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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

sein Interesse zu erregen; er empfing ihn augenscheinlich nur aus Rücksicht für Paul.

„Herr von Werdenfels hat Sie mir als einen langjährigen und treuen Diener seiner Eltern geschildert,“ begann er. „Es freut mich, daß Sie auch ihm in dieser Eigenschaft zur Seite geblieben sind.“

Das klang ganz vernünftig, und der Mann, der da so ruhig und vornehm in seinem Sessel lehnte, sah auch keineswegs gefährlich aus. Arnold geruhte, von dem Empfange befriedigt zu sein, und erwiderte in würdevollster Haltung:

„Ich habe mich nach Kräften bemüht, die Pflicht zu erfüllen, welche die selige Frau Baronin mir auferlegte, als sie auf dem Sterbebette den jungen Herrn meiner Obhut übergab.“

Paul hob verstohlen die Augen gen Himmel. Er war nahe daran, seiner Mutter einen Vorwurf aus dieser Uebergabe zu machen, die er bei jeder Gelegenheit zu hören bekam. Werdenfels aber, der die Unerschöpflichkeit dieses Themas noch nicht kannte, schien den Stolz des alten Dieners auf seine Vertrauensstellung natürlich zu finden; er fragte weiter:

„Sie haben Ihren Herrn auf die Universität und später auch nach Italien begleitet?“

„Ja, auch nach Italien!“ bestätigte Arnold, der nichts Geringeres erwartete, als eine Lobrede für seine Fürsorge und Umsicht und eine nachträgliche Strafpredigt für seinen jungen Herrn.

Der Freiherr aber schien nicht gewillt, Paul durch eine Erwähnung jenes Briefes in Verlegenheit zu setzen; er sagte nur mit leichter Betonung:

„Herr von Werdenfels weiß Ihre Anhänglichkeit zu schätzen. Er hat hinreichende Proben davon, und auch ich lege Werth auf ein solches Verhältniß zwischen Herrn und Diener.“

Arnold sandte einen triumphirenden Blick zu seinem jungen Herrn hinüber, der sich ganz schweigsam verhielt und es wahrscheinlich nicht wagte, in Gegenwart seines Onkels irgend eine Aeußerung laut werden zu lassen. Der Blick sagte deutlich: „Gieb Acht! Jetzt werde ich Dir zeigen, wie man ihn behandeln muß,“ und dann richtete der alte Diener sich empor und begann feierlich:

„Gnädiger Herr!“

„Nun?“ fragte Werdenfels.

Paul, den die Scene unendlich amüsirte, enthielt sich jeder Einmischung; denn er sah, daß die Zuversicht seines alten Mentors und Kammerdieners bereits im Wanken begriffen war. Dieses einfache „Nun?“ des Freiherrn hatte sie zum Wanken gebracht.

Arnold fing an zu begreifen, daß die kühle Vornehmheit doch etwas ganz Anderes war, als die Intimität, in der er mit seinem Junker Paul lebte.

„Gnädiger Herr!“ begann er noch einmal. „Ich hatte mir eigentlich vorgenommen – das heißt, ich wollte mir unterthänigst erlauben –“

„Nun, so sprechen Sie doch!“ sagte Raimund mit einigem Befremden, als die Rede von Neuem stockte.

Der Blick, den Arnold diesmal zu seinem jungen Herrn hinübersandte, war etwas kläglicher Art und gab das dringende Verlangen nach einer Einmischung Paul’s zu erkennen, als er aber sah, daß Jener sich auf die Lippen biß, um das Lachen zu verbergen, raffte er seinen ganzen Muth zusammen und nahm einen letzten, verzweifelten Anlauf.

„Ich wollte dem gnädigen Herrn nur mein tiefstes Bedauern aussprechen, daß Sie ganz abseits von der Welt leben und Niemand –“

Weiter kam er überhaupt nicht; denn Raimund hatte sich emporgerichtet und sah ihn von oben bis unten an. Es war nur ein einziger Blick, und es lag nicht einmal Zorn darin, aber Arnold knickte förmlich zusammen und wünschte sich weit weg, nach Rom oder Venedig. Selbst das Gesicht des Signor Bernardo wäre ihm in diesem Moment lieber gewesen, als das Auge dieses Freiherrn von Werdenfels, dem er den Kopf zurechtsetzen wollte und der, ohne auch nur die Lippen zu öffnen, mit einem bloßen Blick ihm seine Stellung klar machte.

„Sie meinten?“ fragte Raimund, vollkommen ruhig, aber mit dem Ausdruck eines so unnahbaren Stolzes, daß der alte Diener noch mehr zusammensank und in seiner Verwirrung eine Verbeugung nach der andern machte.

