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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Offene Briefe an Henry M. Stanley.

Von Dr. Pechuël-Loesche.

Vorwort der Redaktion. Stanley’s Werk „Der Kongo und die Gründung des Kongostaates“ war die erste ausführliche Schilderung der Thätigkeit jenes Brüsseler Komités, welches, in hochherziger Weise durch den König Leopold II. von Belgien unterstützt, sich die Aufgabe gestellt hatte, das Becken des großen afrikanischen Stromes der Kultur zu erschließen. Bis dahin waren nur unvollständige Berichte über einzelne Phasen der vielgenannten Kongo-Expedition in die Oeffentlichkeit gedrungen. Stanley’s Werk war somit ein werthvoller Beitrag zur jüngsten Geschichte der afrikanischen Kolonisation, dem man überall mit großer Spannung entgegensah.

Als wir uns anschickten, in Nr. 20 der „Gartenlaube“ unsere Leser auf das Erscheinen jenes Buches aufmerksam zu machen, waren wir bereits zu der Ueberzeugung gelangt, daß ein Theil der Schilderungen mit Vorsicht aufzunehmen sei. Wir gaben auch offen der Befürchtnng Raum, daß wir in dem Buche „kein objektives Geschichtswerk, sondern eine Rechtfertigungs- und Anklageschrift“ vor uns hätten. Ebenso mußten wir die Anschauungen Stanley’s über das Klima, die Zukunft des Kongogebiets etc. als zu optimistisch bezeichnen. Trotzdem glaubten wir, in unparteiischer Weise den mannigfachen zweifellosen großen Verdiensten des berühmten Reisenden die verdiente Anerkennung zollen zu müssen.

Inzwischen gewinnt es den Anschein, daß die von uns ausgesprochenen Bedenken nicht unbegründet sind. Es wird demnächst der durch seine wissenschaftlichen Arbeiten in Gelehrtenkreisen wohl bekannte Forschnngsreisende Dr. Pechuël-Loesche in einer besonderen Schrift eine ausführliche Widerlegung der gegen ihn von Stanley gerichteten Angriffe veröffentlichen und dabei eine Schilderung der Zustände am Kongo geben, die mit den Berichten Stanley’s in vollem Widerspruch steht. Dr Pechuël-Loesche, der eine Zeit lang als Chef jener Kongo-Expedition gewirkt hat, ist mehr als irgend ein Anderer berufen, in das geheimnißvolle Dunkel, das immer noch über der Geschichte der Kongo-Expedition schwebt, Licht zu bringen. Wir sind schon heute in der Lage, einen Theil der Erwiderung unseres langjährigen, durch Stanley’s Angriffe zur Nothwehr gezwungenen Mitarbeiters in nachstehenden Artikeln bekannt zu geben. Wir thun dies in durchaus unparteiischem Sinne und in der festen Ueberzeugung, daß durch eine derartige Diskussion vor dem Forum der Oeffentlichkeit die Ansichten über das Kongogebiet geklärt werden und – worauf es vor Allem ankommt – die Erforschung der Wahrheit nur gewinnen kann.


I.

Ein Komité, welches gewissermaßen im Namen eines Königs handelt, über unbeschränkte Geldmittel verfügt, repräsentirt eine große Macht. Ein berühmter Entdecker, welcher für die große Masse schreibt und spricht, sein Prestige mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten, zu vergrößern weiß, repräsentirt ebenfalls eine große Macht.

Wenn nun zwei solche Mächte sich zusammenthun, um mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften etwas zu erstreben, so können sie in der That sehr viel leisten. Die öffentliche Meinung wird bald nicht mehr im Stande sein, zu unterscheiden, ob das zu Erstrebende bereits erreicht ist oder nicht, ob theilweise Erfolge in dem einen oder anderen Sinne zu deuten sind. Besonders leicht ist diese Unklarheit zu erhalten, wenn der Schauplatz der Begebenheiten unbekannt ist, wenn ausgiebige Vorkehrungen getroffen sind, daß nur solche Nachrichten in die Oeffentlichkeit gelangen, welche dem Zwecke dienen.

Für Sie, Herr Stanley, und das Komité giebt es daher zwei Abtheilungen von Männern: diejenigen, welche für den Kongo schwärmen, blindlings für ihn eintreten oder auf Grund eigener Erfahrung Alles ausgezeichnet finden; und diejenigen, welche wagen, eine abweichende Ansicht zu vertreten. Die Ersteren sind die Förderer des Werkes; vortreffliche Menschen, welche, wie immer sie geartet sein mögen, hohes Lob und öffentliche Anerkennung verdienen. Die Letzteren sind unbrauchbare Menschen, die das Schöne und Gute nicht sehen wollen.

