatsache! Als irgend ein berühmter Räuber hingerichtet wurde vor noch gar nicht langer Zeit, fand man in seinem Nachlaß Tausende von zarten Briefen.“

Die Meldung, daß servirt sei, machte der Debatte ein Ende. Das Brautpaar schritt voran in das Eßzimmer, und Lotte stand mit undurchdringlicher Miene vor ihrem Ehrenplatz. Dann saß sie unter den hängenden Birkenzweigen; aber es machte einen seltsamen Eindruck, dieses schöne unbewegliche Mädchengesicht. Ich bemerkte, wie sie jede Schüssel zurückwies, wie Fritz sich besorgt zu ihr beugte, und wie er endlich aufstand und mit raschem Griff die Zweige knickte, so daß der Schmuck zur Erde sank.

Ich hatte meinen Platz neben dem jovialen Oberförster gefunden; er wollte eben seine Behauptung von vorhin noch mehr beleuchten, da klang es hell in das Sprechen hinein. Der Superintendent hatte, aufstehend, an das Glas geschlagen und schickte sich zum Reden an.

Er wandte sich zu dem Brautpaar. Er sprach von dem Glück, das einem Hause widerfahre, in welches eine liebliche Braut eintrete; mit Rosen solle man ihr die Schwelle bestreuen zum Dank für die Rosen der Freude, die sie bringe. Er sprach von der Familie Roden, die schon lange in diesem Hause wohne und mit Stolz auf wackere ehrenwerthe Männer, auf tugendhafte Frauen zurückblicken könne, und er betonte, daß diejenige, die dem letzten Roden die Hand reiche, sich als hochbeglückt erachten dürfe, denn von Jugend auf sei er ein Mensch gewesen, der das Herz auf dem rechten Fleck habe. Und so trinke er denn auf das Wohl des jungen Paares, das er bald vor dem Altare der Marienkirche zu sehen hoffe; auf einen seligen Braut- und einen fröhlichen Ehestand.

„Hoch!“ riefen die Gäste im brausenden Chor und drängten sich mit den Champagnergläsern in der Hand zu Braut und Bräutigam.

Mitten in diesem Tumult sah ich die mir gegenüber befindliche Thür sich öffnen, und im Rahmen derselben erschien – Prinz Otto. Er war in elegantem Promenadenanzug und blickte mit lachenden Augen auf die Scene. Frau Roden bemerkte ihn zuerst; ich hörte ihr bestürztes: „Daß Gott – der Prinz!“ Dann war sie gegangen, ihn zu bewillkommnen.

Er war kein Fremder in diesem Kreise, und er schien ein gern gesehener Gast; lauter freudig überraschte Mienen begrüßten Se. Durchlaucht. Er aber nahm nach einem ritterlichen Kompliment vor meiner Großmutter, nach einem herzlichen Handdruck mit Fritz Roden, einen Stuhl, rückte ihn an Lotte’s Seite und bat, man möge sich nicht stören lassen, er wolle nur seinen persönlichen Glückwunsch zu der Verlobung seines alten Jugendgespielen darbringen, um bald wieder zu verschwinden. Und in der That, er störte nicht. Er begann so unbefangen mit Lotte zu plaudern, stieß mit Fritz an, lachte herzlich wie – wie jeder andere junge Mann, der da weiß, daß er ein willkommener Gast ist im heiteren Kreise. Er lehnte jede Speise ab, aber er schlürfte den perlenden Champagner mit großem Behagen.

Ich sah, wie auch Lotte öfter nippte, wie ihre Augen zu leuchten begannen und sie gesprächiger wurde; wie allmählich die alte bezaubernde Lotte dasaß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_123.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2020)