Seite:Die Gartenlaube (1886) 103.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)


Blumensträuße zu verkaufen; das letzte Mal, wo das Leben all seinen Glanz und Schimmer um sie verbreitete. Ich schrak zusammen, so fremd kam mir die Gegenwart vor; man kann sich durch eine Sache aus vergangenen Zeiten so tief in Gewesenes zurückversetzen.

Nun erinnerte ich mich meines Versprechens und machte mich in Eile auf den Weg nach dem Schlosse. Beim Ueberschreiten des Domainenhofes sah ich im Herrenhause alle Fenster geöffnet, und die alte Frau erschien einen Augenblick dort; sie schlug ein weißes Staubtuch aus und war so im Eifer, daß sie mich nicht bemerkte. – Aha! Die Zurüstungen für den Abend! Und ich mußte daran denken, wie sehr sie erfreut war, als Lotte endlich den Bitten des Bräutigams nachgegeben, eine Art von Verlobungsfeier zu begehen. „Kindchen, man lebt doch einmal mit den Leuten,“ hatte sie befriedigt gesagt, „und sie nehmen Antheil an Allem, was uns betrifft, wie wir es ebenso bei ihnen thun, und glaubt’s nur, es geht nichts über getreue Freunde und gute Nachbarn! Nun wünschte ich nur, Lotte sähe freundlich aus an seiner Seite; es steht ihr so gut, und die Munkeleien hätten dann gleich ein Ende. Sie wissen ja, Tone, sie gilt hier als stolz und unliebenswürdig, auch schon deßhalb, weil sie bei Niemand Visite machen wollte.“

Ja, ob Lotte freundlich aussehen würde, konnte ich nicht rathen; aber ich fürchtete fast das Gegentheil, wenn ich an die kleine Scene vorhin dachte.

Und nun war ich unter den Kastanien dahin geschritten, stand vor dem Portale des Schlosses und zog die Glocke, auf deren Porcellangriff das Wort „Kastellan“ zu lesen war. Gleich darauf öffnete sich ein Flügel der Thür, und ich trat in eine weite Halle; zu beiden Seiten derselben führten breite Treppen nach oben, an deren untersten Stufen je zwei bronzene Ritter Wache zu halten schienen. Niemand zu sehen! Ich schritt die Marmorstiege empor, betrachtete die Büsten römischer Kaiser, welche die weißen, reich mit Stuck dekorirten Wände schmückten, und den mächtigen Kronleuchter aus Bronze. Eine kühle feuchte Atmosphäre überschauerte mich und die spukhafte Stille eines unbewohnten vornehmen Gebäudes. Oben ein weiter Vorplatz, Alles in weiß lackirtem Holz gehalten; purpurne wollene Vorhänge und rothbezogene Stühle; die Fenster gewährten einen Blick auf den Schloßhof, zwischen dessen Pflastersteinen Gras wucherte. Rechts und links weiß verhüllte Glasthüren. Ich klinkte die erstere auf und trat in einen langen dämmerigen Korridor, dessen hohe Wände regelmäßig unterbrochen waren durch geschnitzte Flügelthüren; hier und da eine Nische, Spiegel, Polsterstühle mit Bronzebeschlag. Im Weiterschreiten zählte ich die Thüren, die Siebente sollte es sein. Ich öffnete; geräuschlos drehte sich der Flügel in seinen Angeln, und ich stand auf weichem Teppich in einem kleinen entreeartigen Gemach. Alte schwere Gobelintapeten bedeckten die Wände; über schwarzem Marmorkamin ein Spiegel in facettirtem Glasrahmen, aus dem mir ein goldiger Schimmer entgegenblinkte; zwei mit schweren türkischen Stoffen verhüllte Thüren, die nach rechts und links in die Gemächer führten, und über einem wunderlichen Meubel, halb Kredenztisch, halb Spinde, besetzt mit köstlichen alten Gläsern, die prächtige Kopie der büßenden Magdalena von Battoni.

Im Weiterschreiten stockte mein Fuß, denn aus dem Nebenzimmer flog mir ein Lachen entgegen, wie ich es lange nicht gehört, und doch so bekannt, so silbern und herzlich. Und diesem Lachen folgte eine klangvolle Männerstimme, die lustig sprach: „Sie glauben mir nicht?“

Ich war regungslos stehen geblieben. Aus dem Spiegel aber, mitten aus dem goldigen Gewirr tiefgelber seidener Falten, die er zurückwarf, sah ich Lotte’s Profil; der feine Kopf mit dem dunklen Haar hob sich wunderbar von dem satten Gelb. Sie saß vor ihrer Staffelei, mir den Rücken halb zuwendend, und sah zu dem Sprecher hinüber, der neben dem Bilde stand, an welchem sie malte; ein Männerantlitz, auf dem der Uebermuth der Jugend und des Glückes lag, die blauen Augen blitzend vor Lebenslust. Es war ein Anblick, wie er einen Maler mit Entzücken erfüllen kann; mich packte er mit Angst.

„Nein, Durchlaucht,“ hörte ich sie jetzt wieder sprechen, „das glaube ich nicht. Uebrigens bin ich gerade zu Ende mit meiner Arbeit, und da meine Schwester nicht zu kommen scheint, so –; Fräulein Anita, Sie sind so freundlich und besorgen mir die Sachen in unsere Wohnung hinüber.“ Ich sah im Spiegel, wie sie sich erhob.

