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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Was fällt Dir ein? Du weißt ja, daß Niemand dem Freiherrn nahen darf, der nicht eigens gerufen worden ist.“

„Ich bin aber gerufen worden,“ erklärte Arnold mit höchster Genugthuung. „Der gnädige Herr haben mir ausdrücklichen Befehl gesandt, mich heute vorzustellen.“

„Hat er das wirklich gethan?“ rief Paul. „Ich habe ihm allerdings bei dem letzten Zusammensein von Deiner Verzweiflung gesprochen, daß Du den Chef des Hauses noch nicht einmal zu Gesicht bekommen habest, ich glaubte aber nicht, daß es helfen würde; denn er schwieg darauf, und ich wagte natürlich keinen directen Wunsch zu äußern.“

„Sie wagen gar nichts, Herr Paul,“ sagte Arnold geringschätzig. „Sie verstehen überhaupt gar nicht, den Herrn Onkel zu behandeln, und doch sind Sie der Einzige, mit dem er bisweilen verkehrt. Es ist ja eine wahre Sünde, so dahinzuleben und wie ein Nachtgespenst vor den Menschen und dem Tage zu fliehen, wenn man so und so viele Güter und Schlösser besitzt und selbst nicht einmal weiß, wie reich man ist. Der Herr Onkel brauchen entschieden Jemand, der ihm in aller Unterthänigkeit den Kopf zurechtsetzt, und da Sie das nicht wagen –“

„So willst Du es thun,“ ergänzte Paul sehr belustigt. „Nimm Dich in Acht, Arnold! Die Sache könnte schlimm ablaufen, wenn der Freiherr zufällig übler Laune ist.“

„Er ist doch nicht etwa gefährlich?“ fragte Arnold, dessen alte Besorgniß sich wieder regte. „Kann man denn überhaupt vernünftig mit ihm sprechen, oder –“ er griff mit bezeichnender Geberde an seine Stirn.

Paul lachte laut auf.

„Nein, in dieser Beziehung brauchst Du keine Besorgniß zu hegen. Er ist ganz vernünftig, aber ich zweifle sehr, ob er für Deine Predigten zugänglich sein wird. Es ist nicht Jeder ein so geduldiges Opferlamm wie ich.“

Arnold schien über diese Lammesgeduld seines jungen Herrn durchaus anderer Meinung zu sein, im Uebrigen aber hatte er sich wirklich vorgenommen, dem Freiherrn von Werdenfels den Kopf zurechtzusetzen. Daß dies bisher noch Niemand gewagt hatte, war ihm ebenso unerklärlich, wie die tiefe, ehrfurchtsvolle Scheu, welche die gesammte Dienerschaft von Felseneck vor ihrem Herrn hegte; denn Arnold, der stets den allertiefsten Respect im Munde führte, besaß davon in Wirklichkeit nicht das Mindeste. Er hing mit Leib und Seele an seiner Herrschaft und hätte sich im Nothfall für dieselbe todtschlagen lassen, aber das hatte ihn nie gehindert, diese Herrschaft mit dem allertiefsten Respect zu tyrannisiren.

Schon der verstorbene Herr von Werdenfels hatte ihm auf seine Treue und Anhänglichkeit hin alles Mögliche hingehen lassen; die selige Frau Baronin stand nun vollends ganz unter seinem Scepter, und bei dem Junker Paul war er Kammerdiener und Mentor in einer Person.

Er fühlte sich deshalb tief beleidigt, daß der Chef der Familie so gar keine Notiz von seinem Dasein nahm, und hatte seinem jungen Herrn so lange zugesetzt, bis dieser ihm den Willen that, und im Gespräch mit dem Onkel jene Aeußerung fallen ließ. Jetzt war der große Moment der Vorstellung da, und der alte Diener schritt, ganz erfüllt davon, hinter Paul her und nach der Wohnung des Schloßherrn, wo er einstweilen im Vorgemach warten mußte.

Paul trat inzwischen in das Zimmer des Freiherrn, der an seinem Schreibtische saß und den Eintretenden, wie gewöhnlich, mit kühler Freundlichkeit begrüßte.

„Du hast studirt?“ fragte der junge Mann, dessen Blick über die Papiere und Bücher hinglitt und dabei den Titel eines der letzteren auffing. „Ah, Du treibst Naturwissenschaften, wie ich sehe.“

„Hexenkünste!“ sagte Werdenfels, indem er sich in den Sessel zurücklehnte. „So glauben wenigstens die Leute dort unten im Thale. Lächle nicht, Paul! Ich spreche im Ernste; es gilt ihnen für ausgemacht, daß ich mich mit der schwarzen Kunst abgebe, und selbst meine Dienerschaft ist fest davon überzeugt, daß meine Experimente Teufelswerk sind.“

„Ist man hier zu Lande wirklich noch so abergläubisch?“ fragte Paul erstaunt. „Mein Gott, wofür ist denn die Aufkärung, wofür sind die Schulen da?“

„Für die nächste Generation vielleicht! In der jetzigen ist der Priester noch allmächtig – bei uns wenigstens – und für den ist der Teufelsglaube ein zu nützliches Zucht- und Schreckmittel, als daß er ihn bannen sollte. Aber,“ hier schob Raimund mit dem Ausdruck des Widerwillens die Bücher und Manuscripte von sich, „ich finde auch kein Interesse mehr an diesen Studien, welche ich früher mit Vorliebe getrieben habe. Ich frage mich schließlich: Wozu das alles, da ich es ja doch nie verwerthe? Freilich – wozu das ganze Leben überhaupt?“

Die Frage klang nicht bitter, nur müde, aber Paul war gerade jetzt am wenigsten in der Stimmung, auf pessimistische Ideen einzugehen. Er hatte Kopf und Herz voll von rosigen Zukunftsträumen; deshalb überging er die letzte Bemerkung und sagte leichthin:

„Ich habe leider nie eine besondere Neigung für das Studiren gehabt. Ich und die Bücher, wir standen stets auf etwas gespanntem Fuße.“

„Das sehe ich – Du hast die Bibliothek noch nicht einmal betreten. Das soll kein Vorwurf für Dich sein,“ unterbrach sich der Freiherr, als der junge Mann antworten wollte. „In Deinem Alter zieht man andere Beschäftigungen vor, und es ist Deine Sache, wie Du Dir den Aufenthalt in Felseneck erträglich machst. Wie ich höre, jagst und reitest Du viel – das ist immerhin eine Unterhaltung.“

„Eine Unterhaltung, ja, aber keine Thätigkeit.“

„Vermissest Du diese?“ fragte Raimund mit leiser Ironie.

„Offen gestanden: ja! Ich meine überhaupt, daß es jetzt Zeit für mich ist, an einen bestimmten Beruf zu denken.“

„Das meine ich auch, aber ich glaubte kaum, daß Du darauf dringen würdest.“

„Doch, Raimund!“ sagte Paul lebhaft. Er hatte nach dem Wunsche des Freiherrn seit jener ersten Zusammenkunft den „Onkel“ fallen lassen. „Ich habe Dich schon längst fragen wollen, was Du über meine Zukunft beschlossen hast.“

Raimund streifte mit einem halb verwunderten Blick den jungen Mann, der auf einmal ein so dringendes Verlangen nach Thätigkeit kund gab.

„Das hängt von Deiner eigenen Neigung ab. Ich werde Dir darin nichts vorschreiben. Willst Du in den Staatsdienst treten?“

„Ich – ich würde das Landleben vorziehen,“ erklärte Paul nach einigem Zögern. „Ich kenne es zwar bis jetzt nur wenig, aber ich habe ja hier auf Deinen Besitzungen die beste Gelegenheit, mich damit vertraut zu machen, und ich gestehe, daß es mich ungemein anzieht.“

„Die Einsamkeit von Felseneck scheint ja Wunder gethan zu haben!“ sagte Raimund, diesmal mit unverhehltem Spott. „Ich habe von dem achttägigen Aufenthalt wirklich noch nicht ein derartiges Resultat erwartet. Du willst das Landleben erwählen? Ich habe nichts dagegen, aber ich fürchte, es wird Dir sehr bald einförmig und langweilig erscheinen.“

„O gewiß nicht!“ rief Paul und begann nun mit einer gewissen Feierlichkeit aus einander zu setzen, daß er den wilden Streichen ein für alle Mal den Abschied gegeben habe, daß er ein ganz neues Leben anfangen wolle, daß er sich nach einer Heimath, einer Häuslichkeit sehne, und floß förmlich über von den allervortrefflichsten Plänen und Vorsätzen. Er hatte sich während des zweistündigen Rittes das alles sehr ausführlich einstudirt, um es bei nächster Gelegenheit dem Onkel vorzutragen, und da es ihm wirklich Ernst damit war, so kam die Rede auch sehr überzeugend von seinen Lippen, aber der erwartete Effect blieb aus. Raimund hörte mit gewohnter Gleichgültigkeit zu, ohne ihn zu unterbrechen, und als der Vortrag zu Ende war, sagte er ruhig:

„Paul – Du bist wohl verliebt?“

Paul wurde dunkelroth bei dieser unerwarteten Frage. Er hatte vorläufig noch ein Geheimniß aus seiner Neigung machen wollen, aber der halb mitleidige, halb verächtliche Ton rief seinen ganzen Stolz wach, und ohne sich zu besinnen, antwortete er mit Nachdruck:

„Nein – ich liebe!“

„Machst Du einen so erheblichen Unterschied zwischen den beiden Worten?“

„Glaubst Du nicht, daß ein solcher Unterschied existirt?“

„Gewiß, aber ich bezweifle, daß Du ihn kennen gelernt hast im Kreise Deiner italienischen Freunde.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_107.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)