Seite:Die Gartenlaube (1885) 486.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Trudchen zuckte zusammen und sah mit starren Augen die Mutter an. Sie selbst hatte ja an weiter nichts gedacht, als an Trennung. Jetzt, wo sie das furchtbare Wort aussprechen hörte, traf es sie wie ein Donnerschlag. „Doch!“ sagte sie dann und wand die Hände unmerklich in einander, „wo sonst?“

„Und was machst Du hier, um Gotteswillen, von früh bis spät?“

„Ich lese und gehe spazieren, und –“ ich gräme mich, wollte sie hinzusetzen, aber sie schwieg. Was wußte Mama von Gram!

„Mein armes Kind!“ Frau Baumhagen weinte jetzt wirklich. Der Aufenthalt hier fiel ihr auf die Nerven, es lag etwas Beängstigendes in der Luft, und es war doch im Grunde eine schreckliche Zeit, die nun bevorstand. Wie, wenn er nicht in die Trennung willigte? Warum hatte Gott dem Kinde einen so unbeugsamen Charakter gegeben, der sie in dies Elend gebracht! Wäre sie doch dem mütterlichen Rath gefolgt! Frau Ottilie hatte vom ersten Moment an einen Widerwillen gegen diesen Menschen gefaßt.

„Ich glaube, ich muß heim, meine Migräne,“ stammelte sie und schraubte ihr Büchschen mit englischem Salz auf. „Wenn Du irgend etwas wünschest, Gertrud, schreibe oder schicke. Willst Du ein Instrument oder Bücher? Ich habe den neuesten Roman von Daudet; ach Kind, es geht bunt her im Leben, und in der Ehe besonders; Du hast noch nicht das Traurigste erfahren.“

„Ich danke, Mama!“ Die junge Frau folgte der Mutter den Korridor entlang und die Treppe hinunter bis in die Hausthür. Frau Baumhagen nahm mit heiterem Lächeln Abschied; der Kutscher brauchte ja nichts zu wissen. „Gute Besserung, Trudchen,“ sagte sie laut, „laß Dir Deine Brunnenkur wohl bekommen!“

Die Zurückbleibende schritt in den Garten hinein. Am Ende der Mauer, da wo der Weg umbiegt, war ein kleines Belvedere angebracht, darüber aus Borke ein pilzförmiges Dach. Dort stand sie nun wieder und schaute in das Land hinein, das im Abendgold und Duft vor ihr lag. Hinter den bewaldeten Ausläufern des Thurmberges, da wußte sie traut und lieb das alte Haus. Sie schritt im Geiste durch alle seine Räume, nur an einer Thür zwang sie die Gedanken vorüber, das Zimmer mit den alten Mahagonimöbeln in das sie zuerst getreten am Hochzeitsabend. Und sie lehnte sich fester auf die Mauer und schaute in die untergehende Sonne, die wie ein feurig rother Ball am Himmel stand, bis ihr die Thränen aus den Augen flossen, und das Herz that ihr weh vor Scham und Demüthigung. Warum nur kam immer wieder dieser Tag herauf und der Abend, der erste, in eben dem Zimmer? Der Abend, wo sie aus seinem Arm geglitten war ihm zu Füßen, ihr Antlitz in seine Hände geborgen, vergehend in heißer Dankbarkeit? Mußte er nicht heimlich gelächelt haben über das thörichte leidenschaftliche, blindlings glaubende Weib? Und der Zorn trieb die Thränen aus den Augen über die blassen Wangen, die Hände zitterten, und riesenhaft bäumte sich der Stolz in ihr.

Sie wandte sich nun und ging dem Hause zu, immer der Hund auf ihren Fersen und in der Stube hockte sie sich wie ein Kind zur Erde und faßte den braunen Gesellen um den Hals. Sie konnte ja weinen, laut weinen, es hörte keines Menschen Ohr, Johanne war nach Niendorf und holte Bücher und allerhand Kleinigkeiten.

Als Johanne endlich kam, saß Gertrud, still wie immer, in der Sofa-Ecke, die Lampe brannte, und sie las. Die behende kleine Person bot einen schüchternen „guten Abend!“ was mit einem stummen Kopfnicken erwidert wurde. Sie legte neben das Buch ein paar Rosenknospen. „Die Ersten aus dem Niendorfer Garten, gnädige Frau.“

Und als keine Antwort darauf kam, sprach sie weiter, während sie die Wäsche aus dem Korbe nahm und in einen Schrank packte: „Die Dore ist fort, Frau Linden, sie hat sich mit Fräulein Adelheid gezankt, da hat der Herr sie hinausgejagt. Er ist so böse. Herr Baumhagen, der grad draußen war, hat sich bitter beklagt über das Essen heute Mittag; ich stand in der Küche, da kam er herein und sagte, er hätte in seinem ganzen Leben noch nicht solch’ miserable Schoten bekommen, und der Schinken sei nach der verkehrten Seite geschnitten. Da hat dann Fräulein Adelheid geweint und lamentirt und erklärt, sie thäte das Alles nur aus Gefälligkeit. Und der Herr Amtsrichter wollte sie trösten und sagte, es wäre schade um ihre schönen Augen. – Ich soll auch vom Herrn Amtsrichter eine Empfehlung ausrichten, und er käme noch, um der gnädigen Frau Adieu! zu sagen; er reist ja wohl in den nächsten Tagen ab. Herr Baumhagen läßt auch grüßen, und Fräulein Rosa und die kleine Adelheid –“

„Bitte, Johanne, besorge mir den Thee!“ unterbrach die junge Frau den Redestrom.