Wenn ein geheimnißvolles Unternehmen, welches behauptet, wissenschaftliche und philanthropische Zwecke zu verfolgen, unter gänzlicher Vernachlässigung dieser nach ganz anderen Dingen trachtet und, statt ruhig mit seinen eigenen Mitteln das Gute zu erstreben, die öffentliche Meinung zweckvoll immer stärker aufregt, so fordert es die Kritik heraus. Wenn eine Reklame die Grenzen des Harmlosen gar zu weit überschreitet und anfängt, gefährlich zu werden, ist es geboten, ihre Angaben zu widerlegen, die allgemeinen Interessen wahrzunehmen.

Auf Grund eigener Erfahrung und der vorhandenen Forschungsresultate versuchte ich es daher, in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres ein treues Bild von der wirklichen Beschaffenheit des Kongogebietes zu geben. Im warnenden Sinne war es ein geradezu vergebliches Beginnen: die öffentliche Meinung war gefangen, die Macht der Gegenpartei viel zu groß, und die Kolonialbewegung begann die Gemüther zu erregen.

Aber auch eine Täuschung, und sei sie noch so unfaßbar groß und kühn, hat ihre Zeit. Während noch Ihr Buch gedruckt wurde und die Konferenz zu Berlin tagte, beschloß die amerikanische Regierung, der Angelegenheit in praktischer Weise auf den Grund zu gehen. Sie sandte officiell einen vielerfahrenen und hochgestellten Beamten nach Afrika, zu untersuchen, wie es denn mit dem gerühmten Kongolande in Wirklichkeit stünde. Die officiellen Berichte sind publicirt; sie sind in ihrer klaren, scharfen Fassung unantastbar und vernichtend.[1] Nicht nur im Allgemeinen, sondern gewissermaßen Satz für Satz bestätigen dieselben in allen Einzelheiten, was ich jemals über Westafrika, im Besonderen über das Kongoland und das Unternehmen gesagt und geschrieben habe.

Der Schleier fällt; der Glaube schwindet, mit ihm das afrikanische Kanaan. Es werden doch auch andere Staaten im Interesse ihrer Angehörigen, welche Unternehmungen im Kongostaate beginnen oder fördern wollen, officielle Berichterstatter nach dem Schauplatze senden, und endlich wird die volle Wahrheit über das Unternehmen an den Tag kommen.

*  *  *

In Ihrem an den Verleger Herrn Brockhaus gerichteten und der deutschen Ausgabe Ihres Buches vorgedruckten Briefe sagen Sie:

„Ich bin der nebelhaften Berichte über Geographie und Geologie oder andere ologien überdrüssig, geschrieben von unreifen Dilettanten in afrikanischen Angelegenheiten, die Afrika und dessen Aussichten zu beurtheilen sich anmaßen, einfach weil sie mit Maulwurfsaugen über den Wasserausfluß eines einzelnen Kongobaches blickten. – –“

Da Sie, Herr Stanley, mit derartiger Selbstüberhebung reden, so wollen wir doch einmal feststellen, über was Sie denn eigentlich im Kongolande „geblickt“ haben.

Sie sind als der Erste unter großen Fährlichkeiten den Kongo abwärts gefahren und haben einen wohlverdienten Ruhm als Entdecker geerntet. Sie sind nachmals an und auf dem Riesenstrome mit Aufwendung aller Kräfte und ungeheurer Mittel aufwärts vorgedrungen und haben außerdem etliche seiner Nebengewässer unterschiedliche, aber verhältnißmäßig kurze Strecken weit befahren. Ueber diese Flußläufe hinaus wissen Sie nichts! Sie haben nicht einmal in die benachbarten Landschaften Reisen unternommen, nur zu untersuchen, was wohl jenseit der von Ihnen beschauten Ufer sich finden möge. So kennen Sie mehr oder minder gut eine lange dünne Linie mit einigen kurzen Abzweigungen – absolut weiter nichts im ganzen ungeheuren Kongostaate.[2]

Darauf hin wagen Sie aber, Ihr Buch mit „unbestreitbaren Wahrheiten“ über das ganze Centralafrika anzufüllen, die unermeßliche Fruchtbarkeit desselben als selbstverständlich zu verkünden, den Leser mit einem Zahlenmaterial zu blenden, welches sich eben so gut auf einen Staat im Monde beziehen könnte.

