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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Er hatte halb scherzend gesprochen, aber in seinen Zügen spiegelte sich eine tiefe innere Bewegung.

Aber Lotte sagte nicht: „Ja!“ Sie hatte sich abgewandt und schaute zum Fenster hinaus, auf die grell beleuchteten Schloßwände, und nach einer langen Pause sprach sie, ohne sich umzuwenden:

„So rasch entscheide ich mich nicht; noch ist Papa kein Jahr todt.“

Er sah mich groß an; es lag etwas wie Angst und Enttäuschung in seinem Blick. Doch mit keinem Worte drang er mehr in sie.

Wie erleichtert kam das Mädchen vom Fenster zurück.

„Ich will wieder malen,“ sagte sie fröhlich, „ich will doch endlich die Erlaubniß benutzen und da drüben kopiren; in dem gelben Zimmer ist ein Stillleben, es hat mir sehr gefallen. Ich will hinübergehen und fragen, ob ich morgen beginnen kann.“ Und sie trat vor den schweigenden, finster blickenden Mann und faßte ihn an den Rockkragen. „Keine Gletscher, Friedrich – ein Stillleben; und wenn Du willst, so kannst Du es haben, wenn es fertig ist.“

Es war seit langer Zeit das erste Mal, vielleicht überhaupt das erste Mal, daß sie so zu ihm sprach. Er vergaß, daß sie in kindischer Weise die Vereinigung mit ihm ins Ungewisse hinausschob, vergaß Alles über ihre unerwartete Freundlichkeit; ein glückliches Leuchten ging über sein Gesicht.

„Ja!“ sagte er. „Male das Stillleben – bald, mein Liebling!“

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Mit wahrem Feuereifer begann Lotte ihre Wanderungen nach dem Schlosse. Dort drüben im gelben Zimmer waren die Vorhänge zurückgezogen, und zuweilen trat sie ans Fenster, die Leinwandschürze vorgebunden, und grüßte herüber. Es kam mir vor, als hätten sich ihre Züge wieder belebt; sie plauderte bei Tische und sah nicht mehr so lange starr auf einen Fleck wie sonst. Das alte reizende Lächeln, halb schelmisch – halb mokant, spielte, wenn auch nur schwach, um den Mund; wenn sie aber auf Fritz’ Wunsch den Nachmittag oder Abend bei seiner Mutter zubrachte, kam sie immer bleich zurück und klagte über Abspannung. Sie unterdrückte überhaupt nur mit Mühe einen Gähnkrampf in der Nähe der alten Frau; sie waren doch auch allesammt zu entsetzlich prosaisch und spießbürgerlich! –

Die alte Dame kannte keinen der neuen Romane, hatte keine Ahnung von Offenbach’s „Pariser Leben“, dafür stand auf ihrem Bücherbördchen neben Schiller, Goethe und Lessing ein Buch, betitelt: „Der Schutzgeist edler Weiblichkeit“, mit goldenen Regeln für Jungfrau und Weib. Lotte hatte es einmal hervorgezogen und sich über den „altmodischen“ Inhalt fast todtgelacht. Das nahm die alte Dame natürlich übel, und Fritz war in eine häßliche Lage gerathen, da jede sich bei ihm beklagte. – Die einfachen Lieder, welche die alte Frau zum Klavier gesungen in ihrer Jugend, wurden mitleidig freundlich betrachtet, und drei Tage hinter einander nannte Lotte ihre künftige Schwiegermutter immer nur „den guten Mond“, weil sie ihr freundlich mittheilsam erzählte, als sie Braut gewesen, habe sie das Lied so gern gesungen: „Guter Mond, du gehst so stille –“. Die Offenbach’schen Melodien aber, die Lotte zuweilen in Erinnerung an verschwundene schöne Stunden spielte, erklärte die alte Frau für nichtssagende Dudeleien, und legte ihr Beethoven’s Sonaten hin, worauf Lotte natürlich nicht reagirte. Ja, das Prinzeßchen langweilte sich grenzenlos, sie verstand nicht, jene oft mühsam errungene Zufriedenheit eines Menschenherzens zu schätzen, das in Arbeit und Mühe alt geworden und voll Stolz auf ein ehrenhaftes Leben zu blicken vermag. Es war einfach „spießig“ nach ihren Begriffen.

Und da drüben in der großen Giebelstube des Gutshauses saßen vier Nähterinnen und schafften an der Aussteuer.

