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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)


So geht es fort, bis die 58 Facetten des Brillanten fertiggestellt sind, bis er die gewünschte Form erhalten hat. Man sieht, wie jede dieser Operationen von der Geschicklichkeit derer, die sie vornehmen, in hohem Grade abhängig ist. Der Stein soll möglichst wenig an Gewicht verlieren und dabei die möglichst günstigste Form erhalten. Diese Form steht aber insofern nicht fest, als zuerst der Ausgangspunkt, die Basis ermittelt werden muß, und zwar auch mit Rücksicht auf die „Fehler“, die der Diamant hat. Die meisten Steine haben ja solche Fehler (auf zehn Diamanten kommt höchstens ein reiner) und sie müssen nun so geschliffen werden, daß nur der Kenner von dem Fehler etwas merkt.

Aber noch eine andere schwierige Aufgabe ist in der Diamantschleiferei zu lösen: das Spalten der Diamanten. Allgemein glaubt man zwar noch, der Werth des Diamanten wachse mit seiner Größe, und man wird deßhalb erstaunt sein zu erfahren, daß man die Steine mitunter spaltet. Mit dem Werthe großer Diamanten hat es aber heutzutage seinen Haken – sie finden keine Käufer. Namentlich ist das bei gelblichen Steinen der Fall, und da hier noch der bemerkenswerthe Umstand hinzutritt, daß die Spaltstücke heller erscheinen, als der ganze Stein, sodaß ihr Werth sich erhöht, so spaltet man größere gelbe Diamanten gegenwärtig fast immer. Dieses Spalten oder Klueven erfordert natürlich eine ganz eigene Kunstübung. Auch hier wird zuerst über die günstigste Art, den Stein zu spalten, nachgedacht, ja oft werden Abgüsse von demselben angefertigt, um mit der größtmöglichen Sicherheit über die Zerlegung der Steine bestimmen zu können. Das eigentliche Spalten geschieht dann mit Hammer und Meißel, und von deren Handhabung hängt es nun ab, ob das Etablissement einen Gewinn erzielt oder einen Verlust, der bei einem Steine leicht 1000 Mark betragen kann.

Die Werthe, mit denen hier gearbeitet wird, kann man sich leicht vorstellen. Die in Arbeit befindlichen Steine repräsentiren ein ganz gewaltiges Kapital, und bei der Kleinheit der einzelnen Objekte mag man ermessen, welche Vorsicht bei der Handhabung von Nöthen ist. Trotzdem kommt es wohl vor, daß auch ein kleines Steinchen verloren geht, ohne je wieder aufgefunden zu werden. Wer mag sagen, wohin es seine Wege genommen hat! Vielleicht hat es ein Arbeiter mit seinem Vesperbrote verschluckt. Bei meinem Besuche hatte ich das Glück, gerade einen der größten Diamanten in der Fabrik zu finden. Ein prächtiges Kleinod, das im rohen Zustande 105 Karat wog und roh einen Werth von cirka 40000 Mark hatte. Aber das ist nicht der erste große Stein, den die Gebrüder Houy schleifen. Ein Stein von der allerseltensten Schönheit war jener, der in Figur 2 in Naturgröße abgebildet ist. Er wog 24½ Karat, und das erste Angebot, das er erzielte, war 7800 Pfund Sterling. Ein anderer Diamantkönig, der gegen 65 Karat wog, wurde seiner gelblichen Färbung wegen gespalten, und zwar in sechs große und mehrere kleinere Steine. Der größte Stein, den Figur 1 und 3 in Naturgröße darstellen, wurde im Jahre 1880 geschliffen, und ihn hat auch Kaiser Wilhelm, der damals auf Schloß Philippsruhe zu Besuch weilte, besichtigt. Der Kaiser ließ sich die Gebrüder Houy vorstellen und erzählte, wie er selbst einmal und zwar auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 Diamanten schleifen gesehen habe, und wie es ihn nun freue, eine derartige Fabrik auch in Deutschland zu wissen. Er erkundigte sich dann um die Details der Bearbeitung und ließ sich auch den gerade in Arbeit befindlichen Diamantriesen zeigen. Um einen Begriff von dem Werthe desselben – er wog im geschliffenen Zustande 13513/16 Karat – zu geben, sei erwähnt, daß von den größten Diamanten der Welt der Kohinor 1061/16, der Regent oder Pitt 1367/8 und der Orlow 1943/4 Karat hat. Nur der Sultan von Matan auf Borneo soll die europäischen Kronen noch übertrumpfen. Er besitzt angeblich einen Diamanten von 367 Karat. Auch der von den Gebrüdern Houy geschliffene Stein gehörte einem ostindischen Fürsten.

So viel über das „Geheimniß“ der Diamantschleiferei. Man sieht – es ist wenig Geheimnißvolles dabei. Es bedarf nur einer besonderen Kunstfertigkeit, um den unscheinbaren Steinen, die auf den Diamantfeldern gefunden werden, jenes märchenhafte Feuer zu entlocken, das ich im Eingange dieser Zeilen als den eigenthümlichen ästhetischen Reiz des Brillanten bezeichnete. Die wenigen Räthsel des Betriebes einer solchen Schleiferei sind nun den Lesern auch enthüllt, und das Geheimniß, auf welches sich die Einführung dieser Industrie in Deutschland gründete, hat wohl jeder längst errathen: Fleiß, Geschick und Redlichkeit. Damit bringt man’s sicher zum Schleifer – wenn auch nicht immer zum Besitzer von Diamanten.


Das Ei des Columbus.

(Mit Illustration S. 193.)