Sie bemerken am Kongo-Ufer, wo die Bevölkerung sich naturgemäß verdichtet, eine Anzahl Dörfer. Daraus berechnen Sie die Bevölkerung des gesammten unbekannten Kongostaates etwa nach folgendem Muster: in Berlin leben so und so viel Menschen, Berlin nimmt so und so viel Raum ein, Deutschlands Flächeninhalt ist so viel Mal größer – folglich leben in Deutschland so und so viel Menschen.

Sie blicken in die Mündungen einiger Nebenflüsse, Sie hören von anderen, und flugs berechnen Sie die Länge der schiffbaren Wasserstraßen Innerafrikas, die Ausdehnung der Ufergelände, welche dem Handel erschlossen worden. Sie kennen freilich alle diese Verhältnisse nicht näher, Sie haben dieselben nie untersucht, aber das hindert Sie nicht, dieselbe in imponirenden Zahlenwerthen ausgedrückt den staunenden Lesern vorzulegen.

Sie geben keine Uebersicht über die Menge der thatsächlich vom Kongoland ausgeführten Produkte, denn sonst müßten Sie von Ihrer für das Innere erfundenen Liste nicht nur viele Nullen, sondern viele Posten gänzlich abstreichen. Darum suchen Sie die Leser mit folgender Wendung (II, 383) zu beruhigen: „Angenommen, es seien einige wenige Faktoreien am oberen Kongo, in Isangila und Manyanga angelegt, so würden in Anbetracht dessen, was auf dem unteren Kongo verschifft worden ist, verladen worden sein“: – und darauf eine Liste von Exporten aus dem unbekannten Inneren, welche den arglosen Leser geradezu überwältigen muß. Jährlich für 113 Millionen Mark! Was wird denn aber vom unteren Kongo thatsächlich verschifft? Wo steht es in Ihrem Buche gedruckt?

Sie führen in der Liste der Exporte des Inneren auf, z. B.: 232 Tonnen Elfenbein, Werth über 5 Millionen Mark. Das gesammte westliche Kongobecken liefert aber seit Jahrzehnten in der besten Zeit bloß 80 Tonnen im Ganzen pro Jahr! Und Sie wollen allein in einem relativ winzigen Theile desselben, in ein paar Faktoreien die dreifache Menge pro Jahr kaufen? Haben Sie und das Unternehmen statt der pro Jahr verheißenen 232 Tonnen Elfenbein wohl schon viel mehr als 232 Zähne in ganzen sechs Jahren kaufen können? Und doch sind Sie in die Gegenden gelangt, wo nach Ihren früheren Schilderungen das Elfenbein keinen Werth mehr haben soll, wo die Dörfer damit vollgestopft sind! Ich weiß ja doch aus eigener Anschauung, Herr Stanley, wie trotz rastloser Bemühungen die Geschäfte der Association gegangen sind. Sie könnten aber sagen, ich sei ein böser Mann. Dann lesen Sie unten die Anmerkung.[3]

Sie führen ferner auf: 10000 Tonnen Orseille pro Jahr, Werth 9 Millionen Mark. Wissen Sie, Herr Stanley, was 10000 Tonnen Orseille jährlich auf dem Weltmarkt bedeuten würden? Die Bäume in den Kongowäldern sind vollbehangen mit Ihrer schönen Orseille! Leider ist es aber gar keine Orseille (Roccella), wie sie namentlich in südlichen Küstengebieten vorkommt, sondern eine Usnea, eine weiche Bartflechte, verwendbar etwa als Füllung beim Verpacken von Glaswaaren etc.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_714.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)
  1. Congo. Reports of W. P. Tisdel to the Secretary of State. Washington 1885.
  2. Report of W. P. TIsdel. Congo No. 4. pag. 7: „Jenseit Stanley Pool ist ein zu der Association gehöriger Europäer oder eine Karawane bis jetzt niemals auf irgend welche Entfernung vom Hauptstrom vorgedrungen, ausgenommen in Booten, und die Ausforschungen haben bloß am Kongo entlang und für eine kurze Strecke ab einem oder zwei Zuflüssen stattgefunden.“
  3. Tisdel. Report. Congo No. 4, pag. 16: „Herr Stanley hat von der Nachbarschaft der Fall Station 150 Zähne mitgebracht. Die Agenten der Association sind nur fähig gewesen 80 Zähne im letzten Jahre zu erwerben.“