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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Das ist es ja nicht, das nicht, Onkel. Hore auf!“ sagte Trudchen.

„Ja ja, ich verstehe Dich schon, in dem Punkte sind die Frauen empfindlicher, und mit Recht,“ nickte Onkel Heinrich. „Na, mir ahnt, der Name ‚Baumhagen‘ wird einmal wieder Stadtgespräch sein im nächsten halben Jahr. Adieu, Trudchen! Kann nicht gerade sagen, daß mich dieser Besuch gefreut hat. Laß Dir die Zeit nicht lang werden!“

In der Thür drehte er sich noch einmal um. „Uebrigens, es wird wohl zur Klage kommen; Franz weigert sich die Forderung dieses Wolff anzuerkennen.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Er wird sich nicht weigern,“ sagte sie ruhig. „Aber ich bitte Dich, Onkel, nimm Du die Angelegenheit in die Hand und bezahle den Wolff für seine Bemühungen.“

Ihre Augen füllten sich plötzlich mit funkelnden Zornesthränen.

„O la la! Soll ich mich auch noch da hineinmischen?“ Der alte Herr war aufs peinlichste berührt.

„Ich bitte Dich darum, Onkel, ehe es stadtbekannt wird!“ Ein Schlnchzen erstickte ihre Stimme.

„Ja, meinst Du denn nicht, Kind, daß schon leise, leise darüber geflüstert wird? Hm! – Nun, ich will es thun, schon aus Egoismus, Trudchen. Denkst Du, mir ist es gleichgültig? O, la la, was das für große Tropfen sind. Aber, versprichst Du mir dann auch fünf gerade sein zu lassen? Wie? Du kannst doch nicht von ihm!“

Die Thränen in ihren Augen schienen förmlich zu erstarren. „Nein,“ sagte sie, „aber wir werden uns über die Trennung einigen.“

„Bist Du verrückt, Kind?“ rief der alte Herr mit dunkelrothem Kopf.

Sie wandte langsam den Blick von ihm. „Er hat ja doch nur mein Geld gewollt, er mag es behalten,“ klang es leise an sein Ohr. „Ich war Nebensache, ich –!“

„Na, das ist die erste Empfindlichkeit,“ meinte der Onkel beschwichtigend.

„Kennst Du mich so?“ fragte sie und richtete sich in ihrer ganzen schlanken Höhe auf; ihre verweinten Augen sahen unheimlich entschlossen in die seinen.

Der kleine Herr zog eilig die Thür hinter sich zu; das war just, als ob sein verstorbener Bruder ihn anschaute. In unbehaglichster Stimmung warf er sich in den Wagen. Tausend Wetter, wie war er da wieder hineingerathen durch seine Gutmüthigkeit!

Trudchen blieb allein. Einen Moment blickte sie ihm nach, dann schlug sie verzweifelt die Hände vor das Gesicht, flüchtete sich auf das kleine Sofa und weinte.




Es war gegen Abend. Franz Linden stieg die Treppe hinab, stellte sich auf die Terrasse und pfiff gellend in den Garten hinaus. Er wartete noch eine Weile, dann schüttelte er den Kopf: „Der Köter ist ihr nach,“ sagte er leise, „selbst so ein Thier nimmt Partei gegen mich!“ – Er trat wieder zurück in den Saal und stieß auf Johanne, die am Büffet hantierte.

„Sie werden also in einer Stunde nach ‚Waldruhe‘ fahren,“ redete er sie an und sah dabei an ihr vorüber. „Nehmen Sie das Nöthige an Wäsche und Garderobe meiner Frau mit; was sie sonst noch wünscht, steht jeden Augenblick zu ihrer Verfügung.“

Johanne blickte ihn scheu an, das sonst blühende Männergesicht sah so aschfahl aus in der abendlichen Beleuchtung. „Wenn’s noch eine halbe Stunde Zeit hätte, Herr Linden, – ich will dem Fräulein doch wenigstens noch Bescheid sagen über den Milchkeller.“

„Dem Fräulein? Ah – so –“

„Ja, dem Fräulein, die seit gestern bei der Tante Rosa zum Besuch ist; sie erbot sich dazu, Herr Linden, als sie hörte, daß die gnädige Frau fortreiste. Ich weiß ja doch sonst nicht, wie ich abkommen soll; die Dore ist zu dumm und hat auch zu viel zu thun.“

Ehe er noch antworten konnte, hatte sich leise die Saalthüre geöffnet, und hinter der wunderlichen Figur der Tante erschien ein brünettes Mädchen mit rothen Wangen und blitzenden Augen, die, ihn erblickend, einen etwas unbeholfenen Tanzstundenknix machte und gleich darauf von der alten Dame als Heidchen Strom vorgestellt wurde.

Franz verbeugte sich vor den Damen, stammelte ein paar höfliche Worte und bat um Entschuldigung, wenn er sie verlassen müsse, da er noch Briefe zu schreiben habe.

