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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

scharf und schweigend den jungen Mann, dann unterbrach er dessen lebhafte Unterhaltung ebenso plötzlich wie rücksichtslos mit der Frage:

„Sie sind wohl erst sehr kurze Zeit in Felseneck, Herr Baron?“

„Erst seit acht Tagen,“ sagte Paul leicht hin und wandte sich wieder an die junge Frau. Jetzt aber trat Vilmut an den Stuhl derselben, stützte den Arm auf die Lehne und bemächtigte sich vollständig des Gespräches.

„Sie haben also wohl noch nicht Gelegenheit gehabt, sich mit den Verhältnissen der Umgegend vertraut zu machen?“ fragte er weiter.

„Nein, ich bin ja noch ganz fremd hier, aber eben deshalb suche ich mich einigermaßen zu orientiren.“

„Das ist sehr natürlich! – Weiß der Freiherr, daß Sie mir die Ehre Ihres Besuches zu Theil werden lassen?“

„Nein, er weiß nicht einmal, daß ich in Werdenfels bin,“ entgegnete der junge Mann, ungeduldig und ärgerlich, daß man ein förmliches Examen mit ihm anstellte.

„Das dachte ich mir!“ sagte Vilmut kalt.

Diese Bemerkung machte Paul doch stutzig; er begann endlich in der eisigen Zurückhaltung des Pfarrers eine Absicht zu fühlen und nahm nun auch seinerseits eine kalte Miene an.

„Mein Besuch scheint Sie zu befremden, Hochwürden,“ sagte er. „Ich glaubte eine Höflichkeit zu erfüllen, wenn ich Sie aufsuchte, da ja auch Schloß Werdenfels zu Ihrer Pfarre gehört, ich sehe aber, daß ich mich im Irrthum befunden habe, und bedaure sehr, ein unwillkommener Gast zu sein.“

„Bitte, Herr Baron, Sie sind mir willkommen!“ unterbrach ihn Vilmut mit scharfer Betonung. „Ich fragte nur Ihretwegen; denn ich fürchte, Sie werden diesen Besuch in Felseneck vertreten müssen.“

Paul sah erst den Pfarrer, dann Frau von Hertenstein an, als erwarte er von einer Seite wenigstens eine Aufkärung, aber das Gesicht Vilmut’s blieb unbeweglich, und Anna schwieg beharrlich, während ihre junge Schwester, die freilich auch erst seit wenigen Wochen in Rosenberg war, mit höchster Neugierde zuhörte, aber offenbar nicht das Geringste von der Sache begriff. Die Spannung hatte den höchsten Grad erreicht, als zum Glück gemeldet wurde, daß der Postbote dem Herrn Pfarrer einen wichtigen Brief persönlich zu übergeben wünsche. Vilmut entschuldigte sich für einige Minuten und ging hinaus. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, so wandte sich Paul an die junge Frau.

„Gnädige Frau, ich bitte Sie dringend, mir zu erklären, was dies Alles bedeutet.“

Anna warf einen Blick auf das Nebenzimmer: dann entgegnete sie rasch und leise:

„Die Frage gebe ich Ihnen zurück, Herr von Werdenfels. Was bedeutet Ihr Erscheinen in diesem Hause? Wie kommen Sie hierher?“

„Ich habe es Ihnen ja bereits mitgetheilt – auf die einfachste Weise in der Welt. Ich sehe jetzt freilich, daß hier ganz besondere Verhältnisse obwalten, die meinen Besuch seltsam erscheinen lassen, aber – mein Wort darauf! – ich hatte keine Ahnung davon. Was um Gotteswillen liegt denn zwischen meinem Onkel und Ihrem Verwandten?“

„Das werden Sie jedenfalls in Felseneck erfahren. Ich stehe all diesen Verhältnissen gänzlich fern.“

Das war wieder der kalte, zurückweisende Ton, den Paul nicht zum ersten Male von diesen Lippen hörte; diesmal aber ließ er sich dadurch nicht zurückschrecken; denn er glaubte jetzt zu wissen, daß diese Kälte nicht ihm galt, sondern dem Namen, den er trug.

„Sie zürnen mir, gnädige Frau?“ sagte er mit leiser, inniger Bitte.

„Ich? Nein. Weshalb sollte ich Ihnen zürnen?“

„Weil Sie mir nicht einmal ein Wiedersehen erlauben wollen! Sie kannten das Ziel meiner Reise und doch verrieth mir auch nicht eine Silbe, daß Sie in Rosenberg lebten. Es war ein Zufall, der mich vor einigen Tagen Ihre Nähe entdecken ließ. Wollten Sie mir wirklich ein Geheimniß daraus machen?“

„Nein, denn ich konnte mir sagen, daß Sie es früher oder später doch entdecken würden, aber –“

„Also darf ich nach Rosenberg kommen? Darf ich?“ unterbrach sie Paul mit leidenschaftlichem Aufflammen. Er kümmerte sich nicht darum, daß Lily dabei saß und mit großen Augen zuhörte; es fiel ihm überhaupt nicht ein, ein Geheimniß aus seinen Gefühlen zu machen. Die junge Frau dagegen schien peinlich dadurch berührt zu werden, ehe sie aber noch antworten konnte, trat Vilmut wieder ein.

