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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

gelassen, einmal, wie die Ameisen in die Hohlräume hinein gelangten, und zweitens, wie sie in jenen Kammern die Annäherung der Feinde vernehmen sollten, wenn sie von Viehzucht lebten und nicht ihrer Ernährung wegen die gefährdeten Blätter selbst aufsuchten Dr. Fritz Müller fand nun, daß die Imbauba am Grunde jedes Blattstieles ein aus dichtgedrängten Haaren bestehendes und sich später rehbraun färbendes Polster von sammetartiger Beschaffenheit entwickelt, aus welchem fortdauernd kleine ei- ober birnförmige, harte, milchweiße Kölbchen von Millimeter Länge wie die Spargelpfeifen hervorwachsen (Fig. 4, E) und von den Ameisen eingeerntet und in ihre Kammern getragen werden, um ihnen als Nahrung zu dienen. Ob man diese anscheinend sehr nahrhaften Kölbchen, deren jedes Polster sechszig bis hundert Stück erzeugt, als Drüsen- oder andere Gebilde auffassen muß, bleibt vor der Hand dunkel, sicher werden die Ameisen durch diese ihnen von dem Baume angebotenen Fruchtbeete zu derjenigen Stelle hingelockt, wo ihm ihr Schutz am nöthigsten ist, nämlich an die Basis der Blattstiele.

Fig. 3. Rumph’s „rothes Mierennest“.
Mit Blüthen und in 1/5 der natürlichen Größe.

Aber fast noch merkwürdiger ist eine andere Beobachtung F. Müller’s, daß nämlich der Baum von vornherein seinen werthen und unentbehrlichen Gästen eine bequeme Eintrittspforte in seine Gemächer bereit hält. Senkrecht über der Knospe des nächstunteren Blattes befindet sich nämlich auf jeder Stammabtheilung ein von außen deutlich sichtbares Grübchen, welches, wie der Querschnitt (Fig. 4. A) zeigt, eine beträchtlich verdünnte Stelle der Wandung bezeichnet. An dieser Stelle schlüpft das junge befruchtete Weibchen, welches die Königin der künftigen Colonie wird, durch ein kleines von ihr genagtes Loch, welches sich durch Wucherung des Zellgewebes alsbald wieder völlig schließt (Fig. 4, B und D), hinein und legt dort, sicher vor der Verfolgung anderer Thiere, ihre Eier ab, aus denen sich die künftige Colonie entwickelt. Aber damit sind die Vorkehrungen des Baumes für seine Gäste noch nicht beendet. Das wuchernde Gewebe, welches die Oeffnung wie ein Pfropf von innen schließt (Fig. 4. C G), giebt eine saftige Nahrung für die eingeschlossene Königin, welche sie während ihrer Gefangenschaft verzehrt, und dadurch ihren Nachkommen das Wiedereröffnen der geschlossenen Pforte (Fig. 4. F) erleichtert. Nur in solchen Fällen, wo die Königin, wie dies häufig geschieht, durch einen Schlupfwespenstich den Todeskeim mitbrachte und in der Kammer stirbt, findet man nachher die bald glatte, bald blumenkohlartig krause Wucherung unverzehrt vor. Wahrscheinlich bietet ihr übrigens die innere Wandung der Kammer in losen, weichen Zellenmassen noch weitere Nahrung.

Fig. 4. Längs- und Querschnitte von Imbauba-Zweigen.
(Natürliche Größe.)

A Querschnitt der Wandung mit dem Grübchen.
B Längsschnitt der von einer Königin bewohnten Kammer. p Grübchen e Ameiseneier.
D Bewohntes Stengelstück. p Verschlußstelle der Eintrittsöffnung. k Knospe. b Blattsttielnarbe.
C E F G Querschnitte durch die Kammer, um Grübchen, Wucherungen und Wiedereröffnung der Einbruchsstelle (p) zu zeigen. Fig. E zeigt außerdem das Haarpolster (h) am Grunde des Blattstiels (b) mit den zur Nahrung der Ameisen dienenden Kölbchen (f).

