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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

zu wahren und ihn vor der Gefahr zu hüten, mit einem ihm nicht vorgestellten und vielleicht gar nicht vorstellungswürdigen Individuum zusammen zu sitzen. Zum Vergnügen, für gesellige Zwecke besucht man die Gasthäuser nicht.

Ebenso wenig verzehrt der Engländer viel bei Ausflügen. Mit Ausnahme der Pickniks, bei denen die Theilnehmer selbst den Proviant liefern, sucht man es so einzurichten, daß man draußen keiner Mahlzeit bedarf. Es wäre auch oft schwer, eine solche zu erlangen. In den beliebtesten Touristengegenden, bei den berühmtesten An- und Aussichtspunkten kann man zwar die Photographien derselben zu kaufen bekommen, aber kein schäumendes Glas Bier wird dem durstigen Wanderer geboten, kein Duft zweifelhaften Kaffees steigt zum Himmel auf,

„Keine Frucht der süßen Aehren
Lädt zum reinen Mahl ihn ein –“

nur Natur kann da genossen werden – sonst nichts. Gewiß, das würde uns Deutschen, die wir gewohnt sind, in jedem „kühlen Grunde“, der zu romantischen Phantasien begeistert, auf jedem halbwüchsigen Berge, der auf den kühlen Grund hinabsieht, von einem einladenden Wirthshausschilde begrüßt zu werden, wenig behagen.

Ich will nun gar nicht darüber streiten, ob dies, ob jenes besser ist; nur constatiren wollte ich, als Resultat jener Einrichtungen, daß der Engländer nicht den vierten Theil von dem, was der deutsche Durchschnittsmensch außer dem Hause verzehrt, in dieser Weise verausgabt, und daß er in Folge dessen im Hause öfter ein Beefsteak essen kann, wo wir uns oft mit den aus verschiedenen Mahlzeitresten kochkunstreich zusammengesetzten „Fricandellen“ (Fleischklößchen, Fleischschnitte etc.) begnügen müssen.

Doch Pardon! Ich habe mir da wirklich eine ganz unverantwortliche Abschweifung von meinem eigentlichen Gegenstande, der Kochschule in Exhibition Road, South Kensington, London, erlaubt. Das kommt aber davon, daß der Weg von Gloucester Place, wo ich wohnte, bis zu Exhibtion Road so weit war: sechs oder sieben Stationen unterirdische Eisenbahn, dann noch zwanzig Minuten zu gehen. Endlich stehen wir vor dem Thorweg, über dem mit großen Lettern geschrieben steht:

National Training School
for Cookery.

Das ist nämlich der eigentliche, vollständige Titel der Kochschule. Das „national“ deutet an, daß es kein Privatunternehmen ist; das „training“, daß nicht nur Laien dort unterrichtet, sondern wirkliche Kochkünstlerinnen „methodisch“ dort ausgebildet werden.

Wir sehen, Mr. John Bull, trotz seiner Vorliebe für sein englisches „Roastbeef“ und sein „plain leg of mutton“, stimmt doch mit dem Herrn Geheimrath darin überein, daß die bisherige englische Küche etwas zu einförmig war. Auf seinen vielen continentalen Reisen hat er manche Schüssel kennen gelernt, die ihm sehr gut gefiel: Mrs. John Bull ist ganz seiner Ansicht, aber sie hat keine Idee, wie dergleichen zu bereiten ist, und in dem Repertoire der Köchin steht es nicht. Da nun Mr. John Bull die praktische Idee hat, daß jedes Ding gelernt werden muß, so hat er die Kochschule gegründet.

Natürlich gleich in großartigem Maßstab, wie Alles in England, und mit Sang und Klang, das heißt mit hochragenden Namen an der Spitze. Der Präsident des Unternehmens ist kein geringerer als His Grace, der Herzog von Westminster; unter den übrigen Patronatspersonen befinden sich die Prinzessin Louise und ihr Gemahl, der Marquis von Lorme, die Prinzessin Christian von Schleswig-Holstein, die Princeß Mary, Mr. und Mrs. Gladstone, ein halbes Dutzend Earls und Countesses, und eine ganze Reihe anderer berühmter Namen. Ja, auch das ausführende Committee hat einen Herzog und einen Marquis aufzuweisen, verschiedener Majors und Captains gar nicht zu gedenken; erst ganz am Ende der langen, stattlichen Liste finden sich einige weniger erhabene weibliche Namen: eine Oberinspectorin, eine Secretärin, zwei examinirende Damen und fünf Lehrerinnen.

Jedenfalls ein reiches Personal für das Unternehmen. Mit einem jenen großen Namen angemessenen Respect betrat ich also das Sprechzimmer und bat die dort weilende Secretärin, mir die Anstalt zu zeigen.

Sie führte mich zuerst in die „Demonstration-Class“, den Vortrags-Saal.

