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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Haut, die Muskeln, das Nervensystem, die Fortpflanzungsorgane verhalten sich in entsprechender Weise, der Darm dagegen zeigt sich wesentlich verschieden; es ist ein gerades, mit öliger Flüssigkeit gefülltes, oben und unten geschlossenes Rohr ohne Mund und After. Das Würmchen nährt sich nur durch Austausch und Aufsaugung der Flüssigkeit, in welcher es schwimmt, ähnlich wie der Bandwurm, bei welchem sogar jede Spur eines Darmkanals verschwunden ist. Man kann sagen, daß die meisten Eigenthümlichkeiten, durch welche der Bau des winzigen Männchens von demjenigen des riesigen Weibchens sich unterscheidet, einerseits auf Erhaltung von Charakteren des Jugendzustandes, der Larve beruhen, wie z. B. das Fehlen des Rüssels, andrerseits und großentheils aber Wirkungen des Schmarotzerthums sind, in welchem das Männchen die größte Zeit seines wahrscheinlich kurzen Lebens verbringt. Es schwimmt nur kurze Zeit als Larve umher; dann heftet es sich an die Außenseite des Rüssels der älteren, reifen Weibchen an dessen Wurzel an und gleitet von dort aus in den Eibehälter, nachdem es längere Zeit in dem Munde und Schlunde des Weibchens sich aufgehalten und dort seine letzten Metamorphosen überstanden hat. Successive und fortschreitende Rückbildung der meisten Organe, einseitige Ausbildung der Fortpflanzungsapparate sind die gewöhnlichen Folgen des Schmarotzerthums, und wir sehen diese auch bei dem Männchen der grünen Bonellie deutlich ausgeprägt.

(Schluß folgt.)




Kleine Blumen, kleine Blätter.

Allerlei Schelmenweisheit von Edwin Bormann.


 Getrost!

Kommt dir auch manchmal ein leises Beben,
Tritt, liebe Seele, nur tapfer ins Leben
Und lasse die Augen munter schweifen,
Auf daß du lernst die Welt begreifen!
Und meine nicht, hast du was Bittres vernommen,
Es müsse dein Herz gleich zu Schaden kommen.
Denn Verstand und Herz, sie sind nimmer zu trennen;
Lerne getrost nur die Dinge erkennen,
Und ehe du’s ahnst, erblüht im Gemüthe
Dir heimlich die Blume Herzensgüte.


 Lesefrucht.

’s ist mit dem Lesen ein eigen Ding.
Sagt, ob’s euch nicht oft grad so ging:
Was gar so einfach, klar und schlicht,
Dünkt erst uns was Besondres nicht;
Und doch ist’s gerade das gewesen,
Was dann nur wieder und wieder gelesen.
Warum? – Ei drum, weil’s eben gar
Warum? ESo schlicht und klar.


 Zum Kapitel der Weltklugheit.

Wer allzuleicht vertraut der Welt,
Wohl manchmal in die Dornen fällt.
Wer aber, daß ja ihm kein Leids geschieht,
Voll Mißtraun auf all’ und jedes sieht.
Der meint, wer weiß wie klug zu sein,
Und – bettet sich gleich in die Dornen hinein.


 Doch und Wenn.

Da giebt es Leutchen - mit glühenden Worten
Loben sie allzeit uns allerorten;
Aber was es auch immer mag sein,
hinkt noch ein „doch“ und ein „wenn“ hinterdrein.

Und strahlte die Sonne im himmlischen Blau
Vom Morgenduft bis zum Abendthau –
Ihr volles Lob würde sie doch erst verdienen,
Wenn sie noch ein wenig schöner geschienen.


 Humor und Satire.

Fast dünkt’s mich ein Majestätsverbrechen
In einem Athem sie auszusprechen.
Denn wo die Satire sich blicken läßt,
Da welkt das Gras wie vom Hauche der Pest;
Doch Rosen streut auf all seinen Pfaden
Humor, der lächelnde König der Gnaden.


 Im Schritt.

Fehlen zum Fluge dir die Schwingen,
Versuch’s im Schritt ans Ziel zu dringen
Und laß es dir zum Troste sein:
Erkämpftes Gut ist doppelt dein!


 Manneswort.

Der steht ein Mann vor Männern da –:
Zu froher That ein freudig Ja;
Doch will’s die Zeit, und muß es sein –
Doch will’s dEin kräftig Nein!




Lotti.

Skizze von Max Bernstein.

Liebst du die Kinder? Wenn du sie nicht liebst, dann kennst du sie nicht. Dann hast du eine ganz falsche Meinung von ihnen.

Da ist zum Beispiel die kleine Lotti. Ein schönes Kind, mit ihren losen, langen dunklen Haaren, die immer so ungeduldig hin und her geschleudert werden, wenn sie das Trotzköpfchen schüttelt; mit ihren tiefen dunklen Augen, die eine besondere Fähigkeit besitzen, versteckte süße Sachen auszufinden; mit ihrem rosigen Mündchen, dem diese süßen Sachen so gut schmecken, und das sich zum Schmollen und Weinen verzieht, wenn man sie ihm nicht geben will.

Also – wird Einer sagen – ein unartiges, unleidliches Kind!

O nein! Nur ein kindliches Kind; ganz wie sich’s gehört. Der liebe Gott weiß schon, warum er das so eingerichtet hat, daß die Kinder eben – Kinder sind, daß sie manchmal unartig sind und gern naschen und gern fragen …

Das Fragen! Das verstand Lotti. Es machte ihr Spaß. Sie wollte Alles wissen. Sie frug immer. Oft wartete sie die Antwort gar nicht ab. Denn ehe die kam, fiel ihr schon wieder etwas Anderes ein. Dann plapperte sie ... immer zu, immer zu ... aber es hörte sich hübsch an. Sie war lieb und klug.

So klug war sie freilich nicht, daß sie während des Gewitters keine Angst gehabt und allein in der Kinderstube ausgehalten hätte.

Die Mama war gleich nach Tisch ausgegangen, zu Besuch: die Magd war auch nicht da. Es blitzte und donnerte in Einem fort.

Einen Apfel in der linken Hand – den ließ sie trotz aller Augst nicht los – schlich sie aus der Stube, durchs Wohnzimmer, bis zu dem Zimmer, wo der Papa immer schrieb.

Er schrieb auch jetzt. Es war ein Abschiedsbrief – an das Leben. Er war ein reicher junger Kaufmann. Aber damit war es seit einer Stunde vorbei. Er hatte guten Freunden helfen wollen. Die guten Freunde hatten ihn belogen. Sein Reichthum war dahin. Auf dem Tische vor ihm lag das Telegramm, welches ihm sagte, daß er ein Bettler sei. Deßhalb war

er, mit seinen dreißig Jahren, nun nicht mehr jung. Seit einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_082.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2023)