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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Kornburg, und vor ihm wurde, als im Jahre 1487 Kaiser Maximilian der Erste die Belehnung der Reichsfürsten vornahm, eine Tribüne errichtet, auf welcher der kaiserliche Thronsessel Aufnahme fand. Der Platz selbst entstand dadurch, daß im Jahre 1349 nach zuvor eingeholter Erlaubniß des Kaisers Karl des Vierten die hier stehende Synagoge, die Judenschule und außerdem zahlreiche Privathäuser der Juden niedergerissen wurden. Genau auf der Stelle, wo die Synagoge gestanden, wurde die Liebfrauenkirche erbaut, mit dem Schutte der abgebrochenen Gebäude aber ward ein sumpfiger Weiher vor dem Lauferthore ausgefüllt und die durch fortgesetzte Aufschüttungen entstandenen Hügel „der Judenbühl“ genannt. Heute heißt diese Gegend „das Maxfeld“, und hier war es, wo im vergangenen Jahre die baierische Gewerbe- und Kunstausstellung abgehalten wurde.

Die Liebfrauenkirche mit ihrer wundervoll zierlichen Gothik (sie ist gegenwärtig die Hauptkirche der Katholiken Nürnbergs) präsentirt sich auf unserem Bilde rechts im Hintergrunde. Die Entstehung des Gotteshauses, welches mit vollstem Rechte zu den herrlichsten Denkmälern der Stadt gezählt wird, fällt in die Jahre 1355 bis 1361. Die Baumeister waren Georg Rupprecht und Fritz Rupprecht, während Sebald Schonhofer die Bildhauerkunst vertrat. Den ganzen Platz beherrschend und zugleich mit ihm in voller künstlerischer Harmonie stehend, legte der stolze Bau so recht Zeugniß ab sowohl von dem hohen Kunstsinne seiner Urheber im Besonderen, wie vom Geschmack der alten Nürnberger insgemein, welche solche Vorbilder den zukünftigen Geschlechtern zur Nacheiferung hinterließen. Ein Jahrhundert später, im Jahre 1462, fügte Adam Krafft das reizende Portal mit Balcon hinzu, und 1509 schmiedete Georg Heuß, ein Schlosser, das künstliche Uhrwerk, während ein Kupferschmied, Sebastian Lindenast, die dazu gehörigen Figuren in Kupfer trieb. Dieses Werk, im Volksmunde das „Männleinlaufen“ genannt, stellt den Kaiser Karl den Vierten dar, in goldenem Gewande mit Scepter und Reichsapfel auf dem Throne sitzend. Durch ein Seitenthürchen bewegen sich zur Mittagsstunde auf einer Drehscheibe die sieben Kurfürsten in rothen Mänteln langsam im Halbkreise dreimal vor dem Kaiser vorüber, zuletzt an dessen rechter Seite wieder in einer Thür verschwindend. Zwei automatische Posaunenbläser, die Herolde, führen zeitweise ihre Posaunen an den Mund, während oberhalb der ganzen Gruppe in einem zierlichen Glockenthürmchen zwei Glockenschläger die Glocke mit ihren Hämmern bearbeiten.

Im Innern der künstlerisch reich ausgestatteten Kirche fesselt hauptsächlich das Grabdenkmal der Nürnberger Patricierfamilie Pergenstörffer, ein Relief des bereits gedachten Adam Krafft, unsere Aufmerksamkeit; prachtvolle Glasmalereien und Holzschnitzereien, letztere von Veit Stoß gearbeitet, schmücken den Chor des herrlichen Gotteshauses, welches noch während der letzten Jahre durch den Director des Germanischen Museums, Herrn von Essenwein, innen wie außen einer gründlichen und vortheilhaften Renovirung unterzogen wurde.

Betrachten wir nunmehr die Umgebung der Liebfrauenkirche, so fällt uns zunächst ein unmittelbar neben derselben stehendes, als Fachwerk errichtetes, alterthümliches Gebäude in’s Auge. Es ist das alte Tuchhaus, in welchem vormals der Tuchmarkt abgehalten wurde. Zwischen ihm und der Kirche wendet sich die Straße auf den „Häringsmarkt“ und von da in ein Gäßchen, worin das Wohnhaus des Dichters Hans Sachs steht. Neben dem Tuchhause, auf unserm Bilde rechts im Vordergrunde, haftet der Blick auf einem Bau mit durchsichtigem Dacherker und hohem, stufenförmig gekröntem Giebel. Es ist der sogenannte „Plobenhof“, ehemals ein Patricierhaus der Ploben und noch früher im Besitze der Familie Groß; im vierzehnten Jahrhundert soll es Kaiser Ludwig der Baier mit Vorliebe als Absteigequartier benutzt haben.

