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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Befehle erlassen, die Reise betreffend. Die großen häuserartigen Koffer standen, fertig gepackt, in der Garderobe; übermorgen sollte es fortgehen, zunächst nach Heidelberg zu einem berühmten Arzt.

Um Trudchens Aussteuer hatte sich die Mutter nicht bekümmern können; mochte sie sich die Einrichtung selbst aussuchen. Trudchens Geschmack war ja so wie so höchst wunderbar; wenn sie blau gewollt, hätte das Mädchen sicher roth gewählt, so war es von je her. Ach, dieser Tag war ein schrecklicher in ihren Augen, und er beschloß qualvolle Wochen. Seit dem Begräbniß des Kleinen, wo die Tochter eine so leidenschaftliche Scene gemacht, war man noch kälter denn sonst an einander vorüber gewandelt. Gertrud’s Augen konnten so groß, so fragend blicken, es stand immer die leise Anklage darin: ‚Warum störst Du denn mein Glück?‘ – „Wenn man doch erst im Koupé säße!“

Jetzt waren die Damen alle bei der Toilette, um fünf Uhr sollte die Trauung stattfinden. Die alte Sophie half Trudchen heut; sie wollte es sich nicht nehmen lassen.

Das bedeutungsvolle Kleid hatte Trudchen schon angelegt, nun kniete Sophie vor ihr und knöpfte die weißen Atlasschuhchen zu.

„Fräulein Trudchen,“ seufzte die Alte, „wie wird’s so öde werden im Hause! Das Walterchen todt, und Sie nun fort.“

„Ich werde so glücklich sein, Sophie!“ Die weiche Mädchenhand strich über das runzlige Gesicht, welches traurig zu ihr empor sah.

„Das walte Gott! Das walte Gott!“ murmelte die alte Frau gerührt und erhob sich. „Nun kommt wohl Schleier und Kranz? Aber Fräulein, dazu bin ich zu ungeschickt, das wird – da ist Frau Fredrich schon.“

Frau Jenny kam eben durch das Wohnzimmer des jungen Mädchens, sie war in tief schwarzer duftiger Krepp-Robe und aus den blonden Haarwellen leuchtete eine weiße Kamelie. Sie sah erschreckend bleich aus und hatte roth geweinte Augen.

„Ich will Dir helfen, Trudchen,“ sagte sie matt und begann den Schleier auf dem braunen Haar der Schwester zu befestigen. „Wenn ich denke, Trudchen, wie Du mir den Kranz aufgesetzt hast, weißt Du noch? Ach, wenn man in der Stunde ahnen könnte, welch unendlichem Leid man entgegengeht!“

„Jenny,“ bat Trudchen, „weine nicht so viel; sieh’, wie ich herunter kam, als Walterchen gestorben war und Arthur Dich so treu im Arme hielt, dachte ich, welch eine Fülle von Trost Ihr noch hättet in Euch selbst. Das ist doch erst das rechte wahre Glück, wenn Zwei so bei einander stehen in Kreuz und Noth.“

„O,“ sagte Frau Jenny, und um ihre Lippen zuckte es verächtlich, „glaube mir doch, Arthur ist schon halb getröstet; er kann von etwas Anderem reden, er kann essen und trinken und ins Geschäft gehen, er hat sogar Skat gespielt. Dieses vielgepriesene Glück! Lieber Gott!“

„Ach Jenny, Du darfst nicht die tiefe Trauer von ihm verlangen, wie sie ein Mutterherz empfindet; er –“

„Du wirst es auch noch einsehen,“ unterbrach die junge Frau. „Die Männer sind alle Egoisten!“

Trudchen erhob sich jäh von ihrem Sessel; sie schwieg, doch ihre Augen hefteten sich vorwurfsvoll auf die Schwester, als wollte sie sagen: „Sind das Deine Segensworte, die Du mir auf den Weg mitgiebst?“

Aber ihre Lippen sagten nur: „Nicht alle, ich weiß es besser!“

Jenny stand wie verlegen. „Ich möchte nun zu Arthur hinunter, er wird sonst wieder nicht zur rechten Zeit fertig; und dann ist’s auch soweit, daß ich zum Empfang der Gäste heraufkomme.“

Wie ein dunkler Schatten rieselte die Schleppe ihres Kleides über den Teppich.

Trudchen setzte sich still noch einmal in den Erker; in schimmernden Falten floß die weiße Seide um die schöne Gestalt, und aus dem duftigen Schleier tauchte das ernste junge Gesicht wie aus einer Wolke empor. Sie hatte die Hände gefaltet und sah des Vaters Bild an; „Dich nehme ich mit heut Abend, Papa!“ Und ihre Gedanken flogen zu dem stillen Landhause: sie kannte es noch nicht, nur wenn sie auf einer Landpartie durch das Dorf gefahren, hatte sie ein spitzes Ziegeldach und graues Gemäuer aus den Bäumen auftauchen sehen; wer ihr gesagt, daß dies einst ihre Heimath sein würde!

