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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Edelweißkönig.

Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Tonlos hatte Jörg die Worte hervorgestoßen, starr vor sich niederblickend. Alle drängten sich um ihn, in der Erwartung, Näheres über das Unglück Hanni’s von ihm zu hören. Jörg aber schwieg – und als er sich endlich gewaltsam aus seinem verstörten Brüten emporraffte, irrten seine Augen mit scheuen Blicken über die Gesichter, während er mit hastigen, heiser klingenden Worten sprach:

„Morgen in der Früh, zwischen fünfe und sechse, kommt unser Bäuerin z’ruck aus der Stadt – und – da muß der Sarg in der Station nachher abg’holt werden. Valtl! Du machst den großen Planwagen zum Fahren fertig und deckst ihn mit die schwarzen Tücher zu, die der Herr Pfarrer heut’ noch schickt. Und bis um a drei in der Fruh, da fahrst nachher fort –“

„Was? Ich soll fahren?“ brummte Valtl. „Als Todtenfuhrmann, mein’ ich, hab’ ich mich dengerft net ein’dingt auf ’m Finkenhof!“

Dunkle Zornröthe übergoß das bleiche Gesicht des Bauern.

„Du – Du –“ fuhr er mit bebender Stimme auf, „Du kannst sitzen an mei’m Tisch und schlafen unter mei’m Dach – und so a Red’ kannst mir sagen – in so einer Stund’, wo mir ’s Herz schwer is zum Brechen! Da will Dir halt nachher ich jetzt ’was sagen –“

Mit heftigen Schritten wollte er auf den Knecht zutreten, als Dori sich ihm in den Weg stellte.

„Thu’ Dich net kränken, Bauer – net wegen dem!“ sprach der Bursche mit schunchzenden Worten zu Jörg empor, und dabei kugelten ihm dicke Thränen über die Wangen. „Mich laß’ fahren – ich bitt’ Dich gar schön – mich laß fahren! Mir is an Ehr’, Bauer – an Ehr’, daß ich mir a größere net denken kann!“

„Ja, Dori – ja – fahr’ Du!“ erwiderte Jörg gerührt, und die Hand über Dori’s Rothkopf streichend, fügte er bei: „Bist a guter Bursch!“

„Ja, ja – und fahren will ich, Bauer, fahren –“ Dori’s Worte erstickten völlig unter Schluchzen und Thränen, „weißt – ordentlich vermerken müssen’s d’ Roß’, was s’ da zum heimwärtsführen haben – und – und kein Steinl soll den Wagen stößen – so will ich fahren – so will ich fahren!“

Jörg nickte nur immer, und schwerer und schwerer wurde dabei seine Hand, die auf Dori’s Scheitel ruhte. Dann plötzlich preßte er die beiden Fäuste vor die Augen und als er sie wieder sinken ließ, sagte er: „So – und jetzt fangt’s zum beten an, wie’s Brauch is in ei’m christlichen Todtenhaus.“

Lautlos ließen sich die Knechte und Mägde auf die Kniee nieder, die Arme auf die Holzbank stützend, die sich an der Wand entlang zog. Emmerenz knieete vor dem Tische; mit lauter Stimme sprach sie das Vaterunser und dann die Absätze der Todtenlitanei – und wenn die Knechte und Mägde antwortend einhielten, hörte man aus allen andern heraus Dori’s inbrünstige Stimme. „Herr, gieb ihr die ewige Ruh’!“

Regungslos stand Jörg eine Weile inmitten der Stube, die Hände unter dem Kinne gefaltet, den Wortlaut der Gebete leise mitraunend. Als die Litanei zu Ende war und der Rosenkranz begann, schlug er ein Kreuz und wandte sich der Thür zu. Aufathmend trat er ins Freie – und da sah er Valtl auf der Hausbank sitzen, die qualmende Pfeife zwischen den Zähnen. Weder dem Bauer noch den Anderen war es aufgefallen, daß der Knecht sich bei Beginn des Gebetes aus der Stube geschlichen hatte.