„Kinder, ich bitte Euch,“ hatte die alte prächtige Frau eines Tages gesagt, „beschafft kein Leinenzeug: bei mir liegt es bergehoch in Spinden und Truhen, es wäre die reine Verschwendung! Der Fritz ist mein einziger, und von Großmutter Zeiten her ist für Viele gespart; seit drei Generationen hatten die Rodens keine Tochter auszustatten, es waren immer nur Söhne im Hause. Ein wahrer Segen, daß endlich einmal das Zeug ans Tageslicht kommt.“ – Und da häufte sich nun das köstlichste Linnen, der wundervollste Damast zu hohen Paketen auf und in der Ecke prangte der Name C. v. W. „Denn,“ raunte mir die alte Dame zu, „es braucht Niemand zu wissen, daß es die Lotte nicht mitbringt; die Leute sind so wunderlich hier, sie reden darum. Ich sagte, ihr hättet drüben keinen Platz für die Nätherin.“

Aber Lotte bemerkte das gar nicht. Sie stand nicht wie eine dankbare Tochter vor der alten Frau; das Mädchen mit den völlig leeren Händen, das nicht einen Heller sein nannte, um die Aussteuer zu kaufen, es fand kein Wort des Dankes für soviel Zartgefühl. Nach ihren Begriffen war es auch nur der andere Theil, der zu danken hatte – sie ließ sich herab. Sie warf den schönen Kopf in den Nacken zurück und streifte gleichgültigen Auges diese Schätze.

Vom Hans, von jenem Abend, war nie wieder die Rede gewesen; wohl aber erfuhr ich, daß Fritz Roden, auf einen Brief seines Freundes, die damals gewünschte Summe an Hans abgesendet hatte. Eine Antwort war nicht erfolgt. Ich mochte nicht daran rühren, ich schämte mich dieser Bettelei; und sie hatte den Namen des Bruders nie wieder genannt.

Das Frühjahr schwebte auf leisen, duftenden Schwingen über das Land und brachte die alte, ewig neue Lust – Vogelsang, Blüthenbäume und hoffnungsfrisches köstliches Grün, und an einem warmen duftigen Morgen zu Ende April schlug vor unserm Zimmerfenster die erste Nachtigall. Ich weiß nicht, warum ich weinen mußte; ob es die Ahnung war von dem, was kommen sollte; ob es das Bewußtsein machte, daß Lenz und Glück für Alle erschien, nur für mich nicht?

Ich führte ein seltsames Leben in jener Zeit; ich fühlte sozusagen nichts mehr. Ich wußte, daß mein Leben verrinnen würde wie ein träger Bach zwischen reizlosen Ufern, in Sorge und Arbeit, und der Gedanke macht so still, so müde und stumpf. Ich sah die alte Frau im Sorgenstuhl und dachte nach über die unendliche Spanne Zeit, die mich noch von ihrem Alter trennte; und dann betete ich: laß mich nicht so alt werden, großer Gott! Es ist ein furchtbares Geschick, zii leben, wie ich lebte! Das Einzige, was mich noch beunruhigte, war das ernste Gesicht von Fritz Roden. Er ist auch nicht glücklich, dachte ich dann, aber er kämpft, er kann noch ringen; bei mir ist Stille, ist Alles vorüber!

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„Willst Du Dir einmal ansehen, Tone, wie weit mein Bild gediehen ist?“ fragte Lotte eines Morgens, als sie im Begriff war hinüberzugehen. „Komme doch nachher und hole mich ab; es ist dort noch sonst allerhand Schönes zu sehen, die ganze wunderliche üppige Einrichtung aus der Zeit des ersten Napoleon, und Anita erklärt Alles ganz originell; es ist doch einmal etwas Anderes in diesem monotonen Einerlei. – Oder bist Du etwa zu sehr beschäftigt mit den Toilettevorbereitungen für das Souper auf der Domaine, von dem man sich diesmal nicht loskaufen konnte? Denn – o großer Triumph! – die Gesellschaft von Rotenberg soll und will endlich die künftige Frau Roden kennen lernen.“

„Für mich nicht, Lotte,“ erwiderte ich. „Ich habe mein schwarzseidenes Kleid, aber für Dich möchte ich etwas zurechtstellen; ich denke, Du nimmst Deine weiße Kachemirtoilette; als Braut und Hauptperson mußt Du Dich schön machen, Prinzeßchen. Ich wollte Dir, anstatt der blauen Bänder, schwarze Sammetschleifen daran heften.“

Sie antwortete nicht, aber zwischen den feinen Brauen zeigte sich eine verdrießliche Falte.

„Kommst Du?“ fragte sie ausweichend.

„Ja, Lotte. Du hast Recht, ich kenne die Räume nicht, in denen Du so oft jetzt bist. Ich komme so gegen halb Zwölf, dann schläft Großmama.“

„Du klingelst also am Hauptportale, Tone, und wenn die Thür aufspringt, gehst Du die Treppe hinauf, öffnest rechter Hand die mit Glasscheiben versehene Thür und biegst in den langen Korridor ein, rechts die siebente Thür ist es. Adieu, auf Wiedersehen.“

Gegen halb zwölf Uhr war ich mit der Toilette des Prinzeßchen fertig; eine elegante Robe, aus gelblich weißem Kachemir und Seidenatlas zusammengestellt. Sie hatte das Kleid getragen zu einem Bazar im Palais des russischen Botschafters, um dort

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_102.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2020)