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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nach Bonn zurückgekehrt, fand er am Rhein die Gemüther in höchster Erregung. Das Volk nahm den Gewaltthätigkeiten der Regierung gegenüber eine entschlossene Haltung an, und im übrigen Deutschland loderten bereits hier und da die Flammen der Revolution hell auf: in Dresden tobte der blutige Straßenkampf, und in der Pfalz begann der Aufstand sich zu organisiren. „Jetzt muß gehandelt werden oder nie“ war der Gedanke, der auch in Bonn die Geister durchzuckte. Da beschloß die dortige Demokratie den Sturm des Zeughauses zu Siegburg. Noch einmal erwachte bei dieser Gelegenheit Kinkel’s vorsichtig gemäßigte Natur: er rieth von dem gewaltthätigen Zuge nach Siegburg ab – vergebens! Erst als er sah, daß hier zum ersten Male seiner Beredsamkeit der Sieg versagt blieb, schloß er sich dem kühnen Zuge seiner Parteigenossen an, bereit mit ihnen zu kämpfen und zu sterben. Das war am 10. Mai 1849. Noch in derselben Nacht wurde der Plan ausgeführt. Kinkel nahm gefaßten Abschied von seiner heroischen Johanna und seinen schlafenden Kindern, und vorwärts über den Rhein wälzte sich die abenteuerliche Schaar der Empörer, Kinkel unter ihnen, nach Siegburg. Aber der verwegene Handstreich mißlang. Siegburg wurde den Aufständigen keine Burg des Sieges. Der bewaffnete Zug wurde zersprengt, und die Theilnehmer an demselben stoben nach allen Seiten hin aus einander. Kinkel wandte sich nach der Pfalz, wo der Aufstand seine höchsten Wellen schlug: er stellte sich der provisorischen Regierung zur Verfügung und wurde Fenner von Fenneberg als Adjutant beigeordnet.

„Wenige Tage nur währte es,“ berichtet die „Westdeutsche Zeitung“, „da redeten die Leute von ihm wie von einem Heilande. Wo er in ein Dorf kam, da drängte man sich an ihn, drückte ihm die Hand und bat ihn, zu sprechen, und dann horchten sie mit Andacht und versprachen, sie wollten Alles, Alles befolgen. ‚Das ist ein Mann!‘ riefen sie mit staunender Bewunderung, und er war es auch einzig werth, vom Volke geliebt zu werden, mit dieser Reinheit des Bewußtseins und des Willens, mit der hohen, heiteren Opferwilligkeit seiner Seele.“

Diese Opferwilligkeit war es auch, die ihn, als die Pfalz verloren, mit unwiderstehlicher Gewalt von dort fort nach Baden trieb – unter die Muskete. Dort trat er am 19. Juni als gemeiner Feldjäger in die Compagnie Besançon unter Hauptmann Willich.

„Die Männer riefen ihm ein dumpfes Willkommen zu,“ schreibt ein Augenzeuge, ein Freund Kinkel’s, „ich sah, wie er, angethan mit einer Ledertasche, die Muskete in der Hand, in’s Glied trat, nahe an den rechten Flügel, weil er unter den Männern einer der Größten und Stärksten war. Noch einmal, das letzte Mal, sah ich ihn am 21. Juni, zwei Tage vor dem Treffen bei Bruchsal. Ich ritt an die Front heran und reichte ihm die Hand; er drückte sie fest und lange; auf seiner Stirn lag finsterer Unmuth; Kampfbegierde in seinem dunklen Auge. Worte haben wir nicht gewechselt; er sprach aus Dienstbewußtsein im Gliede niemals.“

Dem Manne, der so selbstlos und tapfer für seines Herzens Meinung eingetreten, sollte der Kranz des Märtyrerthums nicht fehlen. Am 29. Juni nahm sein Schicksal plötzlich eine tragische Wendung; er wurde an jenem Tage an der Murg verwundet; in Begleitung einiger Schützen seiner Compagnie hatte er sich zu weit vorgewagt und stürzte, von einer preußischen Kugel an der rechten Schläfe getroffen, bewußtlos zu Boden. In einem Bauernhause, wo ihn die Genossen zurückgelassen, gerieth er alsdann in Gefangenschaft.

So endete seine Theilnahme am Badenschen Aufstande; sie hatte nur zehn Tage gedauert. In Karlsruhe, wohin man ihn zuerst brachte, traf er noch einmal mit seiner geliebten Johanna zusammen und wurde dann in Rastatt vor ein Kriegsgericht gestellt. Nachdem er am 4. August vor seinen Richtern gestanden, erwartete er für den nächsten Morgen mit Sicherheit seine standrechtliche Erschießung, und in dieser Stimmung dichtete er in seiner Zelle das tiefempfundene Lied:

 Mein Vermächtniß.
Das Beste, was das Leben giebt,
Das hab’ ich nun genossen;
Mich hat ein edles Weib geliebt
Und gab mir holde Sprossen.
Im Freundesreigen stand ich stark
Beim Becher und in Fehde.
Mein Leib war fest, gesund mein Mark,
Und golden floß die Rede.

