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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Wüste nach Metall- und Mineralschätzen. Neue Gesteinsarten gelangten in der Bildhauerei zur Verwendung; Marmor, Granit und der Schwarze Stein von Aegypten genügten nicht mehr; die wechselnde Geschmacksrichtung der Verfallszeit führte allerlei Versuche mit vielfarbigem Material herbei, und man war bemüht, mittelmäßigen Kunstgegenständen durch Kostbarkeit und Seltenheit der Masse Dasjenige zu ersetzen, was ihnen an wahrem Kunstwerth abging. Um etwas noch nie Dagewesenes und bei seiner schwierigen Beschaffung nur der Allgewalt des römischen Weltherrschers Zugängliches aufzustellen, kam seit Kaiser Claudius der echte rothe Porphyr in Aufnahme, der nur an einem Berge der östlichen Thebaide, tief in der Wüste und über 140 Kilometer in der Luftlinie vom Nil bei Qeneh entfernt, zu haben war. Zu dem Ende wurde am Porphyrberge, dem heutigen Gebel el Duchan, eine große Niederlassung gegründet, wo Tausende von Sklaven, wahrscheinlich Sträflinge oder Staatsgefangene, in den Steinbrüchen gewaltige Blöcke abzusprengen und von den unzugänglichsten Höhen herab nach dem Thale zu schaffen hatten. Auf einer mit Stationshäusern und Brunnenanlagen besetzten Straße wurden alsdann die, wie viele noch heute in den Kirchen und Museen Italiens prangende Schaustücke bezeugen, oft Tausende von Centnern schweren Massen vermittelst Rollen und Karren durch Ochsen fortbewegt, bis sie in der Nähe des heutigen Qeneh den Nil erreicht hatten.

Eine ähnliche Steinbruchsniederlassung wie am Porphyrites, nur in einem noch größeren Maßstabe und allein zur Gewinnung großer Granitblöcke angelegt, unterhielten die Kaiser Trajan und Hadrian am Mons Claudianus, dem heutigen Gebel Fatireh. Die direkte Entfernung desselben zur nächsten Stelle am Nil bei der heutigen Provinzialhauptstadt Qeneh beträgt 120 Kilometer, und der Weg bis dahin führt ohne jede Terrainschwierigkeit auf der ebenen Thalsohle des gleichnamigen Uadis, dessen flache und breite Rinnsale sich späterhin mit denen des großen Uadi Qeneh vereinigen, so daß die beiden alten Steinbruchstraßen vom Porphyrites und Claudianus auf der letzten Strecke zusammenfallen.

Den Porphyrberg habe ich auf meinen zahlreichen Streifzügen durch die ostägyptische Wüste wiederholt besucht, an den Mons Claudianus aber gelangte ich im vergangenen Winter zum ersten Male, und zwar war ich der dritte Besucher, der von seinem Dortsein Kunde gegeben hat. Zweiundsechszig Jahre sind es her, daß Wilkinson, der hochverdiente Erforscher der ägyptischen Kulturgeschichte, diesen Platz entdeckte und auf einer lateinischen Inschrift seinen alten Namen las. Die einzige Beschreibung, die wir bisher besaßen, rührt von ihm her; denn Lepsius, der im Jahre 1845 auf seinem Wege zum Porphyrberge hier durchkam, hat in seinen geistvollen Reisebriefen dieses Besuches keine Erwähnung gethan. Der unvergeßliche Altmeister der deutschen Aegyptologen hat am Berge des Claudius nicht einmal übernachtet, so wird er wohl nur flüchtig die alten Ruinen durchwandert haben. Auch Beduinen kommen nur sehr selten und vereinzelt, wenn sie ihre weidenden Kamele aufsuchen, in diese abgelegenen Thäler.

Das Gestein des Gebel Fatireh ist ausschließlich Granit. Von den nackten, wildzerklüfteten Höhen herab schimmert hier der Felsen, bei der jener Wüste eigenen Lichtfülle, in allen Farbenstufen vom zarten Aschgrau bis zum alpenglühenden Roth. Bräunliche Felsengänge durchsetzen denselben mit breiten Bändern und vermehren die Farbenpracht dieser nackten, zum Ersatz für den fehlenden Pflanzenschmuck in einer gewissermaßen mineralogischen Schönheit prangenden Gebirge. Es ist ein weiß und schwarz gesprenkelter glimmerreicher Granit, den die Römer hier aufgesucht und bearbeitet haben, von ziemlich lockerem Gefüge, so daß man mit einem Hammerschlage große Scherben abzusprengen vermag. Der Granit von Como, wo man riesige Säulen mit kaum größerer Mühe zuhauen sieht, als es anderwärts mit Holzbalken geschieht, schien mir dem vom Berge des Claudius sehr ähnlich zu sein.

Welchen Zweck konnte es haben, so muß man sich fragen, in dieser entlegenen Wüstenei Tausende von Menschen und Thieren in Bewegung zu setzen, um ein Gestein auszubeuten, das keine besonderen Vorzüge besaß und das sich ebenso gut vor den Thoren von Syene, hart am Nil erlangen ließ? Der zur Fortschaffung der Porphyrmassen beanspruchte Kraftaufwand wird in Anbetracht der Schönheit des Materials und der Einzigkeit seines Vorkommens erklärlich. Wozu aber die Mühewaltung mit dem weit verbreiteten weißen Granit, dessen Blöcke 120 Kilometer weit über Land fortzuschaffen waren?