Unbeschreiblicher Jubel herrschte am 15. März 1493 in dem spanischen Hafenstädtchen Palos; unter Glockengeläute zog die gesammte Einwohnerschaft nach dem Strande, die kühnen Seefahrer zu begrüßen, die vor sieben und einen halben Monat von hier ausgelaufen waren, um die größte Entdeckungsreise in der Geschichte der Menschheit zu vollbringen. Man jubelte, daß der neue Weg nach dem märchenhaften Indien und der Goldinsel Cipangu entdeckt worden, daß der Traum vieler Jahrhunderte in Erfüllung gegangen war, und ahnte noch nicht, daß die Wirklichkeit alle Phantasien früherer Zeiten weit überflügelte und durch Columbus für die europäischen Völker die Erde nun einen gewaltigen Welttheil größer geworden war. Daß an jenem Tage in Palos die Entdeckung der Neuen Welt zum ersten Male eingeläutet wurde, wer dachte damals daran? Am allerwenigsten der glückliche Genuese, der in einem Triumphzuge durch Spanien nach Barcelona zu dem königlichen Hoflager eilte. Vor den Thoren der Stadt ordnete er sein Gefolge und schickte voraus die sprechendsten Zeugen seiner That. Da schritten zunächst die ersten Indianer, welche Europas Boden betreten haben, in ihrem sonderbaren Nationalschmucke, ihnen folgten Leute, welche die Produkte der neuentdeckten Inseln trugen, und staunend schaute die Menge die goldenen Geräthe, die aus offenen Körben hervorschimmerten, bewunderte die schweren Baumwollballen und Kisten voll köstlichsten Pfeffers, sah die bunten Papageien auf 25 Fuß langen Rohren schaukeln, und forschte neugierig, aber vergeblich nach dem Namen der anderen sonderbaren Thiere, die bis dahin kein Gelehrter der alten Welt gekannt und beschrieben hatte. – Und hinter diesem märchenhaften Aufzuge ritt Columbus, von Rittern Spaniens umgeben! Kein Wunder, daß der König und die Königin von ihren Sitzen beim Eintritte des Triumphators aufsprangen, daß sie den an den Stufen des Thrones Niederknieenden sich zu erheben und sich zu setzen nöthigten.

Also hatte Columbus den Gipfel seines Glückes erreicht, aber so zuversichtlich der energische Mann in die Zukunft auch blicken mochte, die Erfahrung sollte ihm nicht erspart bleiben, die das Los aller Sterblichen bildet, daß Undank der Welt Lohn ist und daß erst nach dem Tode des Großen der Lorbeer seines Ruhmes die frischesten Blätter treibt.

Man erzählt, daß kurze Zeit nach jenem glorreichen Einzug in Barcelona Kardinal Mendoza ein Gastmahl zu Ehren des Columbus gegeben habe. Dem Gefeierten huldigte der Hof, und so waren Freunde wie Feinde bei der Tafel erschienen. Die Letzteren ärgerten sich im Stillen, daß ein Fremdling, der einst als hungernder Bettler an die Pforte des Franziskanerklosters Rabida geklopft hatte, dem stolzen Spanien diese Macht und diesen Ruhm gebracht. In ihrem Neid suchten sie das Verdienst Columbus’ zu schmälern und ihn nur als den glücklichen Abenteurer hinzustellen, der geschickt fremde Pläne auszuführen verstanden hatte. Und bei jenem Festmahle konnte einer der Höflinge sich nicht enthalten, dieser emporkeimenden Meinung lauteren Ausdruck zu verleihen. Er fragte listig den Admiral, ob denn das Werk, das er vollbrachte, wirklich so schwierig gewesen sei, und ob nicht ein Anderer, weniger Begabte dasselbe gleichfalls hätte erreichen können.

Da soll Columbus an ihn die Gegenfrage gerichtet haben, ob er ein Ei auf dem Tische aufrecht hinstellen könne. Man versuchte es hin und her, aber Niemand konnte die Aufgabe lösen, bis Columbus ein Ei ergriff, es hart auf die Tischplatte setzte, daß die Spitze einknickte und das Ei stehen blieb. Damit hatte er dem Vorwitzigen die beschämende Antwort ertheilt, daß es nicht genüge einen bestimmten Plan zu kennen, sondern daß man auch die Mittel und Wege genau wissen müsse, wenn man denselben ausführen will.

So berichten uns die späteren Chronisten in ihren Geschichten der Welt und fügen hinzu, daß sie diesen Vorgang nur durch Hörensagen wissen. Sie hatten auch guten Grund, sich zu entschuldigen, denn die Erzählung gehört einfach in die Kategorie jener historischen Anekdoten, die durch glückliche Berücksichtigung der Zeitverhältnisse gewisse Ereignisse in bündigster und populärster Form illustriren. Und in der That braucht man es nicht zu bedauern, daß die Fabel vom Ei des Columbus sich bis auf unsere Zeit erhalten hat, denn aus ihr haben wir schon in den Kinderschuhen von dem bitteren Unrecht erfahren, mit welchem das Verdienst des großen Entdeckers von seinen Zeitgenossen belohnt wurde.

Dasselbe Kunststück mit dem Ei haben schon Andere vor Columbus gekannt. So soll der Baumeister Filippo Brunelleschi, als er im Jahre 1421 nach Florenz berufen wurde, um den Bau des Domes Santa Maria del Fiore mit einer Kuppel abzuschließen, seinem neugierigen Rivalen dieselbe Eigeschichte aufgetischt haben. Sie drangen in den Künstler, daß er ihnen seinen Plan vorzeige, und er ersuchte sie in Gegenrede, ein Ei auf die Spitze zu stellen. Als sie dann, von ihm belehrt, ausriefen, daß sie es so auch hätten machen können, antwortete ihnen Brunelleschi lachend, sie

würden es auch verstanden haben, die Kuppel zu wölben, wenn sie sein

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