Mir gab Natur ein fühlend Herz
Für Seligkeit und Wunden;
Des Gottes Lust, des Wurmes Schmerz –
Ich hab’ ihn mitempfunden.
Es lag der Zeiten großes Buch
Vor meinem Geiste offen,
Der Freiheit Glück, der Knechtschaft Fluch,
Der Völker Gram und Hoffen.

Den Feinden mild, den Freunden gut,
Die Hand noch rein vom Fluche,
Kein Blatt voll Haß, kein Blatt voll Blut
In meines Schicksals Buche:
So werf’ ich in den Opferbrand
Ein reichbekränztes Leben –
O Glück und Stolz, mein Vatertand,
Für dich es hinzugeben!

Der müden, schwielenharten Hand
Ein sanfter Loos zu werben,
Du vierter Stand, du treuer Stand,
Für dich geh’ ich zu sterben.
Euch Armen treu bis in den Tod,
Für Euch zur That entschlossen,
Fall’ ich um’s nächste Morgenroth,
Vom kalten Blei durchschossen.

So haftet mich in treuem Sinn,
O Meister und Geselle!
Gedenke mein, du Näherin
In deiner trüben Zelle;
Du Winzer, der am Fels der Ahr
Umsonst die Gluthen leidet,
Du arme Tagewerkerschaar,
Die fremde Garben schneidet!

Ich werde nicht vergessen sein;
Du Jugend wirst mich kennen
Und wirst an meines Geistes Schein
Zum Freiheitsdurst entbrennen.
Manch Frauenauge weint um mich,
Den Sänger süßer Lieder:
Als Gruß der Erde neigen sich
Viel Blumen zu mir nieder.

Den letzten Gruß dir überm Rhein,
Du edles Volk der Franken!
Die Völker sollen einig sein
In Herzen und Gedanken.
Stehn soll, so weit aus diesem Rund
Sich Aug’ in Auge spiegelt,
Der ew’ge Bund, der Bruderbund,
Den Euch mein Blut besiegelt.

Unter dem Eindrucke seiner imponirenden, edlen Persönlichkeit und in Folge seiner fulminanten Vertheidigungsrede verurtheilte ihn das Kriegsgericht indessen nicht, wie zu vermuthen stand, zum Tode, sondern zu lebenslänglicher Festungsstrafe. Die „Gnade“ des Königs aber „milderte“ diese Strafe, indem sie ihn auf Lebensdauer in’s Zuchthaus sandte. Der hochsinnige Dichter, der überzeugungstreue Kämpfer für die Rechte des Volkes wurde zur Züchtlingsjacke und zum Spulen von Wolle verurtheilt! Deutschland, Europa, die Welt staunte über diese königliche „Begnadigung“, und Zeichen des höchsten Unwillens wurden im Volke überall laut. In das Zuchthaus zu Naugard gebracht, mußte er sich im April 1850 noch einmal den Assisen zu Köln stellen, um sich wegen seiner Theilnahme an der Erstürmung des Zeughauses zu Siegburg zu verantworten. Er wurde freigesprochen, seitdem aber, nachdem er auf der Rückkehr von Köln einen vergeblichen Fluchtversuch gewagt, in Spandau in noch härterer Haft gehalten.

Spandau war die letzte Leidensstation Kinkel’s. In Folge einer planmäßig ersonnenen und scharfsinnig durchgeführten Verschwörung, deren durch ganz Norddeutschlaud geführte Fäden zu einem großen Theil die beherzte und kluge Johanna in der Hand hielt, wurde der edle Kämpfer im November 1850 durch den damaligen Studenten und früheren Schüler Kinkel’s, Karl Schurz, den nachmaligen amerikanischen Diplomaten, auf ebenso kühne wie abenteuerliche Weise aus dem Kerker befreit (vergleiche den Artikel von Moritz Wiggers, „Gartenlaube“ 1863, Nr. 7 bis 10). In Rostock wurde er im Hause eines demokratisch gesinnten Großhändlers – Ernst Brockelmann – Tage lang verborgen gehalten, während die klug irregeführten Häscher ihn auf ganz falscher Fährte suchten; von dort aus floh er auf einem von seinem Gastgeber eigens für ihn ausgerüsteten Kauffahrteischiffe nach England; er lebte alsdann – von einem kurzen Aufenthalte in Amerika abgesehen –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_082.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)