Seite:Die Gartenlaube (1883) 666.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

großartige Kohlenbecken, unsere Salzlager werden an Masse und Güte von keinem Salzlager der Erde übertroffen, ebenso erfreut sich Deutschland zu Beuthen in Oberschlesien des größten Zinkbergbaues der Welt. Der Silberbergbau im Harze und im Erzgebirge ist zwar vom Westen Nordamerikas weit überflügelt, doch sind die Erträgnisse durch die Fortschritte in der Verhütung der Erze größer als je.

1820 wurden nach Dechen an der Ruhr 500,000 Tonnen Steinkohlen gefördert, im Jahre 1880 war dieses Quantum auf 20,000,000 Tonnen angewachsen. Insgesammt wurden 1880 aus deutscher Erde 282,000,000 Tonnen Kohle gehoben.

Vom Bergbaue leben in Deutschland gegenwärtig 291,000 Männer, also mehr als zwei Menschen vom Hundert suchen ihr Brod „tief unter der Erde“.

Das edelste Product aber, was der deutsche Bergbau dem Weltmarke zuführt, ist nicht Kohle, nicht Silber und Gold – es ist das bergmännische Wissen. – Der deutsche Bergbeamte ist ein Kosmopolit geworden, in den entlegensten Gegenden der Erde, wo nur ein Bergmann die Haue einsetzt, ist er zu Hause, beliebt und geehrt, und von seiner Wissenschaft fällt auch ein Schimmer auf seine Heimath und seine Nation. –

Am 4. September dampfte der gesammte Bergmannstag nach den Muldenhütten bei Freiberg, jenen kolossalen Erzschmelzen, welche wir den Lesern der „Gartenlaube“ schon einmal vorführten (Jahrgang 1879, S. 666). Wir könnten bei der Durchwanderung kaum etwas Neues auftischen, und so begnügen wir uns mit dem Hinweise auf die belastende Paul Heydel’sche Illustration. Dieselbe stellt die Ehrenpforte vor den Muldenhütten dar, und war dieselbe besonders dadurch verschieden von den üblichen Ehrenpforten, daß auf den Säulen leibhaftige Bergleute die Bekrönung darstellten. Im Hintergrunde werden Theile der Muldenhütten sichtbar, und links in der Ecke entströmt das feuerflüssige Metall einem sogenannten Pilz’schen Hochofen. Der Paradebergmann daneben ist aus dem Treppenhause des Dresdener Polytechnicums dahin versetzt worden.

In Freiberg selbst fand wie in Dresden officieller Empfang statt. Eine größere Zahl der Gäste hatte sich jedoch zerstreut und besuchte die weltbekannten Erzgruben Himmelfahrt, Himmelsfürst und andere, wo der Begriff vom Himmel auf den Kopf gestellt worden ist.

Erst vor dem „Kaiser-Wilhelm-Erbstollen“ fanden sich die Theilnehmer wieder zusammen zu fröhlicher „Einfahrt“ und einer originellen „Schicht“. Der Zeichner giebt uns nur den oberen Theil dieses Erbstollens wieder, welcher mit seinen strammen Bergmannsfiguren den Kopf für ein Bild abgiebt, das seiner Natur nach nicht nach Freiberg, sondern nach dem Plauenschen Grunde gehört.

In gebückter Haltung und erwartungsvoll fuhren die Leuchten der bergmännischen Wissenschaft ein, doch man traf da drinnen auf keine neuen Räthsel des Erdinnern, man traf nicht einmal auf die ärmsten Blei-Erze, dafür aber that sich eine wunderliebliche goldhelle Quelle auf, an der denn auch wacker geschürft, oder richtiger gesagt geschlürft wurde. Der Stollenmund führte nämlich zu dem freundlichen Gasthaus „Zum baierischen Garten“, und die Schicht bestand in einem solennen Imbiß.

Gegen Abend wand sich der Zug von hier ab mit „bedächtiger Schnelle“ zur berühmtesten bergmännischen Hochschule, zur Freiberger Akademie. Man sah es den Herren an, das war ihnen kein fremder Boden, sie wußten sich so ziemlich Alle zurecht zu finden, und ihre Gespräche knüpften meistens an goldene Jugendtage an, die sie hier verlebt. Die wenigen aber, die hier zum ersten Mal einkehrten, waren insbesondere erstaunt über den Reichthum des Mineralogischen Museums.

