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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

hinaus in die Nacht. Er erreichte die Pforte seiner traurigen Behausung und hob schon die Hand, um den Stein beiseite zu rollen. Doch ließ er kopfschüttelnd den Arm wieder sinken. „Na, na, – jetzt kann ich net ’nein! Luft – Luft muß ich haben – und Stern’ muß ich sehen!“ Er streckte sich nieder auf das Gestein, verschlang die Hände unter dem Nacken und starrte empor zu den funkelnden Augen des nächtigen Himmels. Noch einmal zogen in seiner Erinnerung die letzten Tage, die letzten Stunden an ihm vorüber. Bangen und Hoffen kämpften in seinem Herzen.

Stunde um Stunde verrann. Zwischen den Kuppen der östlichen Berge tauchte schon, die Sterne löschend, eine fahle Blässe über den Himmel empor, und drunten im Thale schieden sich schon die regungslos von Berg zu Berg gelagerten Nebel in mattem Grau von dem tiefen Dunkel der steil gebauten Wälder.

Da erhob sich Ferdl – denn nun begann ja seine Nacht. Schon streckte er die Hand nach der steinernen Pforte, da war es ihm, als hätte er über den Latschen draußen auf dem Gerölle das Geräusch von Tritten gehört. Mit lautloser Vorsicht huschte er durch das Gezweig, erreichte die offene Platte und hätte fast vor jäher Freude laut aufgeschrieen, als er die dunkle Mädchengestalt gewahrte, die sich mühsam emporarbeitete über den rauhen Grund.

Sie – sie kam wieder zu ihm, die vor ihm geflohen in Furcht und Grausen! Er wagte kaum seinen Blicken zu trauen. Regungslos verhielt er sich am Rande des Gebüsches, und da sah er das Mädchen mit gefalteten Händen stille stehen und hörte es schluchzen: „O lieber Herrgott! G’rad noch a bißl Kraft! G’rad noch a bißl!“ Und wieder sah er, wie das Mädchen sich weiter aufwärts mühte über das Geröll, wie es sich gegen einen Felsblock lehnte, jetzt einen Stein von der Erde las und ihn hinauswarf über den Rand des Höllbachgrabens.

Da vermochte sich Ferdl nicht länger zu halten „Veverl! Veverl!“ jubelte er auf. „Du – Du kommst wieder zu mir!“ Und mit ausgestreckten Armen eilte er auf das Mädchen zu.

„Jesus Maria – jetzt is er schon da!“ stammelte Veverl, vor Schreck und Bangen in die Kniee brechend.

„Du – Du kommst zu mir!“ war Ferdl’s einzige Rede, während er Veverl emporzog und die Zitternde niedergleiten ließ auf einen moosigen Stein. „Na! So a Freud’! Wie soll ich Dir das vergelten, Du liebs, liebs Deandel Du?“

„Na, so net, so mußt net reden zu mir – net so gut und freundlich!“ sprudelte es mit Schluchzen von ihren Lippen. „Du hast mir bloß Liebs und Guts erwiesen, und ich bin fort von Dir ohne Wort und Vergeltsgott. Ja – ja – straf’ mich, wie sich’s g’hört! Laß mich’s entgelten, wie D’ willst! Aber ihn mußt es net büßen lassen, für den ich bitten komm’. Was liegt an wir – und wenn’s um mein Leben geht! Fang’ mit mir an, was D’ willst! B’halt’ mich bei Dir im Berg, wann D’ magst! Ich will net derschrecken, und gern will ich’s leiden. Aber sein Unschuld mußt derweisen, daß er wieder heimgehen kann zu sei’m verlass’nen Weib und zu seinen armen lieben Hascherln, die sich jetzt d’ Augen ausweinen um ihren guten, braven Vatern!“ Veverl schlug die Hände vor das Gesicht, und ihre Worte erstickten in bitterlichem Schluchzen.

„Ja um Gotteswillen!“ stotterte Ferdl. „Jetzt weiß ich gar net – – Veverl, han, was – aber so red' doch – was is denn passirt! Es wird doch mit’m Jörg nix g’schehen sein!“

„Ja, ja, mein’ Jörgenvetter haben s’ fort. Auf der Straß’ draußt haben d’ Schandarm ihn ’troffen in der Nacht und haben g’sagt, sie hätten mit ihm z’ reden, und sind mit ihm bis ’rein in Finkenhof. Na – wie die arme Mariann’ derschrocken is! Und jetzt nachher hat der Kommandant zum reden ang’fangt – so ganz scheinheilig, wie wenn er dem Jörgenvetter sein bester Freund wär’ und da hat er was g’sagt von ei’m G’red unter die Leut’, von annanyme Zuschriften und vom Leithnervaltl, der auf d’ Schandarm’ allweil spötteln thät’, ob s’ denn net wüßten, wo der Finkenbauer schlaft, wann er net daheim is in der Nacht – ja und da hat er g’sagt, der Kommandant, daß er auf all das G’red nix gäb’, weil er den Jörgenvetter kennen thät’, aber er müßt’ seiner Stellnug z’lieb amal was thun, um d’ Leut’ zum Schweigen z’bringen – ja – und weil er halt jetzt g’rad den Jörgenvetter vom Berg her kommen hätt’ sehen – mit der g’ladenen Kraxen, so möcht’ er halt grad amal der Form wegen fragen, wo der Jörgenvetter herkäm’ und was denn eigentlich d’rin wär in der Kraxen –“

„Jesses na!“ fiel Ferdl mit stammelnden Worten dem Mädchen in die sprudelnde, schluchzende Rede.