Im Sturm trieb es mich vorwärts; ich stand plötzlich unter den gelben Vorhängen der Thür und fühlte die blitzenden Männeraugen auf mich gerichtet, befremdet und verwundert. „Lotte!“ rief ich. – Ich weiß heute noch nicht, ob ich mich verbeugte, wie es die Etikette verlangt, als Lotte, sich umwendend, sagte: „Meine Schwester, Durchlaucht.“

„ich habe Ihr Fräulein Schwester in unverantwortlicher Weise gestört,“ redete er mich verbindlich an. „Im Begriff nach Schloß Grunen hinauf zu fahren, kam mir die Laune, hier einmal Station zu machen, und ich fand beim Betreten meiner Zimmer, ohne von dem überraschten Kastellan unterrichtet zu sein, die fleißige Malerin –“

„Und ich erschrak nicht wenig,“ fügte Lotte unbefangen hinzu und band ihr Schürzchen ab. „Aber Durchlaucht, Sie sehen, das Bild ist fertig und – ich störe nicht länger.“

„Im Gegentheil, es ist nicht fertig!“ rief er und betrachtete prüfend die Malerei. „Sehen Sie, Fräulein von Werthern, auf dem Kelchglase mit goldnem Rheinwein fehlt noch der letzte Aufsatz des vollen Lichtes; der Flaum der Pfirsiche könnte weicher sein und der Brillantring hier in der Ecke, der so achtlos und doch bedeutungsvoll neben der reichen Fruchtschüssel auf der grünen Sammetdecke liegt, ist skizzenhaft ausgeführt; Sie müssen ihm mehr Sorgfalt zuwenden; sehen Sie das Original an, es ist das Zeichen des Meisters, Pieter de Ring; Sie dürfen es nicht vernachlässigen. Meiner Meinung nach haben Sie noch viele Tage an dem Bilde zu arbeiten.“

„Es sind nur Kleinigkeiten,“ erwiderte Lotte bestimmt, „die ich ganz gut drüben nachholen kann.“ Und als der Prinz eine heftige Bewegung machte, um sie zu unterbrechen, setzte sie rasch hinzu: „Ich will das Bild noch heute verschenken, Durchlaucht.“

„An ihren Bräutigam,“ sagte ich laut, und ich fühlte, meine Stimme klang schwer und ernst. Ich konnte nicht anders.

Er sah Lotte groß an; es lag eine Frage in diesem Blick.

„Ja!“ bestätigte das Mädchen leise und blickte zu Boden. „An meinen Bräutigam.“

„Er ist zu beneiden,“ sprach der Prinz, ohne sein Auge von dem ihren zu verwenden. Und Lotte setzte hastig ihr Strohhütchen auf und nahm das noch nasse Bild von der Staffelei. Sie war blaß, und um ihren Mund lag wieder der harte Zug der letzten Wochen, der vorher wie verschwunden schien. Mit einer tiefen Verbeugung trat sie zurück, faßte mich an der Hand, grüßte Anita, die unbeweglich am Ofen stand und zum Fenster hinausstarrte, mit einem leichten Neigen des Kopfes, und im nächsten Augenblick durchmaßen wir den Korridor, eilten die Treppe hinunter und gingen bald unter den Kastanien hin der Oekonomie zu. Keine von uns hatte bis jetzt ein Wort gesprochen.

„Wie kam der Prinz dorthin?“ fragte ich endlich.

„Ich weiß es nicht, Tone,“ erwiderte sie. „Ich saß und malte, und Anita plauderte und legte Holz in den Kamin auf meine Bitte, der feuchten kühlen Luft wegen, da hörte ich einen Wagen sehr rasch fahren, so wie hier zu Lande sonst nicht gefahren wird – sie schonen ja Alle die Gäule – nun, etwa wie in Berlin; und ich sagte, das klingt wie eine herrschaftliche Equipage. Auch Anita hatte aufgehorcht; dann wurde es still. Wir sprachen noch von anderen Sachen, als ich auf einmal leichte Schritte hinter mir hörte, und als ich aufsah, stand er schon dicht neben mir. Es war mir sehr peinlich, weißt Du! Er sagte, was er zu Dir gesagt, er habe nach Grunen gewollt, und die Laune habe ihn gefaßt, Rotenberg, den Ort, wo er die langweiligsten Wochen seines Lebens vertrauert, wieder zu sehen. Es ist mir unangenehm, Tone; sprich nicht darüber.“

„Da wird Deine Lieblingsbeschäftigung wohl für ein Weilchen ruhen müssen, Lotte?“

Sie seufzte und betrachtete das Bild. „Er bleibt vielleicht nicht lange,“ sagte sie dann, „aber gleichviel, es ist nicht angenehm, so überrascht zu werden.“

Wir traten in den Gutshof, und ich wollte links abbiegen nach der Gartenpforte. Sie war zögernd stehen geblieben; „ich möchte erst noch einen Moment hineingehen, Tone oder willst Du ihm das Bild geben?“

„O nein,“ sagte ich erfreut, „ich komme mit Dir.“

(Fortsetzung folgt.)




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_103.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2020)