„Valtl!“ fuhr es mit drohendem Laute über Jörg’s Lippen; doch schien er sich mit Gewalt zur Ruhe zu zwingen. „Ich mein’, Du könntst hören, daß drin schon ’bet' wird.“

„No ja – aber was geht denn mich das Beten an? Ich glaub’, ich bin fürs Arbeiten ’zahlt und net fürs Beten. Wenn aber der Bauer anders glaubt, kann er ’s ja sagen.“

„Was ich glaub’, das wirst morgen zeitig g’nug noch hören von mir. Jetzt aber – jetzt gehst ’nein in d’ Stuben.“

„Neinschaffen kann mich der Bauer freilich,“ erwiderte Valtl, indem er sich gähnend von der Bank erhob, „aber den möcht’ ich doch sehen, der mir mit G’walt ’s Maul auf- und zureißt, wenn ich’s net rühren mag.“

„Halt!“ Mit einem raschen Schritte vertrat der Bauer den Weg zur Thür. „Jetzt laß’ ich Dich gar nimmer ’nein in d’ Stuben. Schlafen kannst heut’ noch in der Kammer droben – morgen in aller Fruh aber gehst mir aus mei’m Hof. Dein Lohn bis Jakobi zahl’ ich Dir aus – und nachher sind wir g’schiedene Leut’.“

„Is mir auch net z’wider,“ lachte Valtl, indem er seinen alten Sitz auf der Bank wieder einnahm. „A Knecht, wie ich einer bin, braucht sich um an neuen Dienst net z’sorgen, der Leithenbauer nimmt mich auf der Stell’.“

„Ja – geh zu ihm – das is der richtige Herr für Dich – der Schlingenleger!“

„Geh’ – gelt, Bauer – nimm Dich fein in Acht! Es könnt’ Dir auch net lieb sein, wenn ich jetzt hinging zum Leithner und saget ihm, was ihn Du g’heißen hast.“

„So geh – er soll mich verklagen – nachher will ich ihm beweisen, was ich g’sehen hab’ mit eigne Augen.“

Kurz wandte Jörg dem Knechte den Rücken und schritt über den dunklen Hof hinweg dem Wohnhaus zu, dessen ebenerdige Fenster erleuchtet waren. In der Stube war der Tisch gedeckt, Jörg sah es nicht; kaum vermochte er einen Stuhl zu erreichen, so zitterten ihm die Kniee; seufzend sank er nieder und schlug die Hände vor das Gesicht.

Die Thür zum Nebenraume stand offen; es war das Schlafzimmer des Bauern und der Bäuerin, daran reihte sich die Kinderstube. Durch die beiden Thüren klang in leisem, melancholischem Gesange Veverl’s Stimme. Sie sang einen Nachtsegen, der die schlummernden Kinder vor bösem Zauber bewahren sollte.

Eine Weile lauschte Jörg dem Gesange; dann sprang er auf; es drängte ihn, seine Kinder zu sehen. Als er die kleine Stube betrat, erhob sich Veverl, den Gesang unterbrechend, von ihrem Stuhle.

„Sing’, Veverl, sing’!“ flüsterte Jörg; und während das Mädchen die seltsame Weise von neuem begann, trat er vor das Bett seines blonden Dirnleins und strich die zitternde Hand über das nackte Aermchen des schlummernden Kindes; dann zog er sich einen Stuhl vor das Bett seines Buben; und während er mit brennenden Augen an dem frischen, rothen Gesichte des Knaben hing, horchte er auf den Gesang des Mädchens; der weiche, innige Klang dieser Stimme that ihm so wohl.

Als Veverl den Gesang beendet hatte, wollte sie sich lautlos entfernen. Jörg winkte ihr zu, das Licht mit fortzunehmen. Sie that es – und nun saß er im Finstern, die gefalteten Hände netzend mit seinen rinnenden Thränen.

Nach einer Weile erschien Veverl wieder unter der Thür: „Jörgenvetter,“ flüsterte sie, „geh, komm doch zum Essen – wird ja alles kalt.“

Jörg folgte dem Mädchen in die Stube und ließ sich am Tische mit den Worten nieder: „Trag’ nur alles wieder ’naus – ich kann nix essen!“

Mit besorgten Blicken betrachtete Veverl den Bauer, dann trat sie auf ihn zu: „Jörgenvetter – schau – sollst mir doch sagen, was Dir fehlt. Weißt – mein Vaterl hat mir gar viel verrathen, was gut is für gache Leiden.“

Jörg schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, daß es für sein Leid keine Hilfe gäbe. Und brütend starrte er wieder vor sich nieder.

Veverl schickte sich an, den Tisch abzuräumen; plötzlich ließ sie die Hände ruhen und richtete mit ängstlichem Lauschen das Köpfchen empor.

„Jörgenvetter,“ stammelte sie, „drüben – im Ehhaltenhaus – da – da beten s’ ja! Um Gotteswillen – was is denn g’schehen?“

Nun sagte er es ihr – sagte es ihr fast mit den gleichen, scheu zögernden Worten, mit denen er seinen Dienstboten das Unglück verkündet hatte.

Veverl erblaßte, und die Thränen stürzten ihr aus den Augen, aber sie brachte kein Wort hervor.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_734.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2024)