„Wie ihn der Jörgenvetter so reden hört, da wird er käsweiß über und über – natürlich, so a Schand’, das kann ein’ wurmen! – und schier ’packt hat er den Schandarm, der sich schon herg’macht hat über d’ Kraxen. Und wie die Kraxen auf’bunden wird, sind lauter Schnitzersachen drin – ja g’rad die schönsten Sachen. Da hat sich der Kommandant jetzt g’stellt, wie wann er selber ganz derschrocken wär’, und hat g’sagt: wann der Jörgenvetter sich net ausweisen könnt’, nachher müßt’ man glauben, daß die Sachen von Tirol ’rein g’schmuggelt sind, und da könnt’ er ihm nachher net helfen, und er müßt’ ihn fortführen aufs Amt. ‚So führts mich fort!‘ das war dem Jörgenvetter sein Red’ – aber d’ Mariann’ hat ’s Jammern ang’fangt, hat sich hing’hängt an ihn und g’rad ’naus g’schrieen hat s’: ‚Jörg, Jörg, denk’ an Deine Kinder! Jetzt mußt reden – jetzt mußt reden!‘ Aber ‚Mariann’!‘ hat er g’sagt und sonst kein Wörtl net, und ang’schaut hat er s’ mit zwei Augen, daß d’ Mariann’ g’rad ’zittert hat am ganzen Leib – und net a Silben mehr hat s’ g’redt – und ’naus is aus der Stuben und hat ihm d’ Kinder g’holt – in die Hemderln hat s’ ihm s’ ’bracht und – und den Augenblick vergiß ich nie net in mein Leben, wie s’ ihn fortg’führt haben! Und er hat doch g’wiß nix Unrecht’s net verübt – und unschuldig is er, so g’wiß, so g’wiß – Du mußt es ja wissen! Und Du kannst es derweisen. Und helfen mußt ihm – helfen –“

„Ja, Veverl, ja! G’holfen muß ihm werden!“ brach es in bebenden Worten von Ferdl’s Lippen. „Und wer könnt’ besser helfen, als wie ich! Und – sag’ – weiß d’ Mariann’, daß zu mir ’rauf bist?“

„Na, na, um Gotteswillen, na!“ fuhr Veverl aus ihrer stummen, zitternden Freude ganz erschrocken auf. „Ich weiß ja doch, daß bei so ’was ’s Mitwissen von ei’m Zweiten den guten Ausgang vom Anfang an verdirbt. Und – und es hat ja auch kein’ Menschenseel’ derfahren, daß ich schon amal – da heroben g’wesen bin. Dein’ Macht hat’s ja so g’fügt, daß alle ’glaubt haben, ich wär’ auf der Wallfahrt g’wesen. Freilich – angesehen muß man mir’s schon haben, daß ich ’was recht Seltsams derlebt hab’, denn d’ Mariann’ hat mich allweil gar so g’spaßig ang’schaut, und allweil hat s’ mich ’drängt, ich sollt’ ihr doch ’was verzählen von meiner Wallfahrt. Aber kein Sterbenswörtl hab’ ich g’redt – ich weiß ja, daß man von so ’was net reden soll, wenn man ’s derlebt hat, denn sonst is aus und gar und nie nimmer kann man – –“ Erschauernd deckte Veverl das Gesicht mit beiden Händen.

Schweigend stand Ferdl vor ihr, und trotz der tiefen Sorge, die ihn um den Bruder erfüllte, umspielte ein leises, inniges Lächeln seine Lippen.

„Daß mich aber mein Weg so bald wieder da ’rauf führt, das hätt’ ich mir freilich nie net ’denkt,“ sprach Veverl nach einer Weile mit zitternder Stimme weiter. „Aber – wie s’ den Jörgenvetter so fortg’führt haben, und wie der Mariann’ schier ’s Herz ’brochen is vor Prast und Gram, und wie die armen Kinderln so z’sammg’schrien haben um ihren Vatern – da hat mich mein erster Gedanken da ’rauf verwiesen, und zur Mariann’ hab’ ich g’sagt: ‚Mariann’ thu’ Dich trösten, denn ich weiß ein’, der wo helfen kann – und sollt’s mich mein eigens Leben kosten, ich ruf ihn an!‘ Und fort bin ich, fort – und ,Jesus Maria! Veverl, Veverl!‘ hab’ ich d’ Mariann’ ganz derschrocken noch schreien hören – aber ich hab’ mich nimmer halten lassen, und fort bin ich, mitten in der Nacht!“

Zitternd am ganzen Leibe, mit gefalteten Händen, mit angstvoll starrenden Augen, aus denen die Thränen niederperlten über ihre blassen Wangen, so stand sie vor ihm im falben Dämmerschein des ergrauenden Morgens. Da schlang er die eine Hand um ihre Finger, zog sie zu sich heran, sah ihr mit einem tiefen, leuchtenden Blicke in die schimmernden Augen und strich ihr sachte mit der anderen Hand die braunen Kraushärchen aus der weißen Stirn. Sie duldete es und rührte sich nicht.

Ein stockender Seufzer schwellte seine Brust. „Geh Veverl,“ sagte er, „setz Dich nur g’rad a bißl nieder – ich bin gleich wieder da!“ Zögernd gab er ihre Hände frei, wandte sich und eilte den dichten Büschen zu.

Sie sah ihn verschwinden und starrte regungslos auf die schwankenden Zweige. Als er nach einer Weile wieder erschien,

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