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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

wenn die Frau nur denkt, es wäre geschehen, so ist’s ebenso gut. Es ist Euch wohl in die Glieder gefahren, Rosinchen? bleibt nur sitzen, ich werde schon alleine fertig. Aber nehmt Euch die Sache nicht allzusehr zu Herzen ... Ihr bekommt ihn ja doch – und es ist doch ein gar zu schöner Mensch … Habt Ihr ihn erst, so könnt Ihr es ihm schon ein wenig eintränken …“

Rosine erwiderte auf alles dieses kein Wort; ihre Gewohnheit von Kind auf war, wenn ihr etwas Aergerliches widerfuhr, ein eigensinniges, verstocktes Schweigen gewesen, in dem sie manchmal auf die besten Worte nicht Red’ und Antwort gab … „Sie mault,“ nannten es die Mägde, und man wußte, daß alsdann nichts mit ihr anzufangen war. Gertrud sah von der Seite zu ihrer Jungfer hinüber, wie diese auf dem Schemel saß, die etwas breiten Schultern in die Höhe gezogen, die große vorliegende Stirn geneigt, den für das volle Gesicht fast zu kleinen Mund fest zusammengepreßt und mit jener bösen dunkeln Falte zwischen den Brauen – und sie dachte: wenn der Bürgermeisterssohn die erst einmal hat, so büßt er alle seine Sünden ab – sie wird’s ihm manch liebes Mal siedend heiß machen!

Das ganze Haus hatte an diesem Tage von Rosinens böser Laune zu leiden, merkwürdiger Weise aber schien sich dieselbe bis zum Abend völlig erschöpft zu haben. Georg Tiedemars kam nach dem Abendbrot auf ein Stündchen hinüber, und Rosine war so freundlich und zuthunlich gegen den „Herrn Vetter“, so ganz verwandelt, daß man in diesem hellen, lächelnden Mädchengesicht mit den kindlich runden Wangen, vom köstlichsten Weiß und Roth angehaucht, das verdunkelte böse Antlitz von vorhin, vor Leidenschaft erblichen, gar nicht wiedererkannt hätte. Georg fühlte sich freundlich angeregt durch ihr Behaben; mit dem heimlichen Besitz seiner köstlichen Liebe im Herzen war er so schon der ganzen Welt gut. Das arme Rosinchen – wenn sie wüßte! aber ein so einfaches, harmloses Ding ahnte dergleichen nicht, und das war gut, und später – in einer Zukunft, über deren Form oder Nähe sich Georg zur Zeit noch auf keine Vorstellungen einließ – sollte ihr ja auch seine brave, trockene, bürgerliche Liebe und Treue gehören und so sicher bei ihr verharren, wie sie ihm gewiß alle Mittag ein ordentliches Essen auf den Tisch bringen und die gute Mutter kleiner draller Jörgen und Rosinen werden würde. Dazwischen aber lag für ihn noch eine Spanne – ob kurz oder lang, darauf kam es gar nicht an, dieselbe war nicht mit dem gewöhnlichen Zeitmaß zu messen – unbeschreiblichen, unbegreiflichen Glückes … eines Glückes, das trunken machte. Und in den Zauberkreis dieser Glückszeit war er gestern eingetreten!

Das war es, was seine Stimme so sanft machte, seinen Augen ein so eigenes Leuchten verlieh, als er jetzt in der Dämmerung der tiefen Stube dicht neben Rosinen auf dem hölzernen Sitze an der von den Fenstern entferntesten Wand lehnte. Die beiden Alten saßen auch im Gemache, kümmerten sich aber um die jungen Leute nicht allzuviel. Das war ja Georg’s gutes Recht, daß er nahe zu Rosinen rückte und ihr allerhand zu sagen hatte, was nicht jeder zu hören brauchte, etwa wie ihre Augen alle Tage klarer und schöner würden und daß ihr Haar eine Farbe habe, um welche die schönen Damen im Land Italia sie bitterlich beneiden könnten, und andere dergleichen Neuigkeiten, wie sie Rosine nicht ungern hörte, trotz des heimlichen Grolles, dem dadurch ein Theil der ersehnten Nahrung entzogen wurde. Aber wenn Rosinens Gefühl für Georg der Art war, daß Aerger, ja Ingrimm und Verliebtheit sehr wohl in demselben nebeneinander bestehen konnten und der eine Bestandtheil nur immer mehr Kraft aus dem andern zog, so haßte sie dagegen um so nachdrücklicher und mit ungetheilter Kraft die dreiste, abgefeimte Verführerin Georg’s, denn als etwas Anderes hätte Jungfer Rosine sich die Weberstochter nicht vorzustellen vermocht.

Das Gespräch, welches bisher nur mehr eine in halblauten Worten hin- und herspielende Tändelei der Beiden gewesen war, wendete sich jetzt auf den demnächstigen Einzug der fürstlichen Braut. Am Eingange der Schloßgasse sollte ein Ehrenbogen errichtet werden. Dort würde der Rektor der gelehrten Schule, Doktor Avenarius, die hohe Frau mit einem lateinischen Carmen begrüßen, eine nicht unpassende Anerkennung des Umstandes, daß die Dame dieser klassischen Sprache kundig war – nach dieser gediegenen und etwas umständlichen Huldigung aber sollten junge hübsche Bürgerstöchter das fürstliche Paar mit Blumenketten umwinden.

