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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


Trudchens Heirath.

Von 0W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Es war spät geworden, ehe Onkel Heinrich und Arthur ihren Heimweg antraten und spät, ehe der kleine Amtsrichter sein Zimmer aufsuchte. Sie hatten alle Drei noch lange in Franzens Wohnstube gesessen und gesprochen von alter und neuer Zeit.

„Das kann ganz lustig bei uns werden,“ meinte Franz, „wenn Tante Rosa’s Nichte kommt; Du bist dann auch nicht mehr so allein, Trudchen, wenn ich lange auf dem Felde zu thun habe.“

„Ich vermisse Niemand,“ erwiderte sie ruhig, „ich habe nie eine Freundin gehabt, jetzt aber erscheint es mir mehr als überflüssig.“ Und sie blickte zu ihm hinüber mit ihren tiefen Augen.

„Gnädige Frau,“ erkundigte sich der Amtsrichter, der eben den Rest seiner Cigarre in eine Meerschaumspitze steckte, „hat er Sie denn auch angedichtet?“ Und er wies verstohlen lächelnd auf Franz.

Trudchen wurde roth. „Gewiß!“ antwortete sie.

„Ja, das Dichten kann er nicht lassen,“ neckte der Kleine und schlug den Freund auf die Schulter. „Ich sage Ihnen, gnädige Frau, zuweilen ergriff’s ihn wie ein Fieber; und was so ein Mensch alles besingt! Die Poeten sind wirklich geborne Lügner; in dem Moment, wo die süßen Verse aufs Papier strömen, glauben sie freilich selbst jedes Wort, was sie schreiben – ’s ist wirklich rührend!“

„Aber ich bitte Dich, Richard,“ lachte halb ärgerlich der junge Hausherr.

„Ist’s etwa nicht wahr?“ fragte der Amtsrichter. „Denke doch nur an Dein berühmtes Gedicht von der Zigeunerin! Ich war ja dabei, als Du auf dem Römerberg die braune Maid erblicktest, und am Abend schon stand in Deinem Notizbuch, daß sie

‚Beschwingten Fußes durch die Straßen irrt,
Mit wirrem Haar und schwarzen scheuen Augen,
Darin die Sehnsucht nach der Haide lag
Und nach dem Wind, der durch das Riedgras schwirrt, –‘

Und was war’s? Ha! ha! Aus der Judengasse stammte sie und fragte in den Häusern herum: ‚Habens Hasenfelle, Hadern, Lumpe?‘“

Alle Drei lachten, Trudchen am herzlichsten. dann ward sie plötzlich nachdenklich.

„Du bist ein boshafter Mensch,“ erklärte Franz und erhob sich, um ein Licht anzuzünden. „’a ist apät, Richard, und unsereiner wird früh wach.“

Als sich die Herren dann vor dem Gastzimmer gute Nacht wünschten, sagte der Amtsrichter: „Na, Franz, ich gratulire, Du hast das große Loos gezogen; so ein liebes kleines verständiges Weib! Und das Andere – Goldsohn, was habe ich Dir gesagt von diesem Menschen? Na, gute Nacht! Ein charmanter Onkel übrigens, dieser Onkel Heinrich – nun mach’, daß Du wegkommst.“

Trudchen stand am offenen Fenster in ihrem Zimmer und sah in die schwüle Nacht hinaus; nur schwach drang der Lampenschein aus dem Nebenraum herüber. Es waren dunkle Wolken heraufgezogen, fern über den Bergen zuckte ein Wetterleuchten, und im Garten schlug und schluchzte ein Chor von Nachtigallen.

„Trudchen!“ klang es hinter ihr.

„Franz!“ erwiderte sie und legte den Kopf an seine Schulter. „Horch, horch! Es ist so schön heute Abend.“

Er stand eine ganze Weile schweigend; das Gespräch von heut Nachmittag ging noch in seinem Kopfe herum; der Onkel hatte nicht begriffen, warum der junge Mann nicht aus seinem Walde Bauholz schlagen ließ. Es war aber Alles zu sehr ausgeholzt, und frische Anpflanzungen kaum gemacht.

„Sage, Trudchen,“ begann er plötzlich, „wo liegt denn eigentlich die Villa ‚Waldruhe‘?“

Die junge Frau an seinem Arme fuhr auf wie von einer Schlange gebissen. „Unsere – meine Villa?“ stieß sie athemlos hervor, „woher weißt Du – wer sprach Dir von der Villa?“

Er blieb stumm. „Ich kann mich nicht besinnen, wer,“ sagte er nach einer Pause, „irgeud Jemand muß mir doch davon geredet haben, daß ein kleiner Wald, ein Naturpark dabei ist. Aber, Gertrud, was ist Dir denn?“ fragte er. „zitterst Du?“

„Ach, Franz, wer hat Dir davon erzählt?“ wiederholte sie, „und was?“ Es klang so traurig, daß er sofort empfand, er habe sie verletzt.

