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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nach und nach indeß gewöhnte sich der Blick an diese dürftige Helle. Cajus und Lucius entdeckten die elliptische Anordnung mächtiger Pfeiler, hinter denen ein tiefer, beinahe schwarz erscheinender Gang einherlief. Nur ein blasses Geflimmer zwischen den Pfeilerschatten verrieth, daß sich jenseits dieses Ganges eine Mauer befand, welche die gleiche Linie beschrieb wie der Binnenraum. Zwölf der Pfeiler, das Drittel nämlich, das dem Eingang direct gegenüberlag, waren auf kunstvolle Weise mit endlos wallenden, tiefschwarzen Vorhängen überkleidet. Dazwischen hingen allerlei phantastische Ketten, Ampelschnüre und sonstiges Beiwerk, das gerade maßvoll genug vertheilt war, um den gewaltigen Eindruck nach Höhe und Breite nicht abzuschwächen.

Oben schloß sich der Raum durch ein flaches Gewölbe ab, dessen Construction, der beträchtlichen Höhe wegen, nicht zu erkennen war. Im Hintergrunde vor dem bläulich brennenden Candelaber befand sich ein umfangreicher Altar, viereckig und gleichfalls mit dunklen Tüchern verhangen. Dreifüße, eherne Monopodien[1] mit allerlei wundersamem Geräth überdeckt, flache Schemel und andere nicht erkennbare Gegenstände reihten sich in symmetrischer Ordnung zu beiden Seiten. In der Mitte des Raums lag ein Teppich von dreißig Fuß im Geviert, an jeder Ecke mit einem Leuchter bestanden, höher noch als der Candelaber im Hintergrunde. Dieser Teppich war mit räthselhaften Figuren bemalt oder durchwoben.

Fünf Minuten etwa hatten die Jünglinge Zeit, sich im Dämmerlichte der blaßblauen Flamme zu orientiren. Dann mit einem Male erklang es, wie die fernen Accorde einer Aeolsharfe. Ohne daß sie gewußt hätten, wie und von wannen er kam, stand Olbasanus hinter dem tuchverhangenen Altare.

„Du kommst nicht allein, Cajus Bononius!“ sprach er mit wohlklingender Stimme. „Gleichviel: ich kenne das. Die meisten Sterblichen tragen Bedenken, nur auf die eigene Kraft vertrauend sich den Räumen zu nahen, wo die Gottheit sich theils mittelbar, theils unmittelbar ihrem Anblick enthüllen soll. Auch Dein Begleiter, wer er auch sein mag, trete heran: seine stille, andächtige Gegenwart stört nicht das Werk des Caldäers.“

„Du irrst, Olbasanus,“ versetzte Cajus Bononius. „Der mich begleitet, ist eben der, den es gelüstet, eine Frage an die Gottheit zu richten. Ich, Cajus Bononius, sandte Dir meinen Boten nur im Auftrage dieses Jünglings; denn mir, das bekenn’ ich Dir, wohnte nie ein Bedürfniß inne, den Schleier der Zukunft hinwegzulüften.“

„Ich irre –“ gab Olbasanus zurück. „Das ist das Loos aller Sterblichen, und auch das meine, so lange ich nur als ohnmächtiger und vergänglicher Mensch zu Dir rede. Erst die Gnade der Gottheit, wenn ich sie anrufe, strahlt mir jenes Licht in die Seele, das jeden Irrthum unmöglich macht. Wohl! Auch so ist Olbasanus geneigt, Deinem Wunsch zu willfahren, obgleich er als Mensch nicht begreift, was Dich veranlassen konnte, diesen Umweg zu wandeln.“

„Es sind Gründe ohne Belang,“ versetzte Bononius.

„So wünschest Du wohl, daß der Name Deines Begleiters dem Seher verschwiegen bleibt?“

Cajus Bononius wechselte mit Lucius Rutilius einen flüchtigen Blick. Dann zu Olbasanus gewandt:

„Wenn’s Dir genehm ist, ja!“

Der Chaldäer schien einige Secunden zu zögern.

„Schwer zwar und größerer Kräfte bedürftig wird der Wahrspruch des Zauberers, wenn der Frager seinen Namen verbirgt,“ sagte er langsam. „Indeß, dafern Du es dringend begehrst …“

„Wir bitten darum!“ versetzte Bononius.

Der Chaldäer trat nun bedächtigen Schrittes hinter dem Altare hervor.

„Gewährt!“ sprach er feierlich.

Dann streckte er die Hand aus, in der ein elfenbeinernes Stäbchen blinkte. Sofort erglänzte der weite Raum wie in Tageshelle. Nicht nur auf sämmtlichen Kandelabern brannten weithin strahlende Lampen, – auch zwischen den Pfeilern schienen Lichtquellen gleichsam aus dem Boden gewachsen; flache Schalen mit ruhig lodernder Flamme.

