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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

„Ach Ida, wenn doch Alles so hübsch an Dir wäre, wie Deine Füße, dann ...!“ Er hielt inne, fühlend, daß ihm eine Unzartheit auf den Lippen schwebte. Reuig darüber, küßte er die Tochter zärtlich und vollendete:

„Ich liebe Dich ja so, wie Dich die Natur geschaffen hat. Aber mir blutet doch das Vaterherz, wenn ich sehe, wie wenig Du am richtigen Platze stehst und in der Werkeltagsarbeit aufgehst, tugendsam Dir Deinen Putz selbst anfertigst und Dich ehrlich abmühst, den Groschen in einem Haushalt zu sparen, wo der Thaler nicht geachtet wird. Ach, die vornehmen Aschenbrödel der Gesellschaft, sie erreichen nur sehr selten jene Belohnung, wie sie dem Urbilde im Märchen zu Theil wird! Es wird zwar auch ein Märchenprinz in unser Haus kommen, ein schöner junger reicher Graf, aber er wird wahrscheinlich an Dir vorübergehen, armes Kind, weil Du keine Märchenschönheit besitzest! Der Mann schätzt leider gewöhnlich das Verdienst beim Weibe nur, wenn es mit der Schönheit gepaart ist .... Daß Väter vom Ruin durch glänzende Heirathen ihrer Töchter gerettet werden, gehört wohl auch in das Reich der Romantik! .... Nun, laß es Dich nicht anfechten, meine tapfere Ida, wir wollen unsere Gedanken nicht länger an unnütze Dinge heften, sondern uns mit den Vorbereitungen zum Balle beschäftigen.“ Damit verließ der Graf das Gemach.

Ida aber sprang auf und eilte vor den großen Pfeilerspiegel hin. War sie denn wirklich so reizlos, daß der Märchenprinz auf jeden Fall an ihr vorübergehen mußte? Besaß sie denn wirklich gar nichts, womit sie ihn zu fesseln vermochte?

Gräfin Ida Hahn-Hahn hat in ihren späteren Romanen der weiblichen Schönheit begeistert Kränze geflochten. Ihre Lieblingsheldinnen - halb Madonnen, halb Helenen - pflegte sie immer mit siegender Aeußerlichkeit auszustatten. Daneben schilderte sie angenehm überzeugend die Häßlichkeit mit schöner Seele, die dennoch den Geliebten schließlich gewinnt. Doch nie erwähnt ihre Feder jenes Durchschnittsschicksal der Weiblichkeit, die fatale, uninteressante Mittelmäßigkeit der Reize – so oft sie auch sich selbst schilderte! Sie theilte ihren berauschenden Frauengestalten von ihrem Geist und ihrer Feuerseele mit, sie gab ihnen ihre Faustinennatur, aber nicht ihre Züge, nicht die eigene Statur. Nur die Grazie, die Eleganz und die Hände, „weißer Mull mit rosa Seide gefüttert“, sind wahrheitsgemäß. Und doch hätte die Gräfin wohl zufrieden sein können, denn sie soll in den Jahren der Reife, zwischen dreißig und vierzig, eine ganz bezaubernde, reizende Frau gewesen sein. Trotzdem verzieh sie es dem Schicksal nicht, daß es ihr die Gabe der Schönheit versagt hatte. Sie ähnelte darin ihrer berühmten Kollegin, Frau von Staël, durch deren ganzes Leben und sämmtliche Schriften die Klage über die eigene Reizlosigkeit wie ein zorniger Schmerzensruf klingt.

Der Pfeilerspiegel zeigte eine nüchtern-blonde Mädchenerscheinung mit schlanker, doch eckig magerer Figur. Die Stirn war viel zu groß und zu rund, die Nase stand etwas schief im Gesicht, was freilich ein Zeichen der Klugheit sein soll. Von den sanften blauen Augen der Comtesse schielte leider das eine, besonders wenn sie verlegen oder angegriffen war. Hauptsächlich fehlte aber jener Verklärungsschimmer, den die Jugend oft sogar über noch viel weniger hübsche Mädchengestalten ausgießt. Ach, und gerade ein Ball, wo das Vergnügen und die Wohlthat der Toilette selbst den fast Unschönen auf Augenblicke den Gürtel der Venus leihen, war für Ida leider ganz besonders unvortheilhaft, trotz der angeborenen Grazie ihrer Bewegungen und obgleich sie leicht wie eine Feder tanzte. Denn bei solchen Gelegenheiten spielte ihr das erregte junge „Blaublut“ lauter ärgerliche Streiche, es streute ihr entstellende Hitzflecke auf Stirn und Hals, und das heftige Echauffement löste ihre schönen blonden Locken – die weichen Haare der Intelligenz – frühzeitig in trübselige Verwirrung auf, dergestalt, daß die Comtesse schon nach den ersten Tänzen einer zerwehten Frühlingsblume zu ähneln pflegte. Und aufgelöste Locken waren damals ganz besonders mißfällig, denn man lebte im Stadinm des Glatten. Die Jugend trug den zierlichen Coeurscheitel, vorn entweder dicktoupirte kurzgesteckte Kanonenlocken oder langherabhängende sentimentale Schmachtlocken, letztere erhielten dann später in ihrer Ausartung den Namen „Korkzieherlocken“. Im Nacken band man das Haar empor und wand es um ein Drahtgestell. Das nannte man einen Hasenzopf; er war sehr schwer zu machen, namentlich übten zu weiche und schwere Haare die Unart, sich unbemerkt loszuziehen, dann schwebte das Drahtgestell wie ein leeres Vogelbauer sehr komisch einsam und allein auf der Spitze des Hinterkopfes.