„O nichts, durchaus nichts!“ stotterte er. „Ich wollte nur sagen, daß es mir hier in Felseneck außerordentlich gefällt – und meinem jungen Herrn gleichfalls – und daß wir Beide –“

„Schon gut!“ unterbrach ihn Raimund. „Es freut mich, wenn mein Neffe sich in meinem Hause wohl fühlt. Ihre Ansichten darüber theilen Sie der Dienerschaft mit!“

Eine kurze Handbewegung zeigte Arnold, daß er entlassen sei. Er machte eine tiefe Verbeugung vor dem Schreibtische, eine zweite in der Mitte des Zimmers, eine dritte auf der Schwelle und verschwand dann. Erst draußen im Vorzimmer besann er sich, daß ja eigentlich gar nichts geschehen sei, und daß der Freiherr nicht einmal ungnädig gewesen war, aber er hatte dem alten Diener in zwei Minuten beigebracht, was dieser sein Lebelang nicht gekannt hatte, den unbedingten Respect vor dem Auge und dem Worte des Herrn.

Paul hatte sich alle mögliche Mühe gegeben, ernsthaft zu bleiben, dieser klägliche Rückzug seines alten Vertrauten aber erschien ihm so komisch, daß er laut auflachte. Werdenfels theilte seine Heiterkeit nicht; er sagte nur:

„Du scheinst Deinen Diener sehr verwöhnt zu haben, Paul.“

„Er ist ein altes Erbstück von den Eltern her,“ entschuldigte der junge Mann. „Seine Vertraulichkeit ist mir oft unbequem, aber er hat mich als Kind auf den Armen getragen und macht das so nachdrücklich geltend, daß ich ihn beim besten Willen nicht in Respect halten kann. Es thut mir freilich sehr leid, daß er wagte, auch Dir gegenüber –“

Raimund machte eine ruhig abwehrende Bewegung.

„Laß das! Ich verstehe es schon, meine Untergebenen in den nöthigen Schranken zu halten, und Du wirst das auch lernen müssen, wenn Du erst Herr in Buchdorf bist.“

Damit stand er auf und verließ den Schreibtisch. Draußen dämmerte es bereits, und das hohe, düstere Gemach lag schon halb im Dunkel; nur das Kaminfeuer warf seinen Schein auf den Boden und auf die zunächst befindlichen Gegenstände. Der Freiherr war an den Kamin getreten und legte mit eigener Hand noch einige Holzscheite in das schon niedersinkende Feuer, das hell aufflackerte, als es die neue Nahrung empfing.

„Ich sandte vorhin zu Dir hinüber,“ sagte er, „und hörte, daß Du ausgeritten seiest. Bist Du auf der Jagd gewesen?“

„Nein, ich hatte einen ziemlich weiten Ausflug unternommen,“ entgegnete Paul, indem er gleichfalls an den Kamin trat. „Ich habe unserem Stammschlosse einen Besuch abgestattet.“

„Ah, Du bist in Werdenfels gewesen? Gefällt es Dir?“

„Ungemein! Ich habe selten einen schöneren Wohnsitz gesehen. Schade nur, daß das Schloß und die Gärten so ganz verödet sind.“

„Hast Du irgend eine Vernachlässigung gefunden?“ fragte Raimund. „Ich habe doch ausdrücklichen Befehl gegeben, alles im besten Stande zu erhalten, und empfange regelmäßig die Berichte darüber.“

„Du mißverstehst mich: ich meinte nur jene Oede, die aus der Einsamkeit entspringt. Man sieht es dem Schlosse an, daß es seit Jahren leer und verlassen steht. Du selbst hast es ja wohl niemals bewohnt, seit Du Herr in Werdenfels bist?“

„Nein – niemals!“

„Da haben wir einen ganz verschiedenen Geschmack. Ich ziehe es unbedingt Deinem romantischen, aber düsteren Felseneck vor, und selbst wenn ich die Bergeseinsamkeit so leidenschaftlich liebte wie Du, würde ich doch wenigstens einige Monate des Jahres in Werdenfels zubringen.“

Raimund gab keine Antwort. Er lehnte sich an den Kamin und sah schweigend zu, wie das Feuer die mächtigen Scheite verzehrte. Das sprühte und knisterte; das wand sich wie feurige Schlangen um das Holz, zuckte hier auf und sank dort zusammen und züngelte immer höher, immer gieriger empor, bis endlich all die Brände aufflammten in lodernder Gluth. Dieses Spiel der Flammen in dem halbdunklen Raume hatte etwas Unheimliches, Ruheloses, und der scharfe Luftzug im Kamin fachte es noch wilder an.

„Der Blick von der Terrasse aus über die Gärten ist wirklich einzig in seiner Art,“ fuhr Paul fort, „und auch die Lage des Dorfes ist höchst malerisch. Mir ist nur aufgefallen, daß es gar nicht den anderen Gebirgsdörfern gleicht, wo die uralten Häuser so eng an und durch einander gebaut sind, daß man sich oft in dem Gewirre gar nicht zurecht findet. In Werdenfels dagegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_122.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)