Paul erhob sich sofort; er fühlte, daß er diesen improvisirten Besuch auch nicht eine Minute länger ausdehnen dürfe. Er verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung von Frau von Hertenstein, mit einer zweiten von Lily und ging dann. Vilmut machte nicht den geringsten Versuch, ihn zurückzuhalten; er begleitete und entließ ihn mit derselben frostigen Höflichkeit, wie beim Empfange. Dem jungen Manne ging es wie Lily; auch er athmete auf, als er nicht mehr unter dem Banne dieser kalten, strengen Augen war.

Drinnen im Zimmer machte Lily inzwischen ihrer Verwunderung Luft. Sie fand, daß der junge Baron ihre Schwester in ganz besonderer Weise angesehen habe und daß sein Ton ebenfalls ein ganz besonderer gewesen sei, als er um die Erlaubniß bat, nach Rosenberg kommen zu dürfen; kurz, sie fand, daß die Sache höchst verfänglich sei. Aber die arme Kleine hatte kein Glück mit ihren klugen Beobachtungen; sie wurde auch diesmal ernst zurückgewiesen und man erklärte ihr, daß sie solche Dinge noch gar nicht verstehe, also auch nicht darüber sprechen dürfe. Lily begriff durchaus nicht, warum ihr mit sechszehn Jahren noch jedes Verständniß für dergleichen fehlen sollte. Sie ergriff schmollend ihre Haselnüsse und lief damit in das Nebenzimmer, weil sie den Vetter Gregor zurückkehren sah, der in der nächsten Minute eintrat.

„Das war ein seltsamer Besuch!“ sagte er mit einem beinahe hohnvollen Ausdruck. „Was hältst Du eigentlich davon?“

„Ich glaube, daß die Sache sich wirklich so verhält, wie der junge Baron sie schildert,“ entgegnete Anna. „Er ist im Schlosse gewesen und hat nur eine Pflicht der Höflichkeit erfüllen wollen, als er Dich aufsuchte.“

Gregor’s Augen ruhten wieder durchdringend auf ihrem Antlitz.

„Möglich!“ entgegnete er herbe, „aber ich fürchte, daß diese Höflichkeit mir am wenigsten galt. Deine Augen haben wieder einmal Unheil angerichtet, Anna! Ich sah es gleich im ersten Moment. Doch ich brauche Dich wohl nicht erst zu warnen, um den jungen Menschen fern zu halten. Er ist ja ein Werdenfels – das schließt ihn von Deiner Nähe aus!“




Es waren keine sehr angenehmen Empfindungen, mit denen der junge Baron Werdenfels nach Felseneck zurückkehrte; denn er konnte sich nicht verhehlen, daß dieses so heiß ersehnte Wiedersehen sich einigermaßen peinlich gestaltet hatte, und daß sein Besuch im Pfarrhause eine Uebereilung gewesen war. So wenig er auch die Verhältnisse kannte, es war ihm doch klar geworden, daß zwischen seinem Onkel und diesem Pfarrer Vilmut irgend etwas Feindseliges lag. Er glaubte jetzt den Grund jener kalten Zurückhaltung entdeckt zu haben, welche die schöne Frau ihm gegenüber zeigte. Sie galt nicht ihm persönlich, sondern lediglich seinem Namen, aber darüber setzte er sich mit dem ganzen glücklichen Leichtsinn der Jugend hinweg – das war keine Schranke für seine Hoffnungen. Die Erlaubniß, nach Rosenberg zu kommen, war ihm zwar nicht ausdrücklich gewährt, aber auch nicht versagt worden; er nahm sie also ohne Weiteres als bestehend an und ließ sich in seinen Zukunftsträumen nicht im geringsten stören.

Bei seiner Ankunft in Felseneck empfing ihn Arnold mit der Nachricht, daß der „gnädige Herr Onkel“ ihn zu sehen wünsche. Paul liebte diese Audienzen nicht besonders, so kurz und flüchtig sie auch meistens waren. Seine warme Natur fühlte sich bei jedem solchen Zusammensein von der eisigen Gleichgültigkeit des Freiherrn mehr und mehr abgestoßen, aber ein Wunsch von dessen Seite war natürlich ein Befehl für ihn, dem er sofort nachkam. Er erkundigte sich daher nur, welche Zeit für den Besuch festgesetzt sei.

„Fünf Uhr!“ sagte Arnold mit großer Feierlichkeit. „Und ich werde Sie diesmal begleiten, Herr Paul.“

Paul sah ihn erstaunt an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_106.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)