„Trudchen, habe ich Dir weh gethan? Ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich dachte an nichts weiter als an billige Hölzer, die ich möglicherweise zum Winter dort schlagen lassen könnte.“

„Bauholz? Dort? Es ist ja nur ein Park. Ach Franz –“

„Aber was heißt denn das?“ fragte er etwas ungeduldig. „Ich kann doch unmöglich wissen –“

„Nein, Du kannst es nicht wissen,“ bestätigte sie. „Es war nur der Schrecken – ich hätte Dir es längst mittheilen sollen, es wird mir nur so furchtbar schwer, davon zu sprechen. Du sollst es auch hören, aber – sage mir, wer Dir davon erzählte!“

„Wenn ich doch die Versicherung gebe, Kind: ich weiß es nicht mehr.“

„Franz,“ sagte die junge Frau stockend und leise, „da draußen – in der ‚Waldruhe‘, ist mein armer Vater gestorben –“

„Mein Frauchen!“ tröstete er.

„Er ist dort – er hat – sich selbst das Leben genommen.“ Es klang kaum hörbar.

Er bog sich erschreckt zu ihr. „Armes Kind, das wußte ich nicht, daran wollte ich nicht rühren.“

„Und ich, Franz, ich habe ihn gefunden. Er hatte sich die ‚Waldrnhe‘ gebaut, da war ich noch ein Kind, und er zog sich wochenlang dorthin zurück. Es ist so schwer darüber zu sprechen – er war nicht glücklich, Franz, – ach, erlaß mir das! Mama verstand ihn nicht, und da, Weihnacht war’s, am ersten Feiertag, ich wußte, sie hatten wieder einen Wortwechsel gehabt; ein Wortwechsel ist nicht das Rechte, Papa widersprach ihr eigentlich nie, versuchte auch gar nicht Mamas Weinen und Jammern zu unterbrechen. Nach einer Weile hörte ich den Wagen fortrollen. Das war früh – mich packte eine seltsame Angst, und nach Tisch nahm ich Hut und Mantel und lief aus dem Bergedorfer Thor und die Chaussée entlang, immer weiter und weiter bis nach ‚Waldruhe‘. Und ich wunderte mich, daß die Läden in seinem Zimmer nicht geöffnet waren, ich sah doch die frischen Wagenspuren vor dem Hause. Die Gärtnerfrau, die im Hofgebäude wohnt, sagte, der Herr sei droben. Er war auch oben – ja – aber todt!“

Sie stand neben ihm, von seinem Arm umfaßt, wie sie das erzählte. Er fühlte ihr Zittern und wie kalt ihr die Hände. „Höre auf, mein Herz,“ bat er erschüttert, „Du machst Dich krank!“

„Ja, ich war krank, Franz, jahrelang,“ sagte sie. „Es war eine fürchterliche Zeit; ich konnte meiner Mutter nicht vergeben. Von diesem Augenblick that sich die Kluft auf, die zwischen uns liegt; und keine Brücke wollte hinüberreichen. Zum Sterben arm war ich, bis ich Dich fand, Franz. Aber die Villa? – ja, sie gehört mir, Papa hatte sie schon damals für mich bestimmt, als er sie baute. Ich habe dort ruhige schöne Zeiten mit ihm verlebt, – aber jetzt ist mir jeder Gedanke an das Haus schrecklich. Es steht öde und verlassen, ich habe es nie wieder aufgesucht. Es ist so grauenhaft, Franz, einen Menschen, den man verehrt und geliebt, so zu finden – so –“

„Verzeihe mir, Trudchen!“ bat er weich.

„Du konntest es nicht wissen, Franz. Es weiß Niemand davon außer uns, der Familie.“ Und als wollte sie ihn auf andere Gedanken bringen, fuhr sie hastig fort: „Ich danke Dir auch, Schatz, wie ist das Gedicht so schön ‚Du hast mich namenlos geliebt!‘“ Und sie streichelte seine Hand und drückte sie an die Lippen.

„Mein armes kleines Trudchen!“

So standen sie noch eine Weile, und an ihuen vorüber zogen die Wonnen des Frühlings, Duft und Lieder.

„Das Gewitter kommt herauf,“ sagte er endlich, und sie entwand sich seinen Armen und ging aus dem Zimmer. Franz hörte sie auf dem Korridor leise hin und her gehen, die Thüren und Fenster schließen und mit den Schlüsseln klappern. Sie sah nach, ob Alles versorgt und verwahrt zur Nacht.

Er legte die Hand an die Stirn und sann; wer hatte ihm von der Villa gesprochen? und er ging hinüber in sein erleuchtetes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_438.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2022)