„Ich hatte eigentlich saure Milch, gnädige Frau, aber gelt, es ist kühl. Ach Gott, und wie sieht’s im Milchkeller aus! Es verkommt Alles, es wäre wirklich besser, wollten die Herrschaften sich dahin einigen, daß das Fräuleiu Adelheid hierher kommt, und ich gehe zum Herrn.“

„Du bleibst hier!“ erklärte Trudchen und senkte die Augen auf ihr Buch.

„Der Herr sieht so blaß aus,“ fuhr die redselige Frau fort. „Der Herr Baumhagen erzählte ihm im Gartensaal, daß es mit dem Wolff zum Sterben kommt; da schlug er mit der Hand auf den Tisch, daß die Kaffetassen klirrten, und sagte: ‚In dieser Geschichte geht mir Alles gner!‘“

Trudchen sah empor; in ihr blasses Gesicht kam Farbe und sie athmete tief auf. „Zum Sterben?“ fragte sie.

„Ja! Ich hörte noch, wie Herr Baumhagen ihn zu beruhigen suchte: es sei wohl so am besten, und er hoffe, es werde sich nun Alles in Frieden arrangieren.“

„Was wollte denn mein Onkel draußen?“ forschte Trudchen.

Johanne ward verlegen. „Ich weiß es nicht, Frau Linden, aber wenn mich nicht Alles täuscht, so redete er Herrn Linden zu – daß – – Ach Gott, gnädige Frau –!“ die schmucke Person kam herüber und blieb vor dem Tische stehen, den sie zierlich gedeckt.

„Was Sie mit einander gehabt, die Herrschaft, das weiß ich nicht, es kommt mir auch nicht zu, darüber nachzudenken. Aber sehen Sie, gnädige Frau, ich hatte auch einmal einen Mann, dem ich herzlich gut war – das Leben ist so kurz, meine ich – man sollte sich keine Stunde verbittern, gnädige Frau; was todt ist, kommt nicht wieder. Aber wüßte ich, mein Fritze wäre noch auf der Welt und säße drüben hinter den Bergen, so gar nicht weit von mir – Herr Jesus, wie wollte ich laufen, daß ich hinüber käme, und wäre er auch bitterböse auf mich! Um den Hals fiel’ ich ihm und sagte: ‚Fritze, nun schilt mich und schlage mich, es ist Alles Eins, wenn ich Dich nur habe!‘ Und die junge Wittwe vergaß den Respekt vor der Herrschaft und schlug den Zipfel der sauberen Schürze vor die Augen und begann bitterlich zu weinen.

„Weine nicht, Johanne,“ sagte Trudchen. „Du verstehst das nicht. Mir wäre es schon lieber so – als daß er mich –“ Sie stockte, es war ein Gefühl herzbeklemmender Angst, das sie überkam.

Johanne schüttelte den Kopf. „’s ist nicht recht!“ sprach sie und ging hinaus.

Und Trudchen ließ den gedeckten Tisch und stellte sich ans Fenster und legte die Stirn an das kühle Glas. Ob es nicht Menschenworte giebt, so gewaltig, als hätte Gott selbst sie gesprochen?

Als Johanne nach langer Zeit wieder das Zimmer betrat, fand sie es leer und den Tisch unberührt; und als sie sich anschickte, das bescheidene Tafelgeschirr abzuräumen, da trat die junge Frau eben wieder über die Schwelle und legte einen Schlüssel auf den Schreibtisch. Sie war in des seligen Herrn Stube gewesen, und wie versteinert sah das blasse Antlitz aus unter dem braunen Haar.

„Wenn Besuch morgen kommt, oder wann es sei – ich bin nicht zu sprechen,“ befahl sie, „es müßte denn Onkel Heinrich sein.“ Und sie nahm das Buch vor die Augen und las.

Es rührte sich schon längst nichts mehr im ganzen Hause, da ließ sie das Buch einen Augenblick sinken und starrte ins Leere hinaus. „Nein!“ sagte sie halblaut. „Nein!“




Drei Tage später fuhr die Niendorfer Equipage vor das Gitterthor von „Waldruhe“ und hielt dort eine Viertelstunde im grellsten Scheine der Nachmittagssonne, sodaß sich die Gärtnerkinder nicht satt zu sehen vermochten an der aufsprühenden Farbenpracht von Tante Rosa’s veilchenfarbenem Sonnenschirm und den rothen Straußfedern, die auf Adelheid’s Sommerhütchen lagen und sich effektvoll mit dem dunklen Kraushaare vermischten, das wie in Fransen über der jungen Stirn hing. Auch dem Herrn Amtsrichter mußte dieser Anblick behagen, denn er verwandte kein Auge von dem anmuthigen vis-à-vis.

„Frau Linden bedauert, sie ist nicht wohl genug, um Besuch empfangen zu können,“ berichtete Johanne mit niedergeschlagenen Augen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_486.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2022)