Uebrigens kannte man seit lange auch aus der alten Welt einige Beispiele solcher vollendeten Anpassungen zwischen Ameisen und Pflanzen, die mit einer derartigen Umgestaltung der letzteren durch die ersteren verbunden waren, daß sie der Volksmund einfach als „lebende Ameisennester“ bezeichnete. Der treffliche Naturbeobachter G. E. Rumph aus Hanau, der gegen Ende des siebenzehnten Jahrhunderts in holländischen Diensten Gouverneur von Amboina war, giebt in seinem siebenbändigen Werke über die Pflanzen jener ostindischen Insel Abbildung und Beschreibung zweier Pflanzen, die als Schmarotzer aus den Aesten dortiger Wald,- und Gartenbäume mit rissiger Rinde wachsen, und von den Malayen Ruma sumot, das heißt „lebendes Ameisennest“, genannt werden. Rumph unterschied bereits zwei verschiedene Arten dieser Pflanzen, die er, da in der einen rothe und in der andern schwarze Ameisen wohnen, als das „swarte und roode Mierennest“ bezeichnete. Es sind, wie man aus unseren Figuren 1 und 3 ersieht, knollige Gebilde, die das Aussehen großer fleckiger Kartoffeln oder grüner runzliger Citronen haben, aus denen oben ein Schopf grüner Blattzweige und Blüthen herauswächst, während unten eine Anzahl von Oeffnungen in das ganz von labyrinthischen Gängen und Zellen durchhöhlte und von den Ameisen bewohnte Innere der Knolle fuhrt. Spätere Untersuchungen zeigten, daß diese Ameisenpflanzen zu den Cinchonaceen gehören, weiße trichterförmige, vierlappige Blüthen mit vier Staubgefäßen, im Bau den Blüthen unseres Waldmeisters ähnlich, entwickeln und Beeren tragen, die zwei oder vier harte Samen enthalten. Man hat sie Myrmecodia und Hydnophytum getauft.

Die sonderbare Erscheinung eines Blüthen und Früchte tragenden Ameisennestes regte natürlich die Phantasie mächtig an, und es ist ergötzlich zu lesen, wie sich Rumphius das Gebilde als ein wirkliches Knospen treibendes Ameisennest vorstellte, als einen Zoophyten, der, wie er sagt, nicht aus Samen entstehe und weder Vater noch Mutter besitze. In neuerer Zeit sind diese seltsamen Pflanzen von dem Naturforscher der Challenger-Expedition Moseley von Neuem untersucht und beschrieben worden: auch dieser fand keine älteren Exemplare vor, die nicht von Ameisen bewohnt gewesen wären, sodaß es wirklich den Anschein gewinnt, als ob diese Pflanzen ohne Ameisen gar nicht leben könnten. Sobald die jungen Schmarotzerpflanzen aus den Aesten der Bäume aufkeimen, veranlassen die Ameisen durch ihre Bisse am Stengelgrunde eine knollenähnliche Wucherung, durch welche der von Natur schlanke Stengel zu einer kugeligen Masse aufschwillt, die manchmal größer als ein Menschenkopf wird. Wahrscheinlich bewirken die fortgesetzten Reizungen der im Innern dieser Anschwellung Gänge und Zellen aushöhlenden Ameisen ein fortdauerndes Wachsthum derselben, und das Merkwürdigste bleibt, daß das Gewächs durch diese nach allen Richtungen in seinem Stumme vor sich gehende Minirarbeit nichts an Lebenskraft einbüßt, vielmehr oben lustig blüht und Früchte reift. Wahrscheinlich ist dies dem Umstande zu danken, daß die Ameisen, abgesehen von ihren dicht über den Wurzeln angebrachten Eingängen, die Rindenschichten, welche hauptsächlich den Saft leiten, sorgsam schonen, sodaß das Gewächs etwa einer üppig grünenden hohlen Weide zu vergleichen ist, in deren Höhlung sich allerhand Thiere eingenistet haben. Doch bleiben hier die Zwischenwandungen des Nestes saftig und lebendig.

Ohne Zweifel schützen die Ameisen ihre grünenden Nester gegen alle weiteren Angriffe von Thieren, sodaß dieselben gar nicht mehr ohne diese ständige Leibwache bestehen können und sich vollkommen daran gewöhnt haben, ihr Wohnung zu bieten. Ihre Nahrung mögen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_389.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)