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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Lächeln und eine so helle Stirn wußte er ihr zu zeigen. Und wie er zu ihr war! Wie er mit ihr plauderte! Wie er Alles und Alles that, was er nur zu thun vermochte, um sie vertraut und gesprächig zu machen! Er trank mit ihr die Milch aus der gleichen Schale, das Wasser aus dem gleichen Kruge; wenn sie aß, aß er mit ihr vom gleichen Teller, und wenn sie die Augen zum Schlafe schloß, legte auch er sich zur Ruhe auf seinen Mantel nieder, der, wie Veverl hätte beschwören können, aus den silbergrauen Blättchen von aberhundert Edelweißpflänzchen kunstvoll gefertigt war, wenngleich er sich ansah, wie eine ganz gewöhnliche graue Lodenkotze. Das war es ja auch, was ihm Veverl’s Zutrauen zumeist gewann, daß er jedem Dinge, welches in den Bereich ihrer Blicke kam, ein so vertrauenerweckend natürliches Ansehen gab, und daß er Alles, was er trieb und that, so einfach und natürlich that, „akrat wie a richtiger Mensch“, und so ganz ohne jedes „schreckhafte“ Zauberwerk. Freilich – eine Probe seiner Zauberfertigkeit hatte er ihr doch gegeben – aber das hatte er ja nur gethan, um ihr eine Freude zu machen. Und welch’ eine Freude! Sie hatte ihm berichten müssen, wie sie denn eigentlich so spät in der Nacht an jene Stelle gekommen wäre, an welcher er sie gefunden; und da hatte sie ihm von dem Wiedersehen mit ihrenn Hansei erzählt, von der Verfolgung des Vogels und dazu des Vogels ganze Geschichte. „So? So is die Sach?“ hatte er darauf gesagt. „Ja – wenn den Vogel gar so viel lieb hast, da muß ich schon ’was Uebrig’s thun!“ Ehe sie noch recht gewußt hatte, was sie zu diesen Worten denken sollte, war er aus der Höhle verschwunden – und dann plötzlich war er wieder vor ihr gestanden, auf der ausgestreckten Hand ihr liebes Hansei tragend, das die Flügel reckte und lustig darauf losschnatterte: „do, do, a do, Echi, a do!“ Geweint und gelacht hatte sie da vor heller Freude, und nicht mehr aus den Händen hatte sie den Vogel gelassen, der bald wieder so vertraut zu ihr wurde, als wäre er nie von ihr getrennt gewesen. Sie wurde nicht müde, mit ihm zu scherzen und ihn zu kosen, wobei sie seiner Zunge manch ein vergessenes Wort in Erinnerung brachte – und jener, dem sie diese Freude dankte, saß dabei zu Füßen ihres Lagers und betrachtete sie mit stillem Lächeln. Unterbrach sie das Spiel, so begann er mit ihr zu plaudern. Und was sie da Alles zu hören bekam! Es machte sie ordentlich stolz, daß er so gar nicht geheim that vor ihr. Als wäre sie seinesgleichen, so erzählte er ihr von seinem Geisterleben, von seinen Geistersorgen, von der unglaublichen Mühe, die ihm die Wartung und Behütung seiner zahllosen Schützlinge bereite, wie überhaupt von Allem, was als Edelweißkönig so seine Pflicht und Schuldigkeit wäre. Dazu erzählte er ihr die merkwürdigsten Geschichten von allerlei Menschenkindern, die durch die Kraft der Königsblume den Weg zu ihm gefunden. Bei all diesem Geplauder umspielte ein so eigenes Lächeln seinen Mund, als hätte er seine Freude an ihrem athemlosen Lauschen und Staunen. Und wie gut ihr dieses Lächeln gefiel! Wenn er so lächelte, konnte sie keinen Blick von seinem Gesichte verwenden – sie trank es ordentlich hinein in ihre Augen. Und dieses Gesicht überhaupt! Freilich – er sah ja auch der Hannibas so ähnlich, die so schön gewesen war. Als er einmal den Verband an ihrem Fuße löste, da hatte er sie lange angeschaut mit einem Blicke, unter dem ihr bald heiß bald kalt geworden war, und hatte gesagt: „Wie lang noch dauert’s, nachher is Dein Fußerl ganz in Ordnung – und nachher – freilich, was hast denn nachher noch zum suchen bei mir? – nachher wirst halt gehn!“ Es hatte ihr einen ganzen Stich im Herzen gegeben bei dem wehmüthig bitteren Klange dieser Worte. Der Gedanke an das Gehen, an die Heimkehr zu den Ihrigen mußte ihr doch Freude machen – und dennoch hätte sie lieber weinen als lachen mögen. Wie von Herzen gut mußte er ihr geworden sein, da ihm der Gedanke an ihr Gehen so bitter wehe that! Wie freundlich war er zu ihr gewesen! Was Alles hatte er für sie gethan! Und da sollte es nun ihr ganzer Dank sein, daß sie ein „Vergelt’s Gott“ sagte und ihn allein ließ, so sterbensallein!