Hier fand ich etwa fünfzehn bis zwanzig junge Mädchen auf amphitheatralisch aufsteigenden Bänken sitzen, jede mit einem Heft und einer Bleifeder in der Hand. Vor ihnen stand ein Tisch, auf den die Lehrerin eben eine Casserole mit einer dampfenden Sauce hingesetzt hatte – augenscheinlich von dem kleinen Herd abgenommen, der sich hinter ihr, zum Zweck der Experimente, befand. Die Lehrerin erklärte nun den Zuhörerinnen, aus welchen Ingredienzien die Sauce bestehe, wie sie zu bereiten sei, was man thun müsse, wenn sie zu dick oder zu dünn ausfalle, kurz Alles, was sich von der Sauce überhaupt sagen ließ. Die Schülerinnen schreiben sich das Alles in ihre Hefte ein, welche nach der Stunde von der Lehrerin durchgesehen und korrigirt werden.

Dann besuchten wir die Küche, einen sehr großen Raum, von einer Bretterwand durchschnitten, in deren Mitte der enorme Herd sich befindet. In der einen Abtheilung wird die einfache Küche, in der andern die feine gelehrt. Durch den gemeinsamen Herd spart man natürlich an Feuerung.

Der Unterricht währt von zehn Uhr Morgens bis vier Uhr Nachmittags. Ich kam erst gegen drei Uhr; so war die Hauptarbeit des Tages schon vollbracht. Ich sah nur noch einige Bleche voll Gingerbread (Lebkuchen) zubereiten und überzeugte mich, daß dieselben recht gut schmeckten.

In jeder der beiden Abtheilungen fungirte eine sehr respectabel aussehende Frau als Koch-Lehrerin von sechs oder sieben Schülerinnen; mehr als zehn werden zu einer praktischen Lection nicht zugelassen.

Die letzteren waren meist Mädchen aus den mittleren und unteren Ständen, doch befanden sich auch einige Ladies darunter, mit eleganten Atlashäubchen und reich besetzten Latzschürzchen – ungefähr in dem Costüm, wie eine junge Dame auf der Bühne die Küche besorgen würde. Immerhin ist es viel, daß die sonst so sehr exclusive englische Lady sich herabläßt, eine Arbeit gemeinsam mit Mädchen zu treiben, die vielleicht später in Dienst bei ihr eintreten mögen.

Der Cursus dauert zwanzig Wochen und kostet zwanzig Guineen (420 Mark). Welche deutsche Mutter würde bei solchem Honorar ihre Tochter wohl in die Hochschule schicken? …Dafür sollen die Schülerinnen aber auch Alles gründlich lernen: von der Behandlung des Feuers, der Einrichtung der Herde, dem Reinigen des Geschirres an bis zu der Bereitung der complicirtesten Schüsseln, der Entrées, Entremets, der Gelées und Crémes. Die Krankenküche ist dabei natürlich nicht vergessen: auch bekommen die Schülerinnen, wenn sie es wünschen, Anleitung und Gelegenheit, um selbst wieder zu unterrichten – vielleicht der praktischste Theil des Unterrichts, besondere für die jungen Damen, wenn er sie befähigt, ihre Köchinnen später anzuleiten. Jedenfalls bringen sie eine reiche Sammlung von hoffentlich guten und praktischen Recepten mit nach Haus, wodurch der Speisezettel der englischen Küche erweitert und die vorhin beklagte Einförmigkeit gehoben wird.

In einem an die Küche stoßenden Zimmer waren die an dem Tage bereiteten Speisen aufgestellt: Fleischgerichte aller Art, Puddings, Pies, Mayonnaisen, Gelées. Alles sah außerordentlich hübsch und appetitlich aus; die Ausschmückung wahrhaft künstlerisch. Wenn die Speisen den Gaumen ebenso befriedigten, wie das Auge, ließen sie nichts zu wünschen übrig.

Was aber fängt man mit all diesen Herrlichkeiten an? Ich fragte meine Führerin, ob nicht eine Art Restaurant, oder ein Mittagstisch für Damen mit der Anstalt verbunden sei? Ich vergaß, daß derartige Einrichtungen in England nicht gebräuchlich sind. Meine Führerin erkärte mir das auch, indem sie hinzufügte, die Speisen ständen allerdings von Nachmittag drei Uhr an dem Publicum zum Vertauf, fänden sie aber keine Liebhaber, so sei das kein Unglück, da die Kosten des Materials durch das Honorar der Schülerinnen gedeckt würden. Ein Theil der Speisen diente außerdem zum Lunch oder Mittagsbrod für diejenigen Schülerinnen, welche zu fern wohnten, um dies Mahl zu Hause einzunehmen; sie haben einen Schilling (eine Mark) dafür zu zahlen. Auch stehe es einer Jeden frei, sich eine der Schüsseln für einen nominellen Preis zu kaufen.

„Deutsche Sparsamkeit ist das trotzdem nicht,“ dachte ich, indem ich Miene machte, mich zu verabschieden. Ob die Frau Secretärin meinen Gedanken auf meiner Stirn las? Sie bemerke freundlich, daß ich für das als Probe verzehrte Gingerbread einen Penny (zehn Pfennig) und für den Prospect zwei Pence zu zahlen habe!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_443.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2024)