Der vierte Tag brachte nicht weniger denn sieben wissenschaftliche Vorträge und die unvermeidlichen Discussionen dazu. Einen davon hörte auch der oberste Bergherr des Landes, König Albert von Sachsen, mit an – gewiß seines humanitären Stoffes wegen. Derselbe beschäftigte sich mit der Arbeiterfrage, natürlich mit specieller Berücksichtigung der Bergarbeiter. Der Vortragende, Dr. Ullrich von Clausthal, hat seine Laufbahn als gewöhnlicher Lohnarbeiter begonnen, hatte später 3000 Bergarbeiter unter sich und darf darum wohl Anspruch darauf erheben, daß er die Verhältnisse genau kennen muß, wer aber diese genau kennt, das heißt wer als Arzt eine richtige Diagnose stellen kann, der verdient auch im Uebrigen Vertrauen. Dr. Ullrich sieht die Lösung der Arbeiterfrage in der Pflege gesunder patriarchalischer Verhältnisse zwischen Arbeiter und Arbeitgeber; der letztere soll mehr der Vater und Fürsorger als der Herr sein, er soll nicht meinen, er habe genug gethan, wenn er einen anständigen Lohn auszahle, er soll seine Erfahrung, seine Bildung, seine höhere Intelligenz auch für den Arbeiter anderweit dienstbar machen, indem er wohlthätig auf sein Familienleben einzuwirken sucht; er will die Kluft aus der Welt schaffen, die sich durch die socialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte so weit aufgethan und die unüberbrückbar zu werden droht.

Unter allen Umständen verlangt Dr. Ullrich eine humane Behandlung auch Elementen gegenüber, die sich dessen nicht gerade würdig zeigen, und in scharfen Worten verurtheilt er die üblichen Härten und Schimpfereien des Aufsichtspersonals, die leider in sehr vielen Gruben noch als Attribut und Vorrecht eines Aufsehers in Geltung stünden. Dadurch werde nur das Volksgemüth verbittert, und ein Vortheil einer solchen Behandlung sei absolut nicht einzusehen, Autorität und Ansehen würden nie durch Haß oder Furcht gefördert.

Der Redner fand reichen, sehr reichen Beifall, und darüber darf man sich besonders freuen; wie schon früher gesagt wurde, sind die Hörer über Hunderttausende von Bergarbeitern gesetzt, es war also ganz der rechte Boden, auf dem Dr. Ullrich die goldenen Weizenkörner der Humanität ausstreute, und der Beifall läßt erwarten, daß manches Wort aus der Aula der technischen Hochschule zu Dresden in die Tiefen der Erde hinabdringt und dort zum Segen Aller Anwendung findet.

Am Nachmittag desselben Tages unternahm der gesammte Bergmannstag auf einem hübsch decorirten Dampfschiff, das die Stadt Dresden zur Verfügung gestellt hatte, einen Ausflug in die alte Markgrafenstadt Meißen. Die Albrechtsburg, der Dom und die Porcellanfabrik wurden besichtigt und man versüßte sich im Uebrigen den Aufenthalt und den Meißner Wein durch bergmännische Bonmots. Nachzutragen ist hier, daß auch die Meißner Behörden den stattlichen Heerzug officiell begrüßten.

Der letzte Bergmannstag, Donnerstag der 6. September, entführte sämmtiche Theilnehmer schon in aller Frühe auf einem offenen Lowryzug nach dem Plauenschen Grund bei Dresden. Hier hat bekanntlich die Natur ein Miniatturkohlenbecken, wie es scheint, eigens für Dresden angelegt. Wenn auch die bescheidenen Verhältnisse den Herren vom Rhein, von der Ruhr und Oberschlesien wenig imponiren konnten, so ist der eigenartige Abbau dieses Beckens doch für den Fachmann von besonderem Interesse, und an rationellem Betrieb stehen die Werke des Plauenschen Grundes keinem der Welt nach.

Den Hauptanziehungspunkt bildete augenscheinlich eine neuangelegte elekrische Eisenbahn in der Tiefe des Carola-Schachtes zu Zaukeroda. An bergmännischen Ehrenwachen und Paraden vorüber wendete sich der Zug diesem Schachte zu und wurde in Förderkörben in die Tiefe hinabgelassen. Am sogenannten Füllort bestiegen die Herren den elektrischen Bahnzug. Derselbe bestand aus sechszehn Hunten und der Locomotive, der wir heute nicht näher gedenken können, so sehr sie es auch verdient. So rollte der Zug, wie es jeder andere auch gethan haben würde, durch die Eingeweide der Erde dahin, und wenige Minuten später entlud sich derselbe an einem Querschlag wieder von seiner kostbaren Fracht.

Eines Transparentes müssen wir hier erwähnen, das mit wenigen Mitteln, aber recht eindringlich die Geschichte der Kohlenförderung wiedergab. Mit dem Tragkorb ist zu Großvaters Zeiten schüchtern begonnen worden, dann verstieg man sich zur Schubkarrenbeförderung, dann kam der zünftige Bergmannshunt, der erst von sogenannten Huntejungen und später von Pferden getrieben wurde, bis vor Kurzem die Electrizität diese armen Thiere aus ihrer lebenslänglichen Gefangenschaft 300 Meter tief unter der Erde befreite.

Bei dem schon erwähnten Querschlag that sich plötzlich ein Bild auf von einer wahrhaft bestechenden Romantik, und wäre Fräulein Shehezerade mit im Zuge der Bergherren einhergeschritten, sie würde ihre Märchen von Tausend und eine Nacht gewiß auf tausend und zwei Nächte completirt haben. Ein großer ausgemauerter Hohlraum, phantastisch ausgeschmückt, schimmerte im wunderbaren Glanze Edison’scher Glühlichter, mehrere Büffets mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_666.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)