Selbst die berühmten schönen Hände der Gräfin litten einst vom Schicksal der Jugend, indem die Hitze sie roth, die Kälte hingegen blau machte. Und der Reiz des Ungewöhnlichen fehlte noch ganz und gar, die später so gewandte Salondame, welche auf den Flügeln der Genialität die Welt durchreiste und auch namentlich durch den eigenartigen Zauber ihrer Persönlichkeit wirkte, sah in ihrer ersten Jugend wie ein unbedeutendes kleines Provinzmädchen aus, „ganz entsetzlich mecklenburgisch“, wie eine schlesische Schwester in Apollo von ihr gesagt haben soll.

Comtesse Ida war viel zu klug, um nicht einzusehen, daß sie leider sehr wenig besaß, was einen anspruchsvollen jungen Lebemann hätte bezaubern können. Es gefielen ihm vielleicht manchmal noch unschönere Frauen – hatte man ihr doch jüngst auf einem Hofball in Schwerin eine Dame gezeigt, mit welcher Erbgraf Friedrich im Gerede war, und die geradezu häßlich genannt werden durfte – aber die kämpften dann wohl mit anderen Waffen als eine bescheidene unschuldige Landcousine zu gebrauchen wagte. Einen Augenblick erlag das junge Mädchen jenem beschämenden Gefühl der Ohnmacht, welches die beste und solideste Frau empfindet, wenn sie merkt, daß es ihr versagt ist, mit ihren äußerlichen Mitteln einen Eindruck zu machen. Dann aber regte sich in ihr der Stolz des geistigen Uebergewichts, und eine gewisse Zuversicht breitete sich wie eine wohlthätige Hülle über ihr zagendes Gemüth. Wozu besaß sie denn ein erfinderisches Hirn? Weßhalb sollte man stets die Intrigue in das Reich der Poesie bannen? Ließ sich denn das Leben selbst nicht auch einmal umdichten? ...

Der traurige Ausdruck verschwand aus Ida’s Antlitz. Sie trat von dem Spiegel zurück und ergriff ihre Ballschuhe – der Schalk blitzte wieder aus ihren Augen – wahrlich, mit ihrem Kopfe – mit diesen Füßen – sie brauchte doch vielleicht noch nicht ganz zu verzweifeln!

*      *      *

Anderen Tages langte Erbgraf Friedrich Hahn-Basedow schon um zwölf Uhr Morgens an. Ida’s Vater hatte zu seinem Empfange ein Champagnerfrühstück besorgt und mehrere junge Kavaliere der Nachbarschaft dazu eingeladen.

Die Comtesse und ihre gräfliche Mutter machten als einzige Damen die Honneurs. Ida sah allerliebst aus im dunklen Hauskleide, ein weißes Latzschürzchen vorgebunden, der Zuschnitt der Häuslichkeit stand ihrem frischen Teint und ihrer mädchenhaften Figur vorläufig eben am besten. Der junge Erbgraf unterließ auch nicht, der neuentdeckten Cousine sofort zu huldigen, was aber im Grunde doch leider freilich von nur geringer Bedeutung war. Einmal konnte der Erbgraf überhaupt kein halbwegs niedliches junges Mädchen sehen, ohne ihr den Hof zu machen, zweitens war keine Rivalin vorhanden, und drittens hatte dem Erbgrafen aus Ida’s lebhaften Zügen jener Ausdruck entgegengeleuchtet, den kein Mann mißversteht. Die Comtesse nämlich, obgleich ja eigentlich nur erst die Knospe eines Weibes, theilte doch schon im vollsten Maße die wunderbare Vorliebe der geistreichen Frauen für flache Männerschönheit, und so hatte sie es nicht verhindern können, daß ihr der Vetter keineswegs um seines Reichthums willen allein gefiel, sondern daß bei seinem Anblick dieselbe Saite in ihrem Herzen wieder erklang, die sich schon einmal auf dem erwähnten Rennen in ihrer Seele geregt hatte.

Als die Frühftücksstimmung der Herren gar zu lebendig wurde, zogen sich die Damen zurück. Ida’s Mama bemerkte indeß zu ihrem Erstaunen, daß ihre Tochter die Thür des Eßzimmers geflissentlich nur anlehnte und offenbar auf das Gespräch da drinnen zu horchen beabsichtigte.

„Laß das,“ warnte die alte Gräfin, „was junge Herren beim Wein reden, taugt nicht für Mädchenohren.“

„Ei, ich muß Charakterstudien machen für meinen schriftstellerischen Beruf,“ entgegnete Ida, „die Herren Recensenten behaupten ja ohnedies, Frauenfedern schilderten nur Männerschemen und Männerschablonen, die Helden in weiblichen Romanen unterschieden sich nur durch die Bartfarbe von einander!“

Anfangs hörte die Lauscherin nichts, was sie interessirte. Jagdgeschichten wechselten mit kecken Anekdoten. Endlich kam man

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_120.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2021)