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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

einmal herein!“ Und als das ganze Gesinde herzulief, bis auf die letzte Küchenmagd, die Knechte und den kleinen Stallbuben, da faßte er das Prinzeßchen um die feine Taille und sagte: „Da, seht meine Braut, ihr Leute! Morgen könnt Ihr die Verlobung feiern, die Mamsell mag sich einrichten dazu. Na, David, komm her und gieb mir die Hand. Als wir beiden Liebesleute uns zuerst gesehen, da hast Du uns gefahren; Du hast die Braut hereingeführt, und zur Trauung sollst Du uns wieder fahren! Nicht wahr, Lottchen?“

Ob sie an jenen Abend dachte? Und an ihre spöttischen Bemerkungen? Sie starrte über die Leute hinweg ins Leere hinaus und mählich stieg eine Purpurröthe in ihr Gesicht. Mit einer hastigen Neigung des Kopfes schien sie zu bejahen, dann wandte sie sich rasch. Fritz Roden mußte allein die glückwünschenden Händedrücke in Empfang nehmen, und sie stand am Fenster mit finster zusammengepreßten Lippen. In ihrer Haltung lag etwas Ungeduldiges, als möchte sie eine Last von den Schultern werfen.




Zwei Wochen waren vergangen seit jenem Verlobungstage; eine wunderbare Spanne Zeit! Wie Blei lag es auf allen Gemüthern; das einzig Strahlende waren Fritz’ Augen. Jeden Tag um fünf Uhr erschien er bei uns und blieb bis zum Abend. Gewöhnlich hatte er beim Eintreten die linke Hand, die ein Päckchen trug, auf dem Rücken versteckt, um dasselbe mit glücklichem Lächeln und möglichst unbemerkt in Lotte’s Arbeitskörbchen zu verbergen oder ihr unversehens in den Schoß zu legen. Es waren wunderliche Präsente mitunter, wie sie eben ein Mensch, der à tout prix schenken will, in einer kleinen Stadt aufzutreiben vermag; elegante Papeterien mit bemalten Briefbogen, Arbeitstaschen mit unbrauchbaren Scheren und Fingerhüten, die viel zu groß waren für Lotte’s Fingerchen, Parfüms, die geradezu schrecklich rochen, und dann mal wieder ein köstlich duftender Veilchenstrauß, der wohlthuend abstach gegen die anderen Sachen. Ich konnte mich nie entschließen, Lotte beim Empfange dieser Gaben anzusehen, sie paßten so ganz und gar nicht für sie, und doch waren sie alle freudig gegeben, mit so inniger Liebe ausgesucht, daß ich sie um jede einzelne beneidete.


Sie stellte sie alle mit einander in einen großen Kommodenkasten, den sie eigens zu diesem Zwecke leerte. Und sie konnte seinen fragenden zärtlichen Blicken mit einer Konsequenz ausweichen, die bei ihrem sonst so lebhaften Augen- und Mienenspiel zu einer förmlichen Leistung der Selbstbeherrschung wurde. Ueberhaupt war sie stiller geworden und hatte ein stolzes Wesen angenommen, das einen minder begeisterten Bräutigam, als Fritz Roden, schon nach drei Tagen zur Verzweiflung gebracht haben würde, womit sie ihn aber so unbemerkt lenkte, als sei er eine ihrer Puppen vom Kindertheater, die sie an seidenen Fädchen tanzen ließ. Nie nahm sie seinen Arm, wenn wir spazieren gingen, und sie hatte sanft, aber bestimmt abgelehnt, Besuche bei den Honoratioren zu machen, weil – sie noch in zu tiefer Trauer sei.

Er ließ es gelten, er ließ eben Alles gelten. Er kam nicht mehr in Stulpenstiefeln, weil sie geäußert hatte, er sehe aus wie ein Verwalter; er trug keine bunten Kravatten mehr, weil sie behauptete, es sei unfein. Er hatte ein langes Schreiben an die Domainenverwaltung gerichtet mit der Bitte, ihm den völligen Ausbau der oberen Etage des Gutshauses zu gestatten, und er wollte ihr künftiges Zimmerchen hellblau dekoriren, weil ihr das reizeud stehen müsse und weil doch Blau ihre Lieblingsfarbe sei.

Großmutter saß apathisch dabei. Sie hatte sich sehr verändert, die alte Frau, gleichsam als ob die Folgen der traurigen Schicksale sich geltend machten, nun die Aufregung vorüber. Sie war zusammengesunken, geistig und körperlich. Frau Roden kam zuweilen mit dem Sohne, und dann blieben die beiden alten Damen in Großmutters Stube und sprachen von längst vergangenen Zeiten; Fritz saß der Lotte gegenüber, und ich allein an meinem Nähtische.

Nun war es dicht vor Weihnacht, ein häßlicher regnerischer Tag. Lotte hatte die Arme über einander geschlagen und sah zum Fenster hinaus; sie wandte dem Bräutigam das Profil zu, und er schien gänzlich in ihren Anblick versunken. Keiner sprach ein Wort.

