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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Tänzer sich zeigen konnte. Und Herr Fischer zeigte sich. Er drehte sich und riß Barbara an den Armen, daß die Frauen sich wunderten, da ihr derselbige im Gelenk blieb, hob sie in die Luft, daß Alle ihrer Noth sich herzlich erbarmten, und trieb sie im Kreise um gleich einem Bären. Endlich kam er in’s Stolpern und riß seine Tänzerin mit nieder, daß sie wie ein Häuflein braunen und blauen Tuches dalagen.

Die Zuschauer lachten und halfen beiden nach altem Brauch, Barbara wurde an die Gera geführt und ihr die blutrünstige Stirn abgewaschen, und Nicolaus in den Keller, wo er einen Krug Weizenbier auf den Schrecken trank. Darauf zog er zu neuen Thaten aus. Diesmal ließ er sich nicht beirren, er pustete auf Johannen zu. Sie wollte ihm ausweichen; aber er zog sie in den Kreis und hieß die Spielleute anheben.

Doch im selben Augenblick war Hermann auf dem Plan. „Laß unsere Hanne in Ruh!“ rief er und stieß Fischer zurück, indem er vor das junge Mädchen trat.

„Wer hat sich schon mit Dir gedutzt?“ schrie Fischer und suchte das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. „Du hast mich zu ihrzen.“

„Wir haben auf derselben Schulbank gesessen,“ antwortete Hermann, „ich der Oberste, Du der Unterste, und Schulkumpane nennen sich Du in Arnstadt.“

„Er hat Recht,“ riefen die jungen Burschen, deren grobe Röcke und schmale Bänderbesätze die armen Schutzbürger bezeichneten, und schaarten sich um Hermann.

„Ich verlange einen Capriolentanz mit der Jungfer Henningin,“ schnaubte Fischer, um den die Söhne der großen Bürger sich sammelten.

„Sie verweigert ihn Dir, weil Du wohl bezecht bist, derohalb unziemliche Sprünge machst und der Jungfer Brotkorbin die Haube abgerissen hast,“ entgegnete Hermann.

„Bist Du ihr Vormund?“ brüllte Fischer. „Du bist der Lumpenvogt in der Papiermühle.“

Die Brauherrensöhne stimmten ein wieherndes Gelächter an. Doch im nächsten Augenblick taumelte Fischer zurück. Hermann hatte mit der geballten Faust einen Schlag auf den schimpfenden Mund geführt, daß das Blut danach sprang.

„Haut den Habenichts nieder!“ schrieen Fischer’s Gefreunde und drangen auf Hermann ein.

Aber die Schutzbürger waren auch nicht faul. „Wartet, Ihr aufgeblasenen Faucher! Euch soll der Pust vergehen!“ riefen sie. Und nun hieben Alle mit Fäusten und Bierkrügen los. Denn Faucher war der Spitzname für die großen Bürger, der sie allezeit für Wuth sinnlos machte. Kreischend stiegen die Frauen auf Tisch und Bänke, sich zu retten und zu schauen so viel als möglich war.

„Spielt den Großvatertanz auf!“ riefen sie den Stadtpfeifern zu. „Vielleicht löst die Tanzlust die Rotte auf.“

Aber den Feldtrompeter erfaßte die alte Streitlust. Er blies eine kriegerische Fanfare, und der bucklige Zunftpauker schlug schadenfroh dazwischen. Der Rathskämmerer bestieg den Pfeiferstuhl und schrie: „Kund und zu wissen Jedermann: wer ein Zetergeschrei macht, soll zwei Mark Strafe geben und vierzehn Tage Gewahrsam hinter dem Rathsgitter halten.“ Es half nichts. Da winkte der Bürgermeister die Schaarwächter herbei, daß sie mit ihren langen Spießen Ruhe stifteten. Diese vollbrachten ihre Aufgabe nach historischen Ueberlieferungen: sie trieben die schreienden Weiber zu Paaren, auf daß der preislichen Justiz ihr Recht geschah; aber das Mannsvolk ließen sie ungeschoren, denn daß selbiges am Schlusse jedes Festes sich prügelte, war ohnverrücktes Herkommen und durfte nichts daran geändert werden.

Und mitten im Gewühl arbeitete Hermann, seiner Angreifer sich zu erwehren; denn ihn umdrängte eine ganze Schaar reicher Bürgersöhne. An die Linde gelehnt, ein Tischbein als Waffe, mähte er nieder, was auf ihn eindrang. Johanne wand die Hände – er sah es nicht. Sie rief – ihre Stimme verklang im Getöse. Jetzt hatten ihn drei umstrickt; nur mühselig rang er noch gegen die Uebermacht.

Da hallten plötzlich die Klänge der großen Glocke von der Liebfrauenkirche dazwischen; in mächtigen Schlägen durchschnitten sie die Luft.

„Wetterläuten! ein Ungewitter ist im Anzug!“ schrie die Menge.

