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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

der That für ein erstes Engagement recht vortheilhaften Kontrakt zu machen.

Kaum aus dem Hause, stieß sie auf Edgar von Sperber, der sich nicht wenig auf die Abendstunde vor Bianca’s Klavier gefreut hatte und nun um so mehr erstaunt war, sie zur ungewohnten Zeit außer dem Hause und in der Verfassung einer Verzweifelnden anzutreffen.

Er erkundigte sich mit ungeheuchelter Theilnahme, was geschehen sei und wohin sie wolle.

Sie säumte nicht, ihr schweres Herz auszuschütten, und bat ihn, sie zu begleiten; es wäre ihr eine rechte Gefälligkeit.

Es gab keine Gefälligkeit, die Edgar seiner Angebeteten nicht mit Freuden erwiesen hätte, und nun gar eine so angenehme, sie den weiten Weg in die Schleifmühlgasse zu geleiten.

Ein recht bitterer Tropfen war freilich in dem Becher dieser bescheidenen Freude. Bianca setzte ihren Kopf darauf, die Königsberger Bühne zu beschreiten und dortselbst Alles zu singen, was nur Theaterdirektor und Kapellmeister von ihr verlangten. Papa mochte dazu sagen was er wollte, sie ging doch!

Sie war in ihrer Entschlossenheit und Entschiedenheit noch schöner als sonst; Edgar staunte sie bewundernd an von der Seite; aber was sollte der lebenslustige Herr von Sperber in Königsberg in Preußen! Die Stadt der reinen Vernunft in allen Ehren, aber für ihn, dessen Wahl einzig zwischen Paris und Wien schwankte, gab es kein Drittes, und jenes Dritte schon ganz gewiß nicht!

Wenn aber Bianca in Königsberg in Preußen lebte und webte, dann gab es für Edgar wieder anderswo keinen menschenwürdigen Aufenthalt.

Verzwicktes Dilemma! Doch vor der Hand war sie ja noch in Wien und ging an seiner Seite! Der Augenblick war zu schön, um durch grämliches Erwägen getrübt zu werden.

Die Augenblicke waren so schön, daß nicht nur Sperber, sondern manchmal sogar die werdende Künstlerin ihrer Sorge vergaß; sie lächelten einander an wie die Glücklichen, wenn sie sich in die Augen sahen, und jeder von beiden freute sich über das, was der andere zu ihm sagte, wenn auch dieser andere selber nicht immer wußte, was er in seinem verliebten Kauderwälsch daherplauderte.

So kamen sie endlich vor des Agenten Thür. Aber sie hatten sich noch so viel zu sagen, daß sie nothwendigerweise die Straße erst zwei, dreimal auf und ab wandeln mußten, ehe Bianca dem Freunde die Hand reichte und ihn bat, auf ihr Zurückkommen zu warten. Sie werde so bald als möglich wieder bei ihm sein und ihm erzählen, was der kundige Geschäftsfreund ihr zu thun anrathen werde.

Wie strahlte der Blick aus den blauen Augen ihn an, da sie sich noch einmal auf der Treppe nach ihm umwandte! Ja, er mußte nun doch etwas sein in ihrem Leben, wenn seine Liebe sie also tröstete selbst in bitterer Betrübniß.

Es währte jedoch verwünscht lange, bis Bianca wieder aus dem Hause kam. Edgar hatte die Straße einige zwanzigmal auf und ab gemessen, er war vor jedem Schaufenster geduldig stehen geblieben und hatte die Photographien an der Ecke mit einer Langmuth studirt, als gält’ es eine zu beerbende Verwandtschaft in dieser Sammlung der gleichgültigsten Leute von der Welt ausfindig zu machen.

Endlich erschien Bianca, zögernd, niedergeschlagen und sehr verändert in Blick und Haltung. Sie hatte sich droben sehr ereifert. Aber es hatte ihr nichts geholfen. Der gesetzeskundige Mann hatte sie versichert, daß ihr Kontrakt, da sie annoch minderjährig sei, von ihrem Vater unterschrieben werden müsse, und daß sein Widerspruch den gültigen Abschluß unmöglich mache.

Er hatte noch allerhand geredet, angedeutet, zu verstehen gegeben. An der Thatsache sowie am Wortlaut des Gesetzes änderte das nichts. Ihr war nichts übrig geblieben, als den klugen Herrn zu bitten, ihr den Kontrakt noch einige Tage offen zu lassen. Und er hatte ihr das in die Hand versprochen.

Wenn sie nur erst in Königsberg wäre, wenn sie nur erst gesungen und gefallen hätte, der Papa würde dann schon mit sich reden lassen und klein beigeben! Aber wie das erreichen?

Vielleicht, daß ihn Pater Otto bestimmen könnte!

Sie waren Beide zur selben Minute, wie in einem Athemzug, auf diesen Einfall gerathen. Und über das Zeichen der Sympathie freuten sie sich, obschon sie lange den Namen des Chorherrn nicht mehr vor einander genannt hatten.