Endlich wendete sie sich. „Nicht wahr, Fritz,“ sagte sie ganz unvermittelt „Du bist ein sehr wohlhabender Mann?“

Er stutzte und lachte und reichte ihr die Hand. „Nun, Prinzeßchen, wir haben schon zu leben.“

„Ich will Dich etwas fragen,“ sprach sie weiter, „aber Tone soll es nicht hören.“

Ich stand auf und ging hinaus. „Ich werde unterdeß für den Kaffee sorgen,“ sagte ich freundlich.

Nach einer Viertelstunde kam ich in das Schlafzimmer und sah die Thür geöffnet nach der Wohnstube; im Begriff zu schließen, hörte ich Fritz sagen:

„Alles was Du willst, Lotte – das nicht! Es wäre ein Leichtsinn.“

Nach einer Weile kam Lotte herein, ging vor den Spiegel und ordnete die Löckchen; ich sah, wie ihre Hände zitterten und wie dunkelrothe Flecke auf ihren Wangen brannten.

„Tone,“ sagte sie, „wir glaubten doch einmal, er wäre ein Gentleman? Wir haben uns Beide geirrt.“ Mit einem heftigen Ruck stieß sie den Toilettekasten zu und nahm Hut und Mantel, „ich komme bald zurück, Tone; übernimm Du derweilen die Unterhaltung meines Bräutigams.“ Und fort war sie.

Als ich ganz bestürzt in das Zimmer zurückkehrte, fand ich ihn vor den Familienbildern und mit zusammengezogenen Brauen Hans betrachtend.

„Wo ist Lotte?“ forschte er.

„Ausgegangen, Fritz. Wußten Sie es nicht?“

„Nein!“ Er schien unruhig. „Sie hat mir etwas übel genommen,“ setzte er hinzu. „Wissen Sie, wohin der kleine Trotzkopf gelaufen ist?“

Ich schüttelte den Kopf. „Sie wird bald wiederkommen.“

„Nun ich werde versucheu, sie einzufangen,“ meinte er ruhig und ging ebenfalls. Aber es gelang ihm nicht; sie kam allein zurück.

„Wo bist Du gewesen, Lotte?“ fragte ich.

„Da draußen – ein wenig herum,“ war die Antwort.

Nach einer kleinen Weile kam auch Fritz Roden, Er trug wie immer ein Paket in der Hand, legte es neben Lotte’s Tasse und sah sie bittend an. Aber, siehe da! zum ersten Male war die Liebesgabe für sie gar nicht vorhanden; nicht einmal aus Versehen streifte sie ihr Blick, so dicht sie sich auch neben der Tasse befand.

„Nicht trotzen, Prinzeßchen!“ sagte er endlich scherzend.

Sie sah ihn groß an; eine namenlose Verachtung lag in dem Blicke. „O nein,“ sprach sie, „aber ich möchte Dich nicht zum Leichtsinn verleiten – ich nehme nichts wieder.“

Er lachte herzlich auf. „Lotte,“ rief er, „das war so recht wie ein Weib gesprochen, dem man einen Wunsch versagen mußte. Ihr Mädchen und Frauen seid kostbar in Eurem Gekränktsein! Sieh mal, Schatz, es sind Pralinées von Suchard, und die kleine niedliche Bonbonnière dazu.“ Er hatte das Paket geöffnet und hielt ihr die Schachtel hin.

„Ich bin kein Kind – ich danke!“ erwiderte sie, nahm einen frischen Zwieback und biß hinein, daß er zersplitterte.

„Soll ich fortgehen?“ fragte er, noch immer heiter.

„O bitte!“ erwiderte sie mit einer graziösen Handbewegung nach der Thür. – Es wäre allerliebst gewesen, hätte sie dazu gelacht. So mußte es verletzen.

Fritz Roden sprang auf. „Dann lebe wohl und besinne Dich eines Bessern.“

Sie erhob sich ebenfalls. „Adieu!“

An der Thür zögerte er: Aerger und Lachen kämpften in seinem Gesichte. Er kam nochmals zurück, hob ihr Kinn sanft in die Höhe und fragte: „Haben wir uns lieb – oder nicht, Lotte?“

„Ich glaube. es verlohnt sich, darüber nachzudenken,“ erwiderte sie.

„Lotte!“ rief er erschreckt. Aber sie entschlüpfte ihm und lief in die Schlafstube. Er stand noch ein Weilchen, dann ging er und vergaß, mir Adieu zu sagen. – –

Mir war die Scene völlig unverständlich. „Lotte,“ sagte ich und kam ihr nach, „ich will mich nicht in Eure Angelegenheiten mischen, aber es war nicht recht von Dir, ihn so zu verabschieden!“

„O, Der!“ klang es verächtlich. Sie saß vor dem winzigen Ofen, hatte die Füße gegen den Vorsprung der Thür gestemmt und ließ den Schein der Flamme uber die zierlichen Stiefeletten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_088.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2020)