Diese Gedanken ließen nicht mehr von ihr, und über all dem Denken vergaß sie des Redens. Sogar ihr liebes Hansei hatte darunter zu leiden – am meisten aber wohl jener, der das Wort gesprochen, das so jählings ihren traulichen, an der Minute sich genügenden Verkehr zerstört hatte gleich einem bösewirkenden Zauberworte. Er wurde so wortkarg und in sich gekehrt. So stille that er Alles, was er sonst mit freundlichen Worten und unermüdlichem Geplauder begleitet hatte. Jedoch – so stumm auch ihre Lippen geworden waren, eine Sprache war ihnen geblieben.

Wenn er zu Füßen ihres Lagers saß, wenn sie so stille lag und er kein Wort zu finden wußte, um das bedrückende Schweigen zu brechen, dann wußten immer wieder ihre scheuen, bangen Blicke seine traurigen Augen zu finden, und je häufiger sie sich fanden, desto länger hielten sie sich fest in still geheimnißvoller Sprache.

Aus solcher stummen Zwiesprach fuhr er einmal auf mit tiefem Seufzer und schüttelte den Kopf, als wollte er Gedanken von sich wehren, die ihn wider Willen überkamen. Mit bebenden Händen löste er den Verband von Veverl’s Fuß, und seine Worte klangen kurz und rauh, als er sie aufforderte, nun wieder das Gehen zu versuchen. Da wurde sie völlig blaß vor Schreck und fühlte schon eine Schwäche und ein Zittern in allen Gliedern, noch ehe sie auf den Füßen stand. Er brachte ihr die Schuhe, und als sie dieselben angezogen hatte und ihm versicherte, daß sie nicht den geringsten Druck oder Schmerz verspüre, nickte er nur. Dann wunderte sie sich darüber, wie prächtig sich das Gehen machte. Gemachen Schrittes wanderte sie ein um das anderemal in der Höhle auf und nieder, und dabei sah sie ihn unablässig an, als warte sie auf ein Wort von ihm, daß es nun genug wäre.

„No schau – es geht ja ganz sauber,“ sagte er endlich. „Und da könnten wir ja gleich a bißl an größeren Spaziergang machen. Ich muß Dir doch amal mein ganze Behausung zeigen.“

Er faßte ihre Hand und führte sie einer Stelle der Felswand zu. Zögernd folgte sie seiner Leitung, befangen von zitternder Scheu. „A do, a do!“ schnatterte das Hansei und flatterte vom Kopfende des Bettes auf die Schulter des Mädchens, das sich vor eine dunkle, die Steinwand schief durchbrechende Felsenspalte geführt sah. Veverl hatte diese Spalte bisher mit keinem Blicke noch gewahren können, und so dachte sie nicht anders, als daß ihr Alf mit einem stummen Zauberworte „d’ Felsen in aller Mitten auseinander g’rissen“ hätte.

Drei oder vier Schritte gingen sie im Dunkeln, wobei jenes Murmeln und Rauschen sich zu nähern und zu verstärken schien, welches Veverl unaufhörlich vernahm – dann machten sie eine Wendung, und mit einem leisen, staunenden Rufe verhielt das Mädchen den Fuß. Sie stand in einem halbkugelförmigen Höhlenraume. Ein schmaler, feuchter Steingrund lief an der gekrümmten Wand entlang gegen ein enges Felsenthor, durch das ein fahles Zwielicht schimmerte, welches den tiefblauen Dämmerschein nicht störte, der den ganzen Raum erfüllte. Dieses magische Licht schien aus dem kleinen See zu quellen, der dicht vor Veverl’s Füßen lag, jetzt ruhig und so glatt wie ein geschliffener Sapphir von dunkler Farbe, im nächsten Augenblicke aufwallend und Blasen werfend wie kochendes Wasser, und wieder still und ruhig, bis das alte Spiel begann. Dazu ein unablässiges Triefen und Rieseln an den Wänden, ein immerwährendes Klatschen der schillernden Tropfen, die von all den abenteuerlich geformten, bläulich schimmernden Zacken und Buckeln der gewölbten Decke niederfielen in die geheimnißvolle Fluth.

„Der Zauberbrunn’!“ flüsterte Veverl tief aufathmend vor sich hin.

„Ganz recht, der Zauberbrunn’,“ lächelte er, „weißt, aus dem ich’s Wasser trink’, wo ewig jung macht und ewig g’sund. Aber komm, da schau, da kannst Dich a bißl setzen – da sitz’ ich oft selber ganze Stunden lang und schau so ’nein in das blaue Wunder, weil’s mir selber so viel g’fallt.“

Er führte sie zu einer aus groben Felsstücken an der Wand errichteten Bank, über welche ein Brett gelegt war. Lange, lange saßen sie hier, schweigend vertieft in den Anblick des wundersamen Schauspiels.

Da schauerte Veverl fröstelnd zusammen.

„Gelt – a bißl frisch is halt herin! Komm – gehn wir da ’naus, da draußen is a weng wärmer.“

Er erhob sich und führte sie jenem engen Felsenthore zu, durch das sie in einen breiten Höhlenraum gelangten, der ihnen gegenüber eine langgestreckte mannshohe Oeffnung zeigte, die ins Freie führen mußte, denn durch sie erhielt der Raum ein Licht, als läge er im Frühschein eines erdämmernden Morgens. Für Veverl’s Augen schien nach all der langen Nacht, in der sie geweilt hatte, dies graue Licht der helle Tag zu sein. Unter halb geschlossenen Lidern hervor schaute sie umher und sah dann mit einem scheuen, verwunderten Blicke ihren Alfen an.

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