Immerhin erhellte dieser Trostesschimmer das Gemüth der Jungfrau ein wenig, wenn sie auch auf dem ganzen Wege die Heiterkeit oder gar den Uebermuth früherer Tage nicht mehr fand.

Sie schwieg lange Strecken weit, in ihre Gedanken verloren. Einmal – es war schon nahe der väterlichen Wohnung – blieb sie plötzlich stehn, warf einen Blick auf ihren Begleiter, einen anderen gegen Himmel und sagte dann hastig: „Helf mir Gott, wenn sie mir den Weg aufs Theater verlegen wollen, so geh’ ich durch! … Und Sie, Baron Sperber, müssen mir dabei behilflich sein!“

Edgar erschrak nicht bei diesen Worten, weil er sie nicht für ernsthaft gemeint erachtete. Doch säumte er nicht, ihr zu versichern, daß er heut und jederzeit ihr ergebenster Diener und bereit sei, sie bis ans Ende der Welt zu bringen, wenn sie es wünsche.

Bianca Scandrini schüttelte ihm derb die Hand, wie ein zum Aeußersten Entschlossener seinen Spießgesellen in Pflicht nimmt, und setzte nachdenklich schweigend ihren Weg fort.

Unfern des Hauses aber bat sie Edgar, sie allein zu lassen. In ihrem Heim säh’ es heut nicht behaglich aus, und singen könnte sie mit dieser Aufregung in Hirn und Herzen doch keinen rechtschaffenen Ton. Aber morgen sollt’ er wiederkommen. Wer weiß, wie weit die Dinge morgen schon gereift sein würden! Auf alle Fälle wisse sie, daß Sperber ihr guter, treuer Freund sei. Nicht wahr?

„Fürs Leben und die Ewigkeit!“ war seine Antwort, und gehoben in allem Denken und Empfinden verließ er sie, noch elastischer als sonst auf wiegendem Gange schwebend, in einer Zukunft schwelgend, die ihn, so unklar sie sich ansah, doch vor Freude schwindeln machte. –

Wen fand die ahnungsvolle Seele daheim in ihrem Salon sitzen? Den regulirten Chorherrn, der schon seit geraumer Weile auf das bedrängte Mühmchen wartete, sich aber nicht, ohne sie gesehen zu haben, entfernen wollte, weil er nur für einen Tag vom Kloster in die Stadt entlassen war, ohne Aussicht, daß sich in Bälde solche Gunst zum andern Male finden werde.

„Cugino del mio cuore, Du kommst wie gerufen! Gott sei Dank! Setz’ Dich nur gleich wieder und hör’ mir zu! Habe Geduld und rathe mir gut.“

Vetter und Muhme saßen einträchtig bei einander wie in alten Zeiten. Pater Otto hatte sich, seine Herzensruhe und seinen fröhlichen Verstand wiedergefunden. Das war klar auf den ersten Blick, und Beide waren froh darum.

Das Kinn in der Hand, das Haupt ein wenig seitwärts geneigt, horchte der geistliche Herr so ernsthaft wie im Beichtstuhl auf die sprudelnden Worte des leidenschaftlichen Mädchens.

Auch er schien von dem Kontrakt, den sie ihm vorlegte, nicht gerade sehr erbaut; doch versprach er, sich des Genaueren über dortige Verhältnisse erkundigen zu wollen und dann mit dem Onkel ein ernstes und eindringliches Wort zu reden. Aber nicht vor Ende der Woche! Denn so bald ließ der selbstherrliche Latschenberger sich sein einmal gefaßtes Vorurtheil nicht verleiden. Auch von verwandtem Blut und geistlichem Beistand nicht. Auch stand Pater Otto früher keine Gelegenheit zu Gebot, nach Wien zu kommen.

Obwohl Bianca ihr Zünglein streng hütete, um dem Vetter nicht zu verrathen, wie es seit seinen letzten Besuchen in ihrem Herzen aussah, so merkte der geriebene Menschenkenner doch an der Lust, mit der sie den Namen des Hamburger Kaufherrnsohnes in ihren Bericht verflocht, und an der Wichtigkeit, die sie jeder seiner Aeußerungen beilegte, am Ton ihrer Stimme, am Blitzen ihrer Augen, an der Veränderung ihres ganzen Wesens, daß Gott Amor die Zeit seiner Abwesenheit benutzt habe, den schönen Wildfang Empfindung zu lehren.

Um ganz sicher zu gehen, bat er sie, etwas zu singen. Was sie wählte und wie sie es vortrug, bestätigte seine Vermuthung.

Sie hatte begriffen, was man ihr früher nicht zu erklären vermocht, das Herz ergänzte den Verstand, und sie sang nun mit vollem Herzen.

Er schritt lauschend mit der Hand am Kinn im Zimmer auf und nieder, während sie sich unbewußt in ihren quellenden Tönen verrieth. Manchmal blieb er stehen und schaute hinüber zu ihr, ob sie nicht um einen Zoll gewachsen, ob sie überhaupt noch dieselbe sei.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_767.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)