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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Im Gartensaal brannte kein Licht, nur hinter Tante Rosa’s Fenstern war es heute ungewöhnlich hell und ein Schatten glitt jugendlich lebhaft über die weißen Vorhänge. Das mußte die junge Nichte sein.

Trudchen schritt weiter über die Kieswege des Gartens, die Nachtigallen schlugen und aus der Verwalterstube scholl Gesang. Eine tiefe sympathische Männerstimme und eine traurige Melodie.

Tiefer und tiefer ging sie in den duftenden Garten. Dann schrie sie auf:

„Franz!“ Sie stand plötzlich vor ihm an der Biegung eines Weges.

„Gertrud!“ erwiderte er und wollte ihre Hand fassen.

„Laß!“ wehrte sie. „Ich suchte Dich nicht, aber da wir uns getroffen, will ich Dich um etwas bitten.“ Sie griff, nach Halt suchend, mit der schmalen Hand in das Geranke eines Fliederstrauches.

„Gern, Trudchen,“ sagte er weich; „verzeihe mir nur meine Heftigkeit, der Zorn packte mich hinterrücks. Ich verspreche Dir, es soll nicht wieder geschehen.“

Er schwieg und wartete auf den Ausspruch ihrer Bitte. Eine Weile blieb es stumm zwischen ihnen, dann sprach sie langsamer, fast unverständlich in ihrer furchtbaren Aufregung: „Gieb mir meine Freiheit wieder – es ist doch nicht mehr möglich so –“

„Ich habe Dich nicht verstanden,“ sagte er kühl, „wie meinst Du?“

„Ich lasse Dir Alles, Alles – nur gieb mich frei! Wir können nicht mehr zusammen bleiben, begreifst Du das nicht?“ rief sie außer sich.

„Sprich leise!“ herrschte er sie an und trat zornig mit dem Fuße auf.

„Sage Ja!“ bat die junge Frau mit einer vom Herzklopfen fast erstickten Stimme.

„Ich sage Nein!“ klang es zurück. „Bitte, nimm meinen Arm und komm!“

„Ich will nicht! Ich will nicht!“ rief sie und riß ihre Hand los, die er ergriffen, um sie in seinen Arm zu legen.

„Du bist in höchster Aufregung heute Abend, Du kommst jetzt mit mir in das Haus, bitte; morgen werden wir weiter sprechen, und Du kannst mir dann am hellen Tage die Gründe sagen, die unser Zusammenbleiben unmöglich machen.“

„Gleich, wenn Du willst, gleich!“ stieß sie athemlos hervor, „weil uns nur Zweierlei fehlt, zwei ganze Kleinigkeiten nur – das Vertrauen und die Achtung! Von Liebe will ich ja gar nicht mehr reden. Du bist nicht wahr gegen mich gewesen, Franz, Du hast mich hintergangen und hast mein Vertrauen verloren. Laß mich, ich bitte Dich um Gotteswillen – laß mich!“

Und als er nicht antwortete, sprach sie weiter, und die Worte überstürzten sich fast: „Ich weiß ja, daß ich kein Recht vor dem Gesetz habe; über eine Frau, die ihre Freiheit wieder verlangt und keine andern Gründe anführt, als daß sie einmal belogen wurde, lächelt man höchstens. Ich komme deßhalb als Bittende; sei so ehrenhaft, laß mich ziehen, ich kann es nicht ertragen neben Dir zu leben im Mißtrauen und – und –“

„Komm, Trudchen,“ sagte er jetzt weich; „Du bist krank. Komm nur erst in das Haus und wiederhole mir das im Zimmer noch einmal; komm!“

„Krank – ja! Ich wollt’, ich könnte sterben,“ flüsterte sie. Dann ward sie plötzlich ruhig und ging neben ihm her in das Haus. Er öffnete sein Zimmer, sie trat auch hinein, aber sie schritt rasch hindurch in das ihrige und warf sich auf ihre Chaiselongue, zog die weiche Decke über sich und schloß die Augen. Franz stand rathlos vor ihr.

„Ich werde Dir Thee machen lassen,“ sagte freundlich der junge Mann.

Sie sah unsagbar elend aus, wie sie so dalag und die langen Wimpern gleich schwarzen Schatten auf ihre bleichen Wangen fielen. Sie mußte furchtbar gelitten haben.

„Gehe zu Bette, Trudchen,“ bat er ängstlich, „es wird Dir besser werden, und morgen reden wir zusammen.“

„Ich bleibe hier,“ erwiderte sie fest und wandte den Kopf nach der andern Seite.

Da riß ihm die Geduld. „Zum Henker mit Deiner albernen Störrigkeit!“ rief er zornig. „Meinst Du, ein dummer Junge stehe vor Dir? Ich werde Dir zeigen, wie man trotzige Kinder erzieht!“

Er wandte sich um, und die Thür hinter sich zuschmetternd, ging er hinaus.

(Fortsetzung folgt.)




Antigone.

Von jeher nur durch Schmerz erstritten,
      Gewann das Menschenherz sein Recht,
Und Opfer haben stets dafür gelitten,
Indeß die Selbstsucht sich des Siegs erfrecht.
Graunvolle Nacht, als über die Gesetze,
      Die in die Brust gegraben sind,
Daß sie kein Wahn, kein roher Hohn verletze,
Gewalt entschied und Willkür taub und blind!

Da hat, die Sophokles gepriesen,
      Unsterblichen Gesanges werth,
Antigone zuerst den Muth bewiesen,
Der wunderbar ein zartes Herz bewehrt,
Den Muth, der das in sich für gut Erkannte
      Unbeugsam auch vollbringt und kalt
Dem Tode trotzt, denn eine Gottgesandte,
Die Liebe, lebt in ihm mit Allgewalt.

Von ihren Armen lag umwunden
      Des Bruders Leiche – „Du, so blaß,
O,“ rief sie, „theures Haupt, entstellt von Wunden,
Noch mehr entstellt von Aller Fluch und Haß,
Mit diesen Händen will ich dich bestatten,
      Kein Herrscherwort halt’ mich zurück,
Auf dieser Flur und unter diesen Schatten,
Wo wir gespielt in holdem Kindesglück!“

So, Heldin, trotz dem Machtgebote,
      Das jede Menschlichkeit zertrat,
Empfing durch dich sein Ehrengrab der Todte,
Und ruhig dann gestandest du dir That;
Der Schwesterliebe Bild und Offenbarung
      Erhobest du dich, todgeweiht,
Und legtest gegen jenen Spruch Verwahrung
Und gegen Unrecht ein für alle Zeit. –

Die Höhle gähnt, dich einzuschließen
      Noch lebend in den Grabesschoß,
Die Erde sieht, wie deine Thränen fließen
Um dein und mehr noch um des Bruders Los;
Ein Sturmwind donnert in den Fichtenhainen
      Und zu der Burg des Kreon schwebt
Beflügelt das Verhängniß, all die Seinen
Erwürgt es, er nur und sein Vorwurf lebt. – –

Das Haus des Kreon ist gefallen,
      Es liegt das Land wie Asche fahl,
Klaglieder tönen durch die öden Hallen,
Und träger Rauch steigt auf vom Leichenmahl.
Nur eine Lichtgestalt dort an dem Rande
      Der Felsen ragt, sie wankte nicht;
Rag’ stets in deinem edlen Widerstande,
Antigone, Heroin, Weltgedicht!

 Hermann Lingg.




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