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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

No. 14.   1884.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Salvatore.
Napoletanisches Sittenbild. Von Ernst Eckstein.


Es war ein Herbsttag in den zwanziger Jahren. Am Hafen der Insel Capri herrschte ein dichtes Gedränge. Mit ausgespannten Segeln kam das große napoletanische Marktschiff über den Golf, – nur noch wenige hundert Ellen von der Stelle entfernt, wo es ankern sollte.

„Nun, Zingarella,“ wandte sich ein weißbärtiger Fischer zu dem schlanksten und schönsten der jungen Mädchen, die zuvorderst am Saume der sanft verschäumenden Brandung standen, – „Du machst uns ja kein sonderlich vergnügtes Gesicht, – gar nicht wie eine Braut, die den Liebsten erwartet! Oder bleibt Dein Salvatore noch bis Ende des Monats?“

„Nein,“ versetzte das Mädchen; „er kömmt.“

„Dann begreife ich nicht ... Was besagt dann die Falte da zwischen den Augenbrauen? So juble doch, Zingaralla, wie Du damals gejubelt ...“

„Ich heiße Maria,“ fiel sie ihm schroff in die Rede, – „und ob ich nun hier vor den Leuten albern thue mit Lachen und Fröhlichkeit, oder nicht – das wird Euch wohl keinen Kummer bereiten.“

„Schaut’s da heraus?“ brummte der Fischer. „Schon lang’ hab’ ich’s läuten hören, daß die schöne Maria sich besser dünkt, als die Andern, weil der stolze Apulier sie zur Gattin begehrt! Eine gewaltige Ehre! Und die ‚Zingarella‘ verbittest Du Dir? Nun, nichts für ungut, Maria! Hat doch Dein unvergeßlicher Vater selbst Dir den Beinamen zugelegt, weil Du als Kind mit Deinem kohlschwarzen Haar und Deinem sonnverbrannten Gesichtchen recht aussahst, wie eine wilde Zigeunerin! Seitdem hast Du Dich freilich verändert: das wirre Haar wird sorgsam gestrählt und geflochten und mit Blumen geschmückt, und Dein Antlitz ist heller geworden und schöner, – aber im Herzen bist Du nach wie vor die unwirsche Zingarella. ’S ist doch toll, meiner Treu’, wenn ich, ein Siebziger, und noch dazu Dein Verwandter, nicht ’mal das Recht haben soll, Dich anzureden, wie mir der Schnabel gewachsen ist, und Dich um Dinge zu fragen, die ... die ...“

„Nun – die ...?“ wiederholte das Mädchen herausfordernd.

„Die aller Welt hier zu denken geben! Ja, wirf mir nur Blicke zu, als sollte ich gleich in den Boden sinken! Da es denn doch ’mal zur Sprache gekommen, so magst Du’s hören: Deine Liebschaft mit dem Apulier hat böses Blut gemacht auf der Insel. Zur Fischerstochter paßt nicht der fremde Schreiber, der auf ehrliche Leute, wie wir, vornehm herabsieht, obgleich Keiner hier weiß, was er eigentlich ist oder treibt. Viel mag’s nicht sein, sonst hätte er wohl, bei seiner großen Verliebtheit, längst Anstalt gemacht zur Heirath. Aber das kömmt davon, wenn Einer die Ketzer in’s Haus läßt! Seit der Engländer von damals Dich das Lesen und Schreiben gelehrt und Dir Bücher geschenkt hat, in denen allerlei thörichtes Zeug stand vom Laufe der großen Welt und den Geschicken der Völker, seitdem hast Du aufgehört, eine echte Tochter von Capri zu sein. Und wie der Apulier nun kam –“

„Genug, Silvio!“ unterbrach ihn Maria. „Wenn man nicht wüßte, weshalb Ihr Euch so hineinredet, man sollte glauben, ich hätte an Euch und allen Capresen gefrevelt, wie eine Landesverrätherin. Aber ich kann Euch nicht helfen: Euer guter Alberto ist kein Gatte für mich, und er muß sich drein finden.“

„Kein Gatte für Dich? Und warum nicht? Was mich betrifft – daß Du’s nur weißt, Zingarella – ich bin durchaus nicht böse darüber ...! Dich, die Leidenschaftliche, Unstäte als Schwiegertochter im Hause – das wäre mir altem Manne wohl die Hölle auf Erden! Aber wenn Du behauptest, er sei Deiner nicht werth – ei zum Henker, so sage mir doch, durch welche Vorzüge der Apulier ihn aussticht? Höchstens durch allerlei verrückte Ideen, durch phantastische Pläne und Einfälle, die an’s Narrenhaus grenzen! Und Dich hat er auch schon toll gemacht mit seiner unheimlich–gespenstischen Art! Ja, ja, man hat so seine Quellen, Maria! Im Uebrigen – schön gewachsen und stattlich ist mein Alberto, so gut wie er, – dazu eine Seele wie Gold, und ehrlicher Leute Kind, während Dein Salvatore ...“

„Laßt mich zufrieden!“ sagte Maria gekränkt.

„Ein Findelkind!“ lachte Silvio. „Und nun dieser unglaubliche Stolz, dieser fiebernde Ehrgeiz! Geh’, Maria, Du selber fühlst Dich bei der Komödie nicht wohl; Du beginnst einzusehen, daß er mit seiner glatten Verführerzunge Dir Allerlei vorgelogen, was er niemals erfüllen wird, – und deshalb blickst Du so finster, während das Schiff, das ihn bringen soll, fast schon im Hafen liegt!“

„Wie wenig begreift Ihr mich!“ versetzte sie mitleidig.

„Aber ich bitte Euch, Silvio!“ legte sich jetzt eines der jungen Mädchen ins Mittel. „Ihr solltet Euch schämen, so hinterrücks für Euren Alberto um Liebe zu werben – als wäre er Einer von Denen, die es nöthig haben! Der findet Zwanzig für Eine! Na, und was die finsteren Blicke der Zingarella betrifft und das Stirnrunzeln, so könntet Ihr wissen, Silvio, daß

dies von je ihre Art ist, wenn ihr Wichtiges und Großes bevorsteht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_225.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2021)