„Es thut mir so leid,“ klagte Tante Rosa, „daß Frau Trudchen nicht zu Hause –“

Er nickte ungeduldig. „Sie wird bald wiederkommen,“ erwiderte er schon im Gehen.

„Wenn die Heidchen irgend etwas helfen könnte in der Wirthschaft –“ schrillte die Stimme der alten Dame ihm nach.

„Bemühen Sie sich nicht!“ wehrte er ab.

„Ich thue es gern,“ versicherte Fräulein Adelheid schüchtern.

Abermals eine stumme Verbeugung von seiner Seite, und dann war er mit großen Schritten aus der Thür. Auch das noch!

Hastig lief er die Freitreppe hinab in den Garten. Er zog noch einmal den Brief aus der Tasche, den er heute Morgen auf der Platte seines Schreibtisches gefunden, und las ihn durch. Es waren nicht die sonst so zierlichen Buchstaben; hart und fest und groß standen sie dort, und doch unsicher wie in zitternder Erregung geschrieben.

Das Blut schoß ihm siedend zum Herzen. „Es wird sich finden!“ Er steckte das Schreiben wieder ein und nahm ein anderes aus der Brieftasche, das vor einer halben Stunde ein expresser Bote gebracht.

„Ich komme so eben von Wolff, mit dem ich ein Arrangement Ihrer fatalen Angelegenheit beabsichtigte. Der Biedermann ist leider seit gestern am Typhus erkrankt und augenblicklich nicht mit ihm zu verhandeln. Ich kann nur bedauern, daß Sie just an Diesen gerathen sind, und verstehe nicht, warum Sie ihn nicht befriedigt haben. Sobald der Gentleman wieder au fait, werde ich mir erlauben, im Interesse meiner Familie und vor allem meiner Nichte, stillschweigend zu handeln, und bitte Sie, nicht durch ein Vorgehen Ihrerseits die Sache zu verschlimmern. Sie haben Rücksichten zu nehmen!
Ich darf wohl als alter Mann Ihnen einen Rath geben? Ich beurtheile diese Angelegenheit sehr tolerant, aber eine Frau denkt anders darüber. Gestehen Sie doch offen dem kleinen beleidigten Weibe die Wahrheit, – bei ihrem Charakter das Einzige, das sie wieder versöhnen könnte. Ich will gern, schon aus naheliegenden Gründen, das Möglichste thun, um ihr die ganze dumme Geschichte im mildesten Lichte hinzustellen –“

„Rücksichten!“ murmelte er, „Rücksichten auf die Familie!“ Dann lachte er auf und ging schneller in den sinkenden Abend hinein. Was sollte er zu Hause, in den leeren Zimmern, an dem unwirthlichen Tisch und mit dem Herzen voll Groll? Kindischer, alberner Eigensinn war es von ihr – und kein Vertrauen! Womit hatte er verdient, daß sie sofort den Stab über ihn brach, ohne ihn zu hören? Nun, sie würde austrotzen, sie würde wiederkommen, aber – der Zauber war gebrochen, der Duft, der Farbenschmelz dahin!

Sein Recht mußte er haben, ohne Rücksichten auf Familie Baumhagen, auf sie, der er die Hande unter die Füße gebreitet in treuer, ehrlicher Liebe. Weher hätte sie ihm nicht thun können, weher nicht, als daß sie dem Schurken mehr geglaubt, als ihm; sie, die sonst so besonnen –. Besonnen?

Er sah noch ihre Augen vor sich, die Augen, in denen tief die Leidenschaft glimmte: er hatte sie mehr als einmal im Zorne blitzen sehen, er hörte ihr erschütterndes Schluchzen, ihre vor Bewegung tonlose Stimme, als sie von dem Vater sprach. Er sah sie, wie sie am Hochzeitsabend droben seine Hände stürmisch an die Lippen preßte, eine stumme beredte Unterwerfung, ein Dank für den Zufluchtsort an seiner Brust. Und nun? Sie war verraucht, diese leidenschaftliche Liebe, unterlegen der ersten Prüfung.

Es dämmerte schon, als er von seinem Gange zurückkehrte. Johanne war fort; das Stubenmädchen, das er auf dem Korridor traf, erzählte, sie habe ihr Kind mitgenommen und einen Koffer voll Kleider und Wäsche, auch die Bücher, welche die gnädige Frau gestern zugeschickt bekommen. Er trat in ihr Zimmer; der süße Veilchenduft, den sie so liebte, hauchte ihn an, die Decke der Chaiselongue lag noch so, wie sie dieselbe beim Aufstehen heute abgeworfen. Er hielt es nicht aus, die Sehnsucht packte ihn zu gewaltsam und drohte ihn weich zu machen, er kam wieder hinunter in den Gartensaal. Unwillkürlich behielt er die halbgeöffnete

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