„Was meint Ihr, Georg, unter den Blumenjungfern würde sich unser Rosinchen nicht schlecht machen, wie?“ krähte hier Herr Külwetter, von seinem Lehnstuhle am Tische, dazwischen.

„Nun, wenn man die Schönsten wählt, wird man an ihr gewiß nicht vorübergehen,“ sagte Georg.

„Sie nehmen aber zunächst nur die Zunftmeisterstöchter,“ erklärte Rosine und warf die Lippen auf.

„Wie, möchtest Du denn wirklich dabei sein, Rosine?“ fragte Georg lächelnd. Er hatte sich, ihre Hand in der seinen haltend, voll zu ihr herumgewendet. Sie antwortete, nach ihrer Art, nicht gleich, hatte die Augen gesenkt und das Kinn auf die Brust geneigt. „In einer Art von öffentlicher Komödie mit zu agiren – könnte Dir das gefallen, Rosinchen?“ fragte er.

„Nun, die Frau Landgräfin, oder die es sein wird, agirt ja auch mit und ist sogar die Hauptperson dabei,“ war Rosinens keineswegs ungereimte Entgegnung.

Georg lachte. „Wenn ich nun eifersüchtig wäre und es mir nicht behagte, daß mein schönes Bäschen an einem solchen Tage aller Blicke auf sich zöge?“ sagte er, sie betrachtend, indem er mit einem ihrer Zöpfe spielte. Während ihr unter seinem Blick das Herz klopfte, war Georg sich nicht ohne Behagen der inneren Freiheit bewußt, mit der er fortfahren konnte: „Nein, verhüte Gott, daß ich Dir die Freude verderbe, Kind. Und es müßte wunderlich zugehen, wenn des Bürgermeisters liebe Anverwandte nicht bei diesem Feste ihren Platz unter den Vertreterinnen der Bürgerstöchter finden sollte, dafern ihr Sinn darnach steht. Und daß Du Dich nur schön machst – aber es ist ja noch eine ganze Weile hin bis zum Einzuge … die Gewerke haben noch vollauf zu thun bis dahin …“

„Ja, und es wird allenthalben mehr Geld vergeudet, als nöthig ist,“ meinte Herr Külwetter. „Will sich doch sogar das lumpige Volk vor dem Thore, die fremden Weberleute, mit einem Geschenk an die Herrschaft breit machen! Da begreife ich Deinen Vater nicht recht, Georg! wo er nur den fremden Betbrüdern einen Vortheil zuwenden kann, da thut er’s. Glaub’ mir nur, es wird ihm von der Bürgerschaft mehr verdacht, als er selber meint.“

„Der Vater weiß, was er thut, Vetter Külwetter,“ nickte Georg zu dem Alten hinüber … „Ich würde mir an Eurer Stelle kein graues Haar darüber wachsen lassen. Seid Ihr einmal Bürgermeister, dann probirt nur gleich das Kunststück, es einem Jeden recht zu machen.“

„Wie spitz der Junge gleich wird,“ lachte Herr Peter Külwetter vor sich hin. „Ich Bürgermeister – damit hat es gute Wege … und es hat mir auch noch nie nach der Ehre gelüstet. Zum Stadtregiment gehören studirte Herren, wie Du ja jetzt auch einer bist, Georg – und wenn ein solcher räth und betreibt, was über den gewöhnlichen Verstand geht, nun so tröstet sich der Bürger damit, daß das alles wenigstens nach den Regeln juris geschieht und daß die Stadt die Ehre, einen gelehrten Bürgermeister zu haben, sich schon was kosten lassen kann!“

Das war eine der kleinen Tücken, wie sie viel gescheitere Leute, als er selber war, zu ihrer eignen Verwunderung von dem Männchen mit dem flachgedrückten Kopfe und der spitzen Nase immer einmal hinnehmen mußten. Georg hatte keine Lust, die meist wohl durchdachten, immer aber energischen und klugen Maßregeln seines Vaters gegen den Gevatter Külwetter ferner zu vertheidigen, und ließ ihm daher das letzte Wort, um so mehr als Rosine jetzt mit schmeichelnder Stimme begann: „Der Vater kann die fremden Weber nun einmal nicht leiden. Erzähl’ Du mir ein wenig von ihnen, Georg – sie sagen ja, Du seiest so oft dort unten zu finden … Ist es denn wahr, daß sie so wunderliche Bräuche haben – mit Essen und Trinken – einen Hasen hätte einmal eine von den Frauen mit Haut und Haaren abgesotten – Gemüse wüßten sie gar nicht zu kochen, das sei ihnen hier etwas Neues gewesen, und nun brächten sie es nur in Wasser gebrüht, so daß der Kohl gallenbitter schmeckt, auf den Tisch, und, pfui Teufel, ich möchte nicht dabei sein! Hunde und Katzen ließen sie, nachdem Einer vorgebetet, um Gotteswillen mit aus der eigenen Schüssel essen.“

Rosine hatte etwas ganz Anderes sagen wollen, aber die Bosheit war gewissermaßen mit ihr durchgegangen, und jetzt fühlte sie sofort etwas wie eine Entfernung Georg’s. War er wirklich von ihr fort gerückt, hatte er nur den Zopf, mit dem er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_236.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2020)