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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mit anzusehen,“ sagte sie. „Wie Du krank warst, da hat das schöne Mädchen dort auf dem Gange gar manchmal stundenlang auf mich gelauert, weil ich ihr immer sagen mußte, wie es gerade um Dich stand. In den Hof ’runter gekommen ist sie kein einziges Mal, so lange sie auch dagewesen ist – du lieber Gott, freilich, Dein Papa und die Großmama sind stolze Leute und leiden keine Zuthulichkeit und Dreistigkeit – nun aber heute in aller Frühe, wie ich das Kaffeewasser am Brunnen holte, da kam sie über den Hof her, schon im Schleierhut und mit der Reisetasche, und blaß wie der Tod und konnte aus keinem Auge sehen vor Weinen, weil’s ja gerade fortgehen sollte in die weite Welt. Und sie sagte, ich sollte Dich vieltausendmal grüßen und Dir das geben.“

Sie zog die Hand unter der Schürze hervor und legte ein kleines, weißes Packet auf den Gartentisch – jubelnd zog die Kleine ein gesticktes Margaretentäschchen aus dem Papier.

„Still, still, Gretchen – mußt nicht so schreien!“ mahnte Bärbe. „Das war gar eine eigene Geschichte heute früh, und schön war’s nicht von der Frau Amtsräthin, nein – ‚Alles was recht ist‘, sag’ ich immer! ’s ist ja doch kein Unglück, wenn der junge Herr Herbert auch gerade in dem Moment mit seinem Trinkglas ’runter an den Brunnen kommt, wie er es ja jeden Morgen die ganzen letzten Wochen gethan hat! Er sah ganz krank aus, wie eine Leiche, und kam auf das Mädchen zu – ich glaube, er hat ’was sagen wollen, vielleicht ‚glückliche Reise‘, oder sonst eine Höflichkeit; aber da stand auch schon die Frau Amtsräthin da, hat noch das Nachtmützchen aufgehabt, und der Schlafrock hat ihr um den Leib gehangen, als ob sie geradeswegs aus dem Bette hineingefahren sei, und Augen hat sie gemacht, als wollte sie das Mädchen aufspießen. Die hat sich aber nur tief vor ihr verneigt und ist zu ihren Eltern gegangen, die im Thorweg auf sie gewartet haben – weißt Du, Gretchen, unsere Frau Herzogin kann sich nicht stolzer und vornehmer haben, als die Malerstochter, von der Schönheit gar nicht zu reden; und es kann wohl sein, daß das Stolze an ihr Deine Großmama geärgert hat, denn eh’ ich nur recht wußte wie, hat sie das Papier in meiner Hand aufgerissen und hineingeguckt.

‚Fürs Gretchen ist’s, Frau Amtsräthin!‘ sag’ ich.

‚So?‘ sagt sie ganz laut und böse. ‚Wie kommt denn Fräulein Lenz dazu, meiner Enkelin ein Andenken zu schenken?‘ Und das hat das arme Mädchen noch in ihre Ohren hineingehört und Vater und Mutter auch ... Und den jungen Herrn hat’s gerade so gedauert wie mich – er hat schreckliche Augen gemacht und ist ins Haus gestürmt ... So, das war die Geschichte, Gretchen! Die Frau Amtsräthin wollte mir zwar das Packetchen partout wegnehmen, aber ich hab’ Fersengeld gegeben und Fräulein Sophie sagt, sie sähe gar nicht ein, warum Du das Täschchen nicht tragen solltest.“

Sie ging wieder in ihre Küche, und die kleine Margarete sann und grübelte. Das Herz that ihr weh, und Zornesthränen stiegen ihr auf, weil die guten Leute im Packhaus gekränkt worden waren. Und Bärbe hatte Recht, Herbert sah ganz anders aus, so blaß und so schrecklich ernsthaft; er sprach mit Niemand mehr, nicht einmal mit Reinhold, der doch sein Liebling war. Ja, die Großmama! Sie konnte manchmal so furchtbar strenge Augen machen, und davor fürchtete sich der große Primaner Herbert auch – das hatte die Kleine wohl bemerkt ... Aber es half doch Alles nichts, und wenn die Großmama noch so sehr zankte und noch so schlimme Augen machte, sie trug das Täschchen doch, sie trug es alle Tage, auch wenn einmal der Papa von seiner Reise zurückkam und sie ausschalt; denn stolz war er, der Papa, vielleicht noch schlimmer als die Großmama; das hörte man an seinem barschen Ton, wenn er Befehle gab, und außerdem sprach er nie mit den Arbeitern, die unter ihm standen. Auch die Malersleute waren ihm zu gering; er sah immer so aus, als wisse er gar nicht, daß Jemand im Packhaus wohne, und auf dem offenen Gange mochte sein, wer wollte, er grüßte nie hinauf. An dem Unglücksabend war er ja auch nicht in das Haus gegangen und hatte lieber im dunklen Hofe gewartet, bis sie herausgebracht worden. Nur während ihrer Krankheit hatte er nicht so stolz ausgesehen; sie hatte ihm sogar, als es besser mit ihr ging und er allein an ihrem Bett gesessen, von der hübschen Stube im Packhaus erzählen dürfen und von dem schönen Mädchen, wie es so weiß und mit offenem Haar vom Gange hereingekommen, wie es ihren Kopf so fest an die Brust gedrückt habe, daß ihr das weiche, dicke Haar ganz schwer über das Gesicht gefallen sei. Und da hatte der Papa gar nicht gezankt – er war ganz still gewesen; er hatte sie auf die Stirn geküßt und gerade so fest an sein starkpochendes Herz gedrückt, wie es die schöne Blanka gethan. Und darüber verwunderte sie sich heute noch ...


