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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

auf eine directe Nachkommenschaft König Friedrich Wilhelm’s des Vierten geschwunden. Man kann sagen, daß des Prinzen tiefe blaue Augen sympathisch in ihrem Blicke, herzlich in ihrem Ausdrucke sind, daß der Oberkopf bedeutend entwickelt ist, aber man wird bei aller Sympathie für den Sprößling eines großen Geschlechts nicht behaupten können, daß es gerade ein schönes Knabenportrait sei. Die Kinder der preußischen Königsfamilie sind in der Kindheit allesammt nicht schön. Zu ihrem Vortheile entwickeln sie sich erst später. Prinz Friedrich Wilhelm ward seinen Eltern am Jahrestage der Schlacht bei Leipzig im Jahre 1831 im neuen Palais zu Potsdam geboren und wuchs unter treuer Obhut seiner Eltern theils im Palais Unter den Linden, theils in der sommerlichen Stätte von Babelsberg auf. Kann man auch nach der Verschiedenheit des Alters gerade nicht sagen, daß er und diejenige, die später ihr Leben mit ihm theilen sollte, in der Wiege für einander bestimmt waren, wie das bei Fürstenkindern so häufig der Fall, so ergab es sich doch aus den natürlichen Verhältnissen, daß im Hinausblick auf die Zukunft für den künftigen Thronerben das auf den Teppichen der Säle in Buckingham Palace und auf dem Rasen des Homegarden zu Windsor spielende Königskind sehr in Erwägung gezogen wurde. Vielleicht formten sich von beiden Seiten ganz bestimmte Pläne, nachdem Friedrich Wilhelm der Vierte, ein Verehrer der politischen und socialen Constitution Großbritanniens wie seiner Hochkirche, dazu ein persönlicher Freund der Königin, bei der Taufe des Prinzen von Wales in England gewesen war und hoch erhoben von den dort gewonnenen Anschauungen und Eindrücken nach seinen Staaten zurückgekommen war. Eine feste Form erhielten die von beiden elterlichen Seiten gehegten Wünsche und Hoffnungen erst während des Aufenthalts, den der Prinz und die Prinzessin von Preußen nach der Märzrevolution in England nahmen.

Kronprinz Friedrich Wilhelm.
Nach dem Oelgemälde von Professor Schoppe.

In dieser Zeit wob sich das innige Freundschaftsband zwischen der Königin und ihrem Gemahle einerseits, dem Prinzen und der Prinzessin von Preußen andererseits, ein Freundschaftsverhältniß, welches nicht nur familiäre Beziehungen umfaßte, sondern sich auch in politischer Hinsicht in einer Wechselwirkung zwischen England und Preußen bemerkbar machte. Die Eltern des Prinzen Friedrich Wilhelm sahen die Entwickelung derjenigen, die einst des Sohnes Gattin zu werden bestimmt war, und konnten beobachten, wie sie, die Lieblingstochter des Vaters, an Herz und Geist desselben zum Leben emporreifte. Beginnt auch die Lebensgeschichte einer jungen Prinzessin unserer Tage erst mit dem Momente, wo sie aus der Kinderstube heraustritt, so waren die Symptome des geistigen und seelischen Lebens in der Prinzessin Victoria doch so bedeutsam, daß man schon in dem Kinde eine gewisse Bürgschaft dafür fand, es werde die ihm für die Zukunft gestellten Aufgaben würdig lösen.

Unter sorgsamer Obhut der Eltern, namentlich unter der geistigen Pflege der Mutter, war inzwischen Prinz Friedrich Wilhelm zum Jüngling herangereift. Er war in das erste Garderegiment zu Fuß eingetreten; er hatte in Bonn den Studien obgelegen – er war nach allen Richtungen hin in Vorbereitung für seinen hohen Beruf. Nach einem Besuche, den die Eltern des Prinzen der Königin Victoria 1851 bei Gelegenheit der großen Industrie-Ausstellung in London gemacht hatten, und nach einer Wiederholung desselben, zwei Jahre darauf bei Gelegenheit großer Land- und Flottenmanöver, waren sie im Sommer 1856 mit ihren beiden Kindern, dem Prinzen Friedrich Wilhelm und der damals mit dem Prinzen Friedrich, späterem Großherzog von Baden, verlobten Tochter Louise, wieder nach England gekommen, und bei dieser Gelegenheit fand das Eheverlöbniß zwischen dem preußischen Prinzen und der englischen Königstochter statt.

Die Princeß Royal, vorbereitet auf das, was im Werke war, hatte von dem ihr bestimmten Bräutigam vielfach erzählen gehört, aber ihn noch nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen. In diesem Falle wird wohl eine Prinzessin von Großbritannien mit dem Mädchen aus einem Bürgerhause dasselbe Gefühl theilen, daß es sie drängt, sich in ihrer Seele und mit ihrem Auge ein Bild von demjenigen zu machen, der ihres Lebens Schicksal sein soll. Aber noch war die Verlobung nicht officiell, noch sie selbst erst 15½ Jahre alt. So konnte sie auch an dem großen Galadiner, bei dem die preußischen Gäste zuerst erschienen, nicht Theil nehmen. Dafür schlich sie sich aus ihren Gemächern in eine Gallerie, durch deren hohe Glasfenster sie unbemerkt den künftigen Gatten beobachten konnte, und kehrte, im Innern hoch beglückt, in ihre Gemächer zurück. So sehr hatte der künftige Bräutigam ihr gleich gefallen. Prinz Friedrich Wilhelm blieb in England; er fühlte sich in der englischen Königsfamilie heimisch; er lernte die ihm Bestimmte näher kennen, und in seinem Herzen erwuchs die innerste Neigung zu ihr.

Die Hochzeit ward in England, in London, gefeiert, und zwar ward der St. James-Palast und die Chapel Royal als Ort der Trauungsfeierlichkeit ausersehen. In derselben Capelle, in welcher die Eltern ihren Ehebund geschlossen hatten, sollte auch die älteste Tochter die Weihe ihres Herzensglückes empfangen. Ganz England nahm an dem freudigen Ereignisse in der Familie der Königin Theil. Unter den Hochzeitsgästen befanden sich die Eltern des Bräutigams, der Prinz und die Prinzessin von Preußen, sowie der Oheim der Königin, der König der Belgier. Als Gast

hatte sich auch das Publicum Londons angesagt – es war auf allen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_065.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)