„Hinter dem Walpurgisholz steht es pechschwarz!“ riefen Diejenigen, welche den Hügelrand erstiegen hatten.

Die Spielleute packten ihre Instrumente auf und zogen ab; beim Wetterläuten wurde jede Lustbarkeit eingestellt. In die Stille, welche eintrat, grollte der ferne Donner und mischte sich mit den Glockenschlägen. Alles stürmte nach Haus.

„Lauft, daß wir zum Beten kommen, und die Gewitternoth durch die allgemeine Bitte abgewendet wird, wie der Weckruf der Glocke will,“ schrieen Gefreunde und Verwandte einander zu.

„Liebe Nachbarn,“ mahnte der Rathsbrunnenmeister, „gehet geruhig heim. Das Läuten hilft vornehmlich durch den Luftzug die Gefahr abwehren, indem hierdurch die Wolken einen andern Weg fahren.“

„Ihr seid ein Schwarmgeist und Neuerer,“ keifte die Schmidtin. „Wollet gar den Wolken den Weg vorschreiben. Sehet lieber darauf, daß Eure nächsten Verwandten den rechten Pfad wandeln.“ Ein Wirbelwind, der in die Schwüle hineinfuhr, drehte sie herum. Sie schnappte nach Luft, wischte sich den Staub aus den Augen und stürmte fürbaß.

Hermann war seiner Angreifer ledig geworden, als der Ruf der Glocke erschallte. Er rückte seinen zerrissenen Rock zurecht und sah sich nach Hannchen um. Sie ging allein auf einem Seitenpfade dem Thore zu mit ihrem festen gleichmäßigen Schritt, der durch die gluthathmenden Windstöße sich nicht beirren ließ. Ueber das schwarze Häubchen, das alle Bürgertöchter trugen, hatte sie ihr Nastüchlein gebunden. Da er sie einholte, wandte sie sich um und sah ihn unter den zusammengezogenen Brauen zornig an wie eine Mutter, welche nach der Ruthe greift.

„Was hat es nun geholfen, daß ich Dir Vernunft gepredigt habe?“ schalt sie mit scharfer Stimme. „Du hast Deinen rothen Kopf aufgesetzt und mit Nikel angebunden, sobald die Gelegenheit sich fand.“

Hermann vermeinte, der liebe Gott habe ihn mit Taubheit geschlagen. Er hatte doch einen Dank von ihr verdient. „Sollte ich Dich dem Trunkenbold überlassen? Fischer konnte auf keinem Bein mehr stehen. Wie hat er der Barbara Brotkorbin mitgespielt!“

„Was will das Ungeschick, das Bärbchen betroffen hat, besagen?“ erwiderte sie verdrießlich. „Es sind schon Viele auf die Nase gefallen. Welch üblen Handel hast Du uns dagegen über den Hals gerissen! Und nun ist die Muhme in die Papiermühle gerannt, wie die Wetterhexe auf den Wolken fährt. Wenn ich nur meine Vermahnung erst dahin hätte!“

„Ich will schon für Dich einstehen,“ suchte er sie zu beruhigen.

„Du willst mich schon wieder beschützen?“ lachte sie zornig auf. „Du, dem allezeit eine Unbill widerfährt, wenn ich nicht meine Flügel über Dich halte, wie die Henne über das Küchlein!“

Jetzt richtete sich Hermann auch auf. „Ich bin kein Küchlein, ich bin ein Mann.“

Sie lachte höhnisch. „Ein Mann, der ohne mich jetzunder das Benjaminlein tragen müßte!“

Eine glühende Röthe überzog seine Stirn. Der siegreiche Kampf, den er eben bestanden hatte, brauste noch in seinen Adern nach und gab ihm den Muth, gegen ihre verächtliche Behandlung sich zu wehren.

„Willst Du mir zum Vorwurf machen,“ entgegnete er, „daß Ihr in Eurem Hause die Weltordnung verkehrt habt? Dir ziemt, die Kinder einzuschläfern, und mir, Dich zu schützen. So ist die Mühsal auf der Welt zwischen Mann und Weib von Uranfang an getheilt worden.“

Schier verblüfft blieb sie stehen und schaute ihn an. Was fiel dem Hermann ein, ihr so gegenüber zu treten? Sie war daran gewöhnt, daß er schwieg, wenn sie zankte, und daß er nachgab.

„Ich will mir schon selber helfen,“ sprach sie von oben herab.

„So weit es mit der Zunge geht, ja,“ erwiderte er, nun auch gekränkt.

Da riß dem verwöhnten erstgeborenen Kinde der Papiermühle der Geduldsfaden. „Du konntest warten, bis diese Zunge Dich rief, und brauchst Dich mir nicht allewege aufzudrängen.“

Und als ein greller Blitz jetzt die dunklen Wolken durchzuckte, eilte sie flüchtig wie ein Reh durch die schmalen Straßen den Weißebach entlang der Papiermühle zu.

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