7

Die Stadt B. war nicht die Residenz des Landes; aber ihre schöne, gesunde Lage machte sie zum bevorzugten Sommeraufenthalt des regierenden Herrn, trotzdem das Schloß, auch in seinem Aeußeren nichts weniger als imposant, für eine größere Hofhaltung kaum den nöthigen Raum bot ... In den letzten drei Jahren übrigens machte sich „das nahe Zusammenrücken“ der Sommergäste im Schlosse nicht mehr so nöthig – die beiden schönen Prinzessinnen waren, kaum dem Kindesalter entwachsen, weggeholt worden und hatten, selbst für Prinzessinnen, glänzende Partien gemacht, und der Erbprinz befand sich auf Reisen.

Ob nun bereits der Wonnemond durch weiche Lüfte und süße Düfte seine köstlich klingende Bezeichnung verdiente, oder ob er, noch über liegengebliebene Schneefelder der Berggipfel einherziehend, einen rauhen Aprilathem in die letzten, zum flachen Land auslaufenden Thäler des Thüringer Waldes hineinblies, gleichviel – pünktlich mit dem fünfzehnten Mai rückte alljährlich die Wagenkolonne aus der Residenz in das hübsche B. ein, und bald darauf sah man die Schlöte des Schlosses gastlich dampfen, die wohlbekannte Livrée der herzoglichen Bedienten tauchte in den Straßen auf, und vor den vornehmsten Häusern hielt dann und wann eine Equipage – die Hofdamen machten Besuche. Auch das Lamprecht’sche Haus war eines der wenigen bürgerlichen, denen diese Auszeichnung widerfuhr – die Frau Amtsräthin Marschall war heute noch so wohlgelitten bei Hofe wie vor zehn Jahren; denn volle zehn Jahre waren verstrichen seit jenem unglückseligen Bleichtag, an welchem die kleine Margarete aus Furcht vor dem Institut nach Dambach gelaufen war.

Die herzogliche Gnadensonne bestrahlte selbstverständlich auch Alles, was der alten Dame verwandtschaftlich nahe stand; so zum Beispiel wurde jetzt die Firma Lamprecht u. Sohn durch einen Kommerzienrath repräsentirt, den einzigen der Stadt B., denn Serenissimus kargte sehr mit diesem Titel-Geschenk. Herr Balduin Lamprecht war auch gegen die seltene Anszeichnung durchaus nicht unempfindlich; seine Geschäftsfreunde behaupteten, er trüge seine Nase so hoch, daß kaum noch mit ihm auszukommen sei. Früher habe er doch wenigstens verbindliche Manieren gehabt, aber auch die seien untergegangen in einem abstoßend finsteren Hochmuth. Seit Jahren hatte ihn Niemand lächeln sehen. Er reiste viel in Geschäften und war thätig wie kaum in den ersten Jahren seiner Selbständigkeit; aber wenn er heimkam, da wurde es förmlich dunkel im Hause, da sanken die Stimmen der Untergebenen zum Flüstern herab, in Aller Mienen lag ängstliche Spannung, und die Fußtritte klangen gedämpft, als fürchte Jedes, einen in irgend einer Ecke lauernden bösen Geist aufzuscheuchen. „Die leidige Hypochondrie – ein Lamprecht’sches Erbstückchen!“ sagte achselzuckend der Hausarzt im Hinblick auf die düstere Stimmung des Heimgekehrten, der sich oft tagelang einschloß. „Tüchtig Wasser trinken und Holz sägen, das wäre am Platze!“ Und die Frau Amtsräthin nickte eifrig mit dem Kopfe dazu – einzig und allein das alte Erbübel war’s – sonst absolut Nichts! – Tante Sophie aber lächelte ingrimmig, wenn ihr dieser salomonische Ausspruch zu Ohren kam. „Ja wohl, sonst absolut nichts!“ pflegte sie ihn ironisch zu bekräftigen. „Beileibe nicht etwa das Bischen Sehnsucht nach einem richtigen Familienleben – ei bewahre! Der Mann muß ja Gott danken, daß er einmal vor so und so viel Jahren eine Frau gehabt hat, und kann nun bis an sein seliges Ende von der Erinnerung zehren ... Der Fanny muß doch die letzte Bosheit der seligen Judith gar zu gut gefallen haben, weil sie’s gerade so gemacht hat. Na meinetwegen, ich wollte nichts sagen, wenn sie dem armen Kerl, dem Wittwer, wenigstens ein paar stramme Buben hinterlassen hätte; aber der Reinhold, das Angstmännchen – du lieber Gott, dem sah man’s ja schon im Wickel an, daß es irgendwo haperte!“

Reinhold Lamprecht war in der That das Angstkind des Hauses verblieben. Er litt an einem Herzfehler, der ihm jede

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