Der eigentliche Zweck, den diese großartigen Anlagen in der Wüste verfolgt haben können, läßt sich nur unter der Annahme begründen, daß die Präfekten Aegyptens große Scharen von Staatsgefangenen, die sich nach Niederwerfung der häufigen Aufstände in Syrien, in Alexandrien und anderwärts anhäuften, zu beschäftigen hatten und daß der gefährlichere Theil derselben, in den unzugänglichsten Wüsten mit Herbeischaffung von Materialen zu allen möglichen und unmöglichen Bauten betraut, auf solche Art unschädlich gemacht wurde. Die zahlreichen Wächterhäuschen, die auf jedem vorspringenden Punkte und auf jeder Hügelspitze im Umkreise der Steinbrüche zu sehen sind, ebenso die feste Beschaffenheit des Kastells sprechen deutlich von der Sorgfalt, welche die kaiserlichen Befehlshaber auf die Ueberwachung der ihnen anvertrauten gefährlichen Menge zu verwenden hatten. Das Kastell selbst bildet ein nach den vier Himmelsgegenden gerichtetes regelmäßiges Viereck, mißt 70 Meter auf jeder Seite und hat an den Ecken und an den Seiten im Ganzen acht Thürme, die theils halbkreisförmig, theils vierkantig vorspringen. Nur ein Thor führt von der Ostseite ins Innere und ist durch vorspringende Thürme und Mauern eigens geschützt.

Ich vermuthe, daß wohl nirgends in der Welt eine römische Niederlassung in so hohem Grade wohlerhalten auf die Nachwelt gekommen ist, wie die am Mons Claudianus. In Aegypten giebt es noch zahlreiche Burgen dieser Art, deren Mauern stehen geblieben[WS 1] sind, wie beispielsweise bei Abydos, bei Eleuthia, bei Kom-el-ahmar zwischen Esneh und Edfu, in der großen Oase etc., aber nirgends ist uns ein derartiger Einblick in die Einzelheiten der inneren Einrichtung geboten, wie hier. Wäre Pompeji in dieser Verfassung ans Tageslicht gelangt, so hätte man nicht nöthig auf spekulativem Wege Modelle von römischen Wohnhäusern zusammenzusetzen, denn die letzteren würden in Substanz vorliegen. Leider aber waren die Behausungen in einer abgeschiedenen Wüstenfestung höchst ursprünglicher Art und jedes Schmuckes bar, so daß hier wenig zum Verständniß der häuslichen Einrichtungen dargeboten erscheint. Zwar gewahrt man neben gefängnißartigen dunkelen Zellenlöchern geräumige Stuben, in denen zugehauene Säulen die Steinbalkenlagen des Daches tragen, steinerne Wasserbecken und Wannen, Fußgestelle zu Leuchtern, Hausaltäre und dergleichen umherliegen, das waren die Wohnungen der Vornehmen, der militärischen Hauptleute, der Ingenieure und Werkführer bei den Sprengungen („Philosophen“ genannt), der Steinmetzen von Beruf, aber alles ist hier von Stein, rohbehauene Granitplatten und -Balken sind als Thür- und Fenstereinfassung, als Sitze, als Gestelle zusammengethan, Bewurf und eigentliches Mauerwerk findet sich nur an den wenigen Luxusbauten, die sich außerhalb des Kastells vorfinden, nämlich am Tempel, am Wohnhause des Befehlshabers und am Bade. Diese sind der fanatischen Zerstörungswuth der späteren Besucher nicht entgangen und befinden sich daher in ähnlichem Zustande wie derartige Ruinen in anderen Gegenden Aegyptens.

Betritt man durch den hohen mit gewaltigen Granitbalken überdeckten Thoreingang das Innere des Kastells, so öffnet sich eine enge Hauptstraße, auf welche zu beiden Seiten je drei noch schmälere Parallelgassen folgen. Ein großer Theil der Mauern ist eingestürzt, wo die als Mörtel verwandte Lehmmasse durch gelegentliche Regengüsse längst weggespült wurde und in Folge davon die Bruchsteine ihren Halt verloren. Zahlreiche Häuser sind jedoch unverändert und besitzen noch ihre aus umfangreichen Platten und langen Balken von Granit gebildeten Decken. Sie waren heute noch wohlbewohnbar. Angehäufter Ziegenmist beweist in der That, daß vorübergehend hier Beduinen ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. Freie Plätze giebt es im Innern des Kastells nicht, eine Wohnung lehnt sich dicht an die andere, und wahrscheinlich waren selbst die Gassen dazwischen zum Schutze gegen die Sonne überdeckt.

Vor dem Thore stößt an die Mauern des Kastells zunächst eine große Amtsstube mit an den Wänden umherlaufenden Steinbänken, nicht unähnlich einem heutigen „Diwan“ (Amtsstube). Dann folgen zwei von Mauern eingeschlossene vierkantige Räume, die je 20 Meter breit und 50 Meter lang mit der Längsseite auf einander stoßen und neben dem Kastell gegen die Thalmitte zu Front machen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: geglieben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_651.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)