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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Und inzwischen kommen Frühjahr und Herbst und mit beiden droht Ihnen die Gefahr von den Bergwassern.“

„Sie hat uns seit zwanzig Jahren gedroht und die Hand des Herrn hat uns beschützt, sie wird es auch ferner thun. Vor einer nahen Gefahr wäre das Dorf überhaupt nicht zu schützen, die Arbeiten können doch nicht mitten im Winter beginnen!“

„Doch, das sollten sie,“ sagte der Ingenieur mit Nachdruck. „Es war ausdrückliche Weisung des Freiherrn, sofort damit anzufangen. Es sollten einstweilen Erdwälle aufgeführt werden, hoch und fest genug, um einem etwaigen Hochwasser Widerstand zu leisten, bis der Sommer die eigentlichen Dammbauten gestattet. Die Absicht des Gutsherrn ging wohl hauptsächlich dahin, der Noth und dem Elend dieses Winters zu steuern, indem er Arbeit und Verdienst schuf, wenigstens machte er es mir zur Pflicht, nur Leute seiner Güter anzunehmen und die Lohnverhältnisse sehr reichlich zu stellen, ohne den Kostenpunkt in Betracht zu ziehen. Er hat schlechten Dank dafür geerntet.“

Vilmut runzelte die Stirn, ehe er aber noch antworten konnte, trat Rainer hervor, der sich gleichfalls unter den Bauern befand, und sagte trotzig:

„Das ist unsere Sache allein, da lassen wir Niemand dreinreden. Unser Herr Pfarrer hat es Ihnen ja gesagt, daß hier in Werdenfels ganz besondere Verhältnisse sind – und unser Herr Pfarrer hat Recht. Wir wollen nun einmal nichts von dem Werdenfels!“

„Nein, wir wollen nichts von ihm! – Unser Pfarrer hat Recht! – Wir halten uns an die Regierung!“ – klang es von allen Seiten.

Der Ingenieur blickte auf all die finsteren Gesichter ringsum und nahm seinen Hut.

„Dann ist meine Thätigkeit hier allerdings zu Ende. So versuchen Sie denn Ihr Heil bei der Regierung! Ich prophezeie Ihnen einen Mißerfolg, und ich habe Erfahrung in solchen Dingen. Ich fürchte, die Gemeinde wird diese rücksichtslose Ablehnung der ihr gebotenen Hülfe noch einst schwer bereuen.“

Er grüßte kurz und ging.

Seine letzten mit so großer Bestimmtheit gesprochenen Worte schienen die Bauern doch stutzig gemacht zu haben, es zeigte sich einige Besorgniß in ihren Mienen und sie flüsterten mit einander, nur Vilmut bewahrte seine Ruhe.

Er erwiderte den Gruß mit gemessener Höflichkeit und wandte sich dann zu den Anderen, indem er langsam und nachdrücklich sagte:

„Ich habe die bestimmte Zusicherung unseres hochwürdigsten Herrn Erzbischofes, seinen ganzen Einfluß und seine Protection für unsere Angelegenheit zu verwenden, und sein Einfluß ist sehr mächtig in der Residenz. Ich werde ihm dort persönlich die Gründe aus einander setzen, welche die Gemeinde zu ihrem Entschlusse bestimmten, und bin im Voraus gewiß, daß sie seine Zustimmung finden werden. Wenn Ihr jedoch Euern Protest bereut, so ist es in letzter Stunde immer noch Zeit, ihn zu widerrufen. Ich bin überzeugt, der Freiherr würde sich nicht unzugänglich zeigen, wenn Ihr das Ganze für ein Mißverständniß erklärt. Ueberlegt Euch die Sache noch einmal, ich will Eurer freien Entschließung nicht vorgreifen!“

Der siegesgewisse Blick, mit dem er sich im Kreise umsah, zeigte, wie es mit dieser freien Entschließung bestellt war, und wie gut er seine Bauern kannte.

Sie verneinten allesammt entrüstet, keiner machte auch nur den Versuch, die Sache nochmals in Ueberlegung zu ziehen; da ihr Pfarrer sie in die Hand genommen und der Erzbischof auch seine Verwendung zugesagt hatte, galt sie ihnen bereits für gewonnen.

„So bleibt es also dabei, ich reise übermorgen nach der Residenz,“ sagte Vilmut. „Ich hoffe, Euch von dort die Nachricht mitzubringen, daß das Werk schon im nächsten Jahre beginnen kann. Bis dahin aber wollen wir uns dem Schutze dessen anvertrauen, der Herr ist über die Elemente und auch dem Wasser seinen Weg vorschreibt. Es ziemt uns nicht, kleinmüthig zu zagen und zu zweifeln, nachdem er uns so lange beschützt hat, und ich sage Euch, er wird das Dorf schützen und uns Alle!“

Man hörte es den Worten an, daß sie mit tiefster, innerster Ueberzeugung gesprochen wurden, und deshalb war ihr Eindruck auch unbegrenzt. Die Bauern umdrängten den Priester mit allseitiger, stürmischer Zustimmung. Jeder wollte ihm noch einmal die Hand reichen, und als er sie endlich entließ, da waren sie allesammt der Meinung des alten Eckfried, daß sie in ihrem Pfarrer einen Schatz besäßen, wie er zum zweiten Male nicht gefunden werde.

