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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 16.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.

Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)



21.

Die Testamentseröffnung war vorüber und hatte so manchem der plötzlich entlassenen mißliebigen Fabrikarbeiter die bitterste Enttäuschung gebracht. Das Schriftstück war alten Datums gewesen. Wenige Jahre nach seiner Verheirathung war der Kommerzienrath mit dem Pferde gestürzt; die Aerzte hatten ihm und den Seinen nicht verhehlen können, daß Lebensgefahr vorhanden sei, und da hatte er eine letztwillige Verfügung getroffen. Dieses Dokument war sehr kurz und knapp abgefaßt gewesen, wie sich bei der heutigen Eröffnung herausstellt. Die verstorbene Frau Fanny war zur Universalerbin ernannt; auch war verfügt, daß das Geschäft verkauft werden solle, weil damals noch kein männlicher Erbe existirt hatte – Reinhold war erst ein Jahr später geboren. – Dieser letzte Wille war mithin nicht mehr rechtskräftig, und die beiden einzigen Erben, Margarete und Reinhold, traten in ihre unverkürzten, natürlichen Rechte.

Margarete war sofort nach dem Schluß des Eröffnungsaktes nach Dambach zurückgekehrt, „weil der Großpapa sie noch brauche.“ Reinhold dagegen hatte sich auf seinen Schreibstuhl gesetzt, hatte die kalten Hände an einander gerieben und dabei streng und finster wie immer die arbeitenden Komptoiristen gemustert. Seine Miene war unverändert – was auch hätte das Testament bringen können, das ihm die bereits ursurpirten Rechte auch nur um ein Titelchen zu kürzen vermochte? ... Und die Leute schielten ängstlich, mit gelindem Grauen nach dem unerbittlichen gespensterhaften Menschen, der den Platz des ehemaligen Chefs nunmehr vollberechtigt einnahm, und welchem sie auf Gnade und Ungnade für immer überantwortet waren. –

Es war in der vierten Nachmittagsstunde desselben Tages. Der Landrath war eben heimgekommen und die Frau Amtsräthin stand im Vorsaal, mit einer Verkäuferin um eine Henne

Stapellauf. 0 Nach dem Oelgemälde von Dieth. Meyer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_257.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)