Die beiden Jünglinge waren beim Anblick dieser Verwandlung nicht nur leidlich geblendet. Lucius Rutilius faßte sich wie betäubt an die Stirn. Cajus Bononius stand regungslos. Er schien zu prüfen, zu erwägen, zu forschen. Endlich spielte ein befriedigtes Lächeln über sein Antlitz. Es war, als habe er für dieses Räthsel die Lösung gefunden, während Rutilius noch immer von dem Eindrucke des Wunders gebannt war.

„Tretet heran,“ sprach der Chaldäer volltönig. „Unbekannter, was begehrst Du zu wissen?“

Abermals tauschten die Jünglinge einen Blick aus; dann sagte Rutilius:

„Ich wünsche zu wissen, was mir von den Göttern bevorsteht, falls ich die wichtigste und bedeutsamste Absicht meines Lebens zur Ausführung bringe.“

Olbasanus zögerte wie zuvor mit der Antwort. Endlich versetzte er:

„Ich fürchte, das ist unbestimmter, als die Gottheit gestattet. Kannst Du Deine Frage nicht klarer fassen? Vermagst Du die Absicht, von der Du redest, nicht rückhaltlos zu benennen?“

Rutilius fühlte, wie ihm Bononius heimlich den Arm berührte.

„Nein,“ sprach er gelassen. „Ich bitte Dich, zu versuchen, ob die Antwort nicht möglich ist auch ohne eine genauere Bezeichnung.“

Olbasanus blickte nach oben. Da zuckte ein Lichsstrahl herab, einem Blitze vergleichbar.

„Gewährt,“ sagte er, zu Rutilius gewandt. „Bei allen Schrecken der Unterwelt, Du bist ein Liebling der Götter; denn nur den Erkorenen, denen sie wohlwollen, gönnen sie so auserlesene Huld. Gemeinhin strafen sie das Mißtrauen gegen ihren Vermittler durch ewiges Schweigen.“

Die beiden Jünglinge wurden mit jeder Minute aufgeregter: Lucius, weil ihm die ruhige, würdige Art des Chaldäers wie eine Bürgschaft erschien für den Ernst und die Wahrheit dessen, was er zu künden hatte; Cajus Bononius, weil er sich höchlich enttäuscht sah; denn er hatte sich fest überzeugt gehalten, der Zauberer werde erklären, das Verlangen des Lucius sei unstatthaft.

Olbasanus berührte jetzt mit dem Stab die Altarplatte. Ein heller Ton, wie von geschlagenem Metall, durchschwirrte den Raum. Durch die Vorhänge rechts trat ein ganz in Weiß gekleideter Knabe herein. Er trug ein Becken mit glühenden Kohlen und setzte es neben Olbasanus auf einen der Erzschemel.

„Führ’ uns das Opfer heran,“ befahl der Chaldäer.

Der Knabe entfernte sich. Olbasanus ergriff eine Schaufel, füllte sie mit glühenden Kohlen und trug sie nach einem der Dreifüße, auf dessen Schale er sie sorgfältig ausbreitete. Nach dem Altar zurückkehrend, hob er die Hände empor.

„Hekate!“ sprach er mit dumpfer Stimme, „Herrin der Unterwelt, Fürstin der Nacht und der Schatten, Beherrscherin der Dämonen und Abgeschiedenen, allgewaltige, grausige Göttin! Weder das uranfängliche Fatum, noch eine der oberen Gottheiten widersetzt sich dem, was wir vorhaben. So flehe ich denn zu Dir, daß auch Du in Gnaden gewährest, was Olbasanus Dir zagend entgegenraunt. Entschleiere diesem Jüngling die Zukunft, stille seinen Durst nach dem Unergründeten, erfülle sein Auge mit Klarheit und lehre ihn, was die Geister und Dämonen Dir zugetragen vom Aufgang bis zum Niedergang. Bist Du aber gewillt, den, der Dich anruft, wie so hundertmal, zu begnaden, so durchwühle Dein heiliges Element; laß Deinen Geist durch die feurige Gluth wehen und beseele sie mit Deinem unsterblichen Athem!“

Nach diesen Worten machte er einige Schritte vorwärts nach dem Dreifuß und blickte starr in die glühenden Kohlen. Auch Lucius Rutilius und Cajus Bononius waren näher getreten. Mit einem Male begannen die Kohlenstücke sich langsam zu regen. Es war ein Wogen und Wallen, als ob die Kraft eines ungeahnten Lebens diese sprühenden Brände durchathme, bis endlich die Bewegungen schwächer wurden und aufhörten.

Der Chaldäer schritt zurück und verneigte sich mit gekreuzten Armen. Jetzt erschien der weißgekleidete Knabe, an silberglänzendem Stricke ein schwärzliches Lamm führend. Er band das Thier am Altare fest und nahte sich dann den beiden Jünglingen mit einer Schale aus Onyx. Seine Haltung war nicht mißzuverstehen. Lucius Rutilius griff in die Gürteltasche und legte einige Goldstücke auf die Schale. Der Knabe dankte und trat wieder zurück hinter den Vorhang.

(Fortsetzung folgt.)




  1. Tische aus Citrusholz, mit einem elfenbeinernen Fuße.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_247.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)