Es war wohl herzlos, daß ihr der Abschied aus dem Vaterhause nicht schwerer wurde. Und von der Mutter? – Ach, die Mama! Papa hatte sie ja doch lieb gehabt, sehr lieb einmal. Sollte sie fortgehen von hier ohne eine Mutterthräne, ohne ein herzliches Wort? Und Trudchen vergaß Alles in dieser glückseligen Stunde, sie dachte nur noch an das Gute, an das Traute, an die Zeit, da sie ein glückliches Kind gewesen, und die Mutter sie noch zärtlich geküßt hatte; sie wollte versöhnt scheiden.

Sie erhob sich, raffte die lange Schleppe des Brautkleides zusammen und ging durch den halbdunklen Flur zum Schlafzimmer der Mutter hinüber. Leise pochte sie an und gleich darauf trat sie ein.

Frau Baumhagen stand vor dem großen Ankleidespiegel im schwarzen Moireekleide, schwarze Spitzen und Federn auf dem noch immer blonden Scheitel. Trudchen konnte das Antlitz im Spiegel sehen; es war dick mit Puder bestreut, und eben wurde mit einer Hasenpfote das feine Reismehl in die Haut gerieben.

Frau Baumhagen sah sich um und betrachtete ihre Tochter. Es war die holdeste, die lieblichste Braut, weit imposanter als Jenny – und das Alles für diesen Linden! Sie sagte nichts, sie seufzte nur laut und wandte sich wieder zum Spiegel.

„Mama,“ begann Trudchen, „ich möchte Dich um Etwas bitten.“

„Gleich!“

Trudchen verharrte ruhig, bis der letzte Strich mit der Puderquaste über die Schläfe gethan war, dann nahm Frau Baumhagen die langen schwarzen Handschuhe, setzte sich auf die Chaiselongue zu Füßen ihres großen roth dekorirten Himmelbettes, und begann den ersten überzustreifen.

„Was willst Du, Gertrud?“

„Mama, was ich will? Ich wollte Abschied nehmen von Dir.“ Sie setzte sich neben die Mutter und nahm ihre Hand.

Frau Baumhagen nickte ihr zu. „Ja, wir werden uns längere Zeit nicht sehen.“

„Mama, bist Du mir noch böse?“ fragte das Mädchen stockend, und ihre Augen wurden feucht. „Vergieb mir in dieser Stunde,“ bat sie, „ich war manchmal heftig und trotzig, aber –“

„O laß – laß doch!“ wehrte die Mutter. „Ich wünsche nur von Herzen, daß Du glücklich werdest und diesen Trotz, diesen Eigensinn nie zu bereuen brauchst.“

„Niemals!“ sagte Trudchen mit innigster Zuversicht.

Frau Baumhagen knöpfte an den Handschuhen weiter. Es war im Zimmer ein so betäubender Geruch von Lavendelwasser und Patchouli, dazu krachte leise die schwere Seide, wie sie sich eifrig mühte, die Knöpfe zu schließen. Sie antwortete nicht.

„Darf ich noch eine Bitte – Mama?“

„Gewiß!“

Das Mädchen faltete unwillkürlich die Hände im Schoße. „Mama, sei ein wenig freundlich zu Linden, habe ihn ein wenig lieb, mache ihm den heutigen Tag zu einem wirklichen Ehrentage! Sieh, Mama,“ fuhr sie nach einer Pause fort, „das Herz würde es mir zerschneiden mit tausend Messern, würde er heute gekränkt, liebe Mama –.“ Ein paar schwere Thränen zitterten in den Wimpern.

Sie mußte noch einmal fragen: „Ja, Mama?“

Frau Baumhagen war just fertig; sie streckte ihre beiden kleinen Hände vor, besah sie innen und außen und sagte ohne aufzublicken:

Freundlich? – natürlich; lieb haben? – das läßt sich doch nicht erzwingen, mein Kind; ich kenne ihn ja kaum.“

„Um meinetwillen!“ drängte es Trudchen zu rufen. Aber sie besann sich; die Tage der Kindheit waren vorüber, und seitdem –?

Frau Baumhagen erhob sich. „Es ist bald fünf Uhr,“ bemerkte sie, „geh’ hinüber in Dein Zimmer, Linden wird gleich kommen.“ Sie küßte Trudchen auf die Stirn, dann rasch auf den Mund. „Geh’, mein Kind – ich lasse mich überhaupt nicht gern weich machen; Gott schenke Dir alles Glück!“

Trudchen kam hinüber in ihr Zimmer, erkältet bis ins innerste Herz. Da trat aus dem Erker eine hohe Gestalt rasch auf sie zu und ein fester Arm zog sie an sich. „Du!“ sagte sie aufathmend, und eine Rosengluth überflog ihr Antlitz.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_404.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)