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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Bilder aus der Südsee.

Mit Illustrationen aus dem Museum Godeffroy in Hamburg.

Die bunte Völkerwelt der Südsee eilt mit raschen Schritten einer völligen Umwandlung entgegen. An hundert Orten sind längst vor dem Kreuze die fratzenhaften Götzen gewichen, an tausend Stellen hat das Gewehr die Lanze, die Klinge von Stahl das Muschelmesser verdrängt, und wie von dem großen Religionsmythus oceanischer Völker nur spärliche unzusammenhängende Bruchstücke erhalten blieben, so sind es auch nur Trümmer einer eigenartigen Kultur, die heute der Forscher in den Hütten des großen Inselgewirrs im Stillen Ocean findet. Wie gering auch jene Kultur gewesen sein mag, für die vergleichende Völkerkunde ist ihre genaue Kenntniß von hoher Bedeutung, da die Stämme der Südsee Jahrhunderte lang ohne jede Berührung mit anderen Erdtheilen geblieben sind und einen besondern Typus in der Völkerfamilie gebildet haben.

Aus diesem Grunde werden seit Jahren mit unermüdlichem Eifer große Sammlungen ethnographisch wichtiger Gegenstände in jenen Gegenden veranstaltet, damit für die Forschung noch das gerettet werde, was von jener eigenartigen „Kultur der Wilden“ übrig geblieben ist.

Auch die Museen Deutschlands bergen in reicher Anzahl jene sonderbaren Waffen und Geräthe, jenen originellen Schmuck und die Trachten der Oceanier, die in ihrer tropischen Heimath mehr und mehr verschwinden oder trotz der größten Bemühungen nicht mehr aufzutreiben sind.

Den hervorragendsten Platz unter allen derartigen Sammlungen nimmt unbestritten das Hamburger Museum Godeffroy ein, das schon im Jahre 1860 von J. C. Godeffroy, einem der Kaufherren der alten Hansestadt, gegründet wurde. In geschickter Weise wußte er die ausgedehnten Handelsverbindungen, die sein Haus mit den Südsee-Inseln unterhielt, für wissenschaftliche Zwecke auszunützen, regte seine in dem Stillen Ocean beschäftigten Kapitäne zum Sammeln an, sandte selbst wissenschaftlich ausgebildete Reisende nach jenen fernen Eilanden und schuf in einer Reihe von Jahren ein Institut, das nicht allein in Deutschland, sondern auch in Europa einzig in seiner Art dasteht.

Gegenwärtig, wo die Südsee-Inseln endlich in den Bereich der deutschen Kolonisation gezogen wurden, verdient dieses Museum eine besondere Beachtung, und wir wollen im Nachstehenden versuchen, an der Hand unserer den reichen Hamburger Sammlungen entlehnten Abbildungen einige charakteristische Züge aus dem Leben der Oceanier unsern Lesern mittheilen, die als Ergänzungen der früheren Berichte von Dr. O. Finsch gelten mögen.

Die Wilden der Südsee erfreuten sich vor etwa hundert Jahren einer besonderen Sympathie vieler europäischer Schriftsteller. In einer sentimentalen Anwandlung pflegte man diese reinen Naturkinder zu verherrlichen als den Gegensatz zu den verdorbenen und schuldbeladenen Söhnen der europäischen Civilisation. Die unbefangene Forschung hat diesen Wahn längst zerstört, sie hat gezeigt, daß die Sittlichkeit jener Naturkinder auf einer tiefen Stufe stehen geblieben war, die mit einer moralischen Versunkenheit zu vergleichen ist, und unter den Lastern, die dort das Bild des Menschen verzerren, mußte sie die grausame Sitte des Kannibalismus obenan stellen. Nirgends in der Welt war dieselbe so weit verbreitet und so fest eingewurzelt, wie auf den Inseln des Stillen Oceans, und trotz aller Bemühungen der Missionäre und der weißen Händler ist sie bis jetzt noch nicht vollständig ausgerottet. Namentlich auf den Viti-Inseln trieb sie ihre scheußlichsten Blüthen, und hier ist auch das Unerhörte geschehen, daß nichtswürdige Weiße, die vor langen Jahren von den Insulanern das kostbare Sandelholz eintauschen wollten, kein Bedenken trugen, Jagd auf Eingeborene zu machen und das Gelüst der Wilden nach Menschenfleisch befriedigen zu helfen.

Duck-Duck-Tänzer.

In die Entstehungsgeschichte des Kannibalismus vermochte selbst die neueste Forschung kein Licht zu bringen. Wohl ist es möglich, daß der Mangel an größeren Säugethieren – nur das Känguru und das Schwein sind von größeren Arten hier vertreten – den Menschen dazu getrieben hat, den unwiderstehlichen Fleischhunger mit Menschenfleisch zu sättigen. So viel steht aber auch fest, daß diese Unsitte mit der Religion jener Völker im engsten Zusammenhang steht und daß ferner Menschenfleisch wenigstens in unsern Tagen nicht aus Noth, sondern aus Gourmandise verzehrt wird. Menschenschlächtereien bilden Feste im vollsten Sinne des Wortes, Feste, die vom religiösen Nimbus umgeben werden. Auch dürfte der Aberglaube, daß die guten Eigenschaften des Opfers auf denjenigen übergehen, der dessen Fleisch genossen, viel zur Erhaltung des Kannibalismus beigetragen haben. – Eins unserer Bilder zeigt uns einen Tempel der Eingeborenen, die Bure zu Lega, gelegen am Wairikifluß auf Viti Levu, dessen Name deutsch „Wohnung des Geistes“ lautet. Es war ein grausamer Gott, der dort hauste, der unaufhörlich Menschenopfer verlangte und dessen Tempel den Mittelpunkt des Kannibalismus bildeten. Der Reisende Theodor Kleinschmidt, der im Jahre 1881 von den Eingeborenen auf Utuan in der Duke of York-Gruppe erschlagen wurde und von dem die Skizze des oben erwähnten Tempels herstammt, berichtet, daß in diesen „Gotteshäusern“ die Zahl der abgeschlachteten und verzehrten Opfer durch Aufstellen nach oben abgerundeter Steine markirt wird. Er selbst hat in einem derselben gegen 60 dieser Steine gezählt, andere Berichte melden dagegen, daß in dem größten Tempel über 840 steinerne Zeugen der Gräuelthat errichtet waren. – An gleich grausame Sitten erinnert uns die nebenstehende Abbildung, welche die Duck-Duck-Tänzer darstellt. Der Duck-Duck ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 084. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_084.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)