An der Nordseite des Platzes (auf der Abbildung dem Beschauer gerade gegenüber) fesselt unser Auge eine höchst malerische Fronte alterthümlicher Gebäude, welche zu den ältesten Wohnhäusern der Stadt gerechnet werden. Gekrönt wird diese Fronte durch die Thürme des Rathhauses, der St. Sebalduskirche, der kaiserlichen Burg und der Kaiserstallung. Der besonders in’s Auge fallende stattliche Bau mit den flankirenden Eckthürmen war früher Eigenthum der Familie Haller; vor ihm steht der bewundernswerthe „Schöne Brunnen“, ein Meisterwerk Heinrich Behaim’s und von diesem in den Jahren 1385 bis 1395 unter der Leitung der damaligen Stadtbaumeister Friedrich Pfinzing und Ulman Stromer in reichem gothischen Stil ausgeführt, während die den Brunnen zierenden herrlichen Bildhauerarbeiten demselben Sebald Schonhofer zu verdanken sind, dem wir bereits unter den Künstlern der Liebfrauenkrche begegneten. Begrenzt wird diese ganze nördliche Häuserfronte durch zwei Straßen, von denen die zur Linken am Rathhause vorüber auf die kaiserliche Burg, die zur Rechten aber hinterwärts vom Rathhause in östlicher Richtung zum Lauferthore führt.

Auch die westliche Seite des Platzes endlich – auf unserem Bilde links – wird von schönen, mit Thürmen geschmückten Patricierhäusern umrahmt, unter denen namentlich das Haus Willibald Pirkheimer’s, des Jugendfreundes Albrecht Dürer’s, sowie das massiv-castellartige Haus der Familie Harsdorf hervortreten; etwas weiter oben steht das Hans Martin Behaim’s, des großen Seefahrers und Verfertigers des berühmten Erdglobus

Dieser im Vorstehenden geschilderte hochcharakteristische Marktplatz bildete vor Zeiten auch die regelmäßige Scenerie der frischen und fröhlichen Turniere, in denen die mannhafte Patricierjugend Nürnbergs ihre körperliche Kraft und Gewandtheit erprobte. Doch halt: nicht der „Turniere“, sondern officiell gesprochen, der „Gesellenstechen“, wennschon beide Bezeichnungen so ziemlich auf dasselbe hinausliefen. Der „Gesellenstechen“? fragt hier verwundert der Leser, dem das absonderliche Wort vielleicht noch niemals vorgekommen. Nun wohl, so möge er uns aus einem kurzen Abstecher in das Leben und Treiben unserer kampfesfreudigen Altvordern begleiten und sich bei dieser Gelegenheit auch der einigermaßen subtilen Unterschiede zwischen beiden Arten des Waffenspieles bewußt werden. Sind wir doch in Nürnberg, einer Stadt, die wie keine andere zu Rückblicken in vergangene Zeiten auffordert.

Die Theilnahme an den eigentlichen Turnieren, welche namentlich bei festlichen Gelegenheiten, wie Hochzeiten, Kindtaufen, Besuchen vornehmer Gäste etc., veranstaltet wurden, galt im Mittelalter von jeher als ein eifersüchtig bewachtes Vorrecht der fürstlichen, gräflichen und ritterbürtigen Geschlechter. Wer sich nicht wenigstens als rittermäßig, das heißt als adlig ausweisen konnte, der wurde zu diesen Kampfspielen schlechterdings nicht zugelassen. War eine Hochzeit die Veranlassung zur Veranstaltung eines Turniers, so nahm neben den Gästen in der Regel auch der Bräutigam selbst mit daran Theil. Zuweilen begann das Lanzenrennen unter den Rittern schon am ersten Hochzeitstage, und an den nächstfolgenden Tagen setzten es Fürsten, Grafen und Ritter im buntem Wechsel unter einander fort, dergestalt, daß man vielleicht einen Kurfürsten gegen einen einfachen Rittersmann, oder einen Herzog gegen einen Grafen die Lanze versuchen sah. Wer am meisten traf und am wenigsten fiel, galt für den ausgezeichnetsten Kämpfer.

Statt mit der Lanze wurden übrigens oftmals auch Turniere mit dem Schwerte gehalten, wobei vorher bestimmt wurde, wie viele Streiche Jeder mit dem Schwerte zu thun habe. Abends beim Tanze erhielten dann die besten Kämpfer aus den Händen der vornehmsten Frauen die im Turniere verdienten Belohnungen, oder, wie es hieß: „es wurden die Danke an sie ausgetheilt“, welche in kostbaren Waffen, goldenen Kränzen, Ringen, Spangen oder sonstigem Geschmeide zu bestehen pflegten.

Neben diesen eigentlichen Turnieren, an denen nur die Angehörigen alter und vornehmer Geschlechter sich betheiligen durften, hatte man nun noch die sogenannten Gesellenstechen, das heißt weniger solenne und weniger exclusive Waffenspiele, in denen gegebenen Falles vorzüglich die Mitglieder des jüngeren Adels sich versuchten. Gleichwohl waren auch bei ihnen zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmte Gesetze vorgeschrieben, an die sich Jeder, der sich zum Kampfe verstand, pünktlich halten mußte. In einer solchen Vorschrift eines Gesellenstechens vom Jahre 1543 heißt es z. B. folgendermaßen:

„Nachdem es alter löblicher Brauch und Gewohnheit ist, daß man auf fürstlichen und königlichen Hochzeiten und Freudenfesten allerlei Ritterspiel mit Rennen, Stechen und Turnieren zu üben pflegt, so wollen wir neben andern Ritterspielen auch ein Gesellenstechen halten lassen und haben darauf nachfolgende Artikel gestellt, wollend und gnädiglich begehrend, daß sich ein Jeder, der sich zu solchem Stechen gebrauchen lassen will, demselben gemäß verhalte bei festgesetzter Buße: Wer sich zum Gesellenstechen gebrauchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_062.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)