Vilmut traf in der That sofort die Vorbereitungen zur Abreise. Es war nicht seine Art, eine Sache aufzuschieben, die er einmal übernommen hatte, und was den Eifer und die Energie betraf, so konnte sie in keinen besseren Händen liegen. Er sandte eine kurze Nachricht nach Rosenberg, um seinen Verwandten Mittheilung von der bevorstehenden Reise zu machen, und am Morgen des zweiten Tages führte ihn der Schlitten nach der Bahnstation. –

Rosenberg verleugnete selbst jetzt, wo das Landhaus und der Garten schneebedeckt dalagen, seinen freundlichen Charakter nicht, es lag wie eine Idylle mitten in der öden Winterlandschaft. Die Wintersonne schien hell in die Fenster und in das Zimmer Lily’s, die am Schreibtisch saß und Briefe an „Pensionsfreundinnen“ schrieb. Sie unterhielt noch zahlreiche Beziehungen in dem Institute, das sie erst im vergangenen Herbste verlassen hatte, und die jungen Damen pflegten sich gegenseitig ihre Leiden und Freuden in bogenlangen Episteln mitzutheilen.

Iu der letzten Zeit aber waren diese Freundinnen arg vernachlässigt worden, und auch heute waren die Worte, die so schnell und zierlich aus der Feder flossen, nicht an eine Pensionsbekanntschaft, sondern an einen gewissen Herrn von Werdenfels gerichtet, der gegenwärtig zu den eifrigsten Correspondenten Lily’s gehörte.

Paul hatte naturlich nicht gesäumt, von der erhaltenen Erlaubniß Gebrauch zu machen. Er hatte schon in der nächsten Woche geschrieben, aber der Brief war so verzweiflungsvoll, daß Lily nothgedrungen eine tröstende Antwort senden mußte. Das hatte auch einigen Erfolg gehabt, denn das nächste Schreiben war gefaßter, gab aber das dringende Verlangen nach ferneren Tröstungen kund, die nun füglich auch nicht versagt werden konnten, kurz, es entwickelte sich eine äußerst lebhafte Correspondenz, die auch ungestört blieb. Paul war so vorsichtig, seine Briefe nicht mit dem Werdenfels’schen Wappen zu siegeln, sie passirten also als harmlose „Pensionsbriefe“ die Grenze von Rosenberg.

Lily ihrerseits gefiel sich ungemein in der Rolle einer Trösterin und eines Schutzengels, und da sie bei dem jungen Baron unleugbare Erfolge damit erzielte, so gerieth sie schließlich auf die Idee, es sei überhaupt ihre Mission, abgewiesene Freier zu trösten, und dehnte ihre Barmherzigkeit auch auf den Onkel Justizrath aus, ohne jedoch zu ahnen, daß sie damit ein Unheil anrichtete.

Bei dem Justizrathe hatte die alte Freundschaft, die ihn seit langen Jahren mit der Hertenstein’schen Familie verband, wirklich den Sieg über die verletzte Eigenliebe davongetragen. Er kam nach wie vor nach Rosenberg und vertrat mit vollem Eifer die Angelegenheiten der jungen Frau, aber er war in der ersten Zeit noch so niedergedrückt und wehmüthig, daß Lily von tiefem Mitleide ergriffen wurde und sich alle Mühe gab, ihn aufzuheitern.

Freising hatte das anfangs dankbar, dann mit sehr angenehmen Empfindungen hingenommen, aber er mißdeutete leider diese Theilnahme. Er bildete sich ein, auf das sechzehnjährige Mädchen einen Eindruck gemacht zu haben, und fing an zu überlegen, ob ihm die junge Schwester nicht Ersatz für die ältere sein könne, und so geschah denn eines Tages das Unglück! Der Herr Justizrath zog zum zweiten Male den Frack an, bestellte ein neues prachtvolles Bouquet und fuhr wieder nach Rosenberg, um mit vollen Segeln auf den fünften Korb loszusteuern.

Es war ihm diesmal erwünscht, daß Frau von Hertenstein nicht zu Hause und Fräulein Hofer nicht sichtbar war. Er hörte, daß Fräulein Lily sich in ihrem Zimmer befinde, und machte von seinem Vorrechte als alter Hausfreund Gebrauch, indem er sie dort aufsuchte.

Lily erschrak ein wenig, als es so unvermuthet an ihre Thür klopfte. Sie schob rasch den angefangenen Brief in die Schreibmappe und schloß dieselbe, als sie aber den Eintretenden erkannte, sprang sie auf, eilte ihm entgegen und rief fröhlich:

„Ach, Onkel Justizrath!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_239.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2023)