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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 13.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Frau mit den Karfunkelsteinen.
Roman von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Herbert hatte unterdeß seine Nichte vermißt und durchschritt mit suchendem Blicke die Zimmerreihe. Er war im Ueberzieher und hatte den Hut in der Hand. Margarete blieb stehen, als er auf die Schwelle trat, und ihre Hände sanken langsam von den Schläfen nieder.

„Haben sie Dich so allein gelassen, Margarete?“ fragte er innig mitleidsvoll, wie sie ihn vor Jahren meist zu dem kranken Kinde Reinhold hatte sprechen hören. Er kam herein, warf den Hut hin und ergriff die Hände des jungen Mädchens. „Wie kalt und erstarrt Du bist! Das öde, düstere Zimmer ist kein Aufenthalt für Dich. Komm, gehe mit mir hinüber!“ bat er sanft und hob den Arm, um ihn stützend um ihre Gestalt zu legen; aber sie fuhr zurück und trat um einige Schritte von ihm weg.

„Meine Augen schmerzen,“ sagte sie hastig, erschrocken aus ihrer dämmernden Ecke herüber. „Das gedämpfte Licht thut ihnen gut nach der grausamen Helle im Flursaale. … Ja, hier ist’s öde; aber still, mitleidig still – eine wahre Wohlthat für eine wunde Seele nach so viel weisen Trostphrasen!“

„Es war auch manch gutgemeintes Wort darunter,“ begütigte er. „Ich begreife, daß das heutige Zusammenströmen von Menschen und die Prunkentfaltung Dein Gefühl verletzt haben. Aber Du darfst nicht vergessen, daß unser Verstorbener allezeit Gewicht auf derartige öffentliche Kundgebungen gelegt hat – die glänzende Todtenfeier ist ganz in seinem Sinne verlaufen. Das mag Dir ein Trost sein, Margarete!“

Er zögerte einen Moment, als warte er auf ein Wort von ihren Lippen; aber sie schwieg, und da griff er wieder nach seinem Hute. „Ich fahre nach der Bahn, den Onkel Theobald abzuholen. Er wird es besser verstehen, als wir Alle, erlösend zu Deinem verschlossenen Schmerze zu sprechen, und deßhalb bin ich froh, daß er kommt. … Aber muß es sein, daß Du mit ihm nach Berlin zurückkehrst, wie mir mein Vater eben sagte?“

„Ja, ich muß fort!“ antwortete sie gepreßt. „Ich habe selbst nicht gewußt, wie gut mir’s bisher in der Welt ergangen ist – man nimmt das schöne, glatt und ungeprüft verlaufende Leben hin wie das leichte Athemholen, um welches wir kaum wissen. Nun kommt zum ersten Male ein großes Unglück über mich, und ich bin ihm nicht gewachsen, ich stehe ihm fassungslos gegenüber – es hat eine furchtbare Macht über mich!“ – Sie war ihm unwillkürlich wieder näher getreten, und er sah, wie der mühsam verbissene Schmerz ihre Stirn furchte. „Es ist schrecklich, immer wieder ein und denselben Gedankengang durchlaufen zu müssen! Und doch habe ich nicht die Kraft, ihn abzuschütteln; ja, ich bin zornig auf Die, welche von außen her den Kreis unterbrechen. Und das wird hier nicht anders – darum muß ich fort. Der Onkel hat Arbeit für mich, strenge Arbeit,


Ein Beschützer. 0Nach dem